Sex als die Sünde

beichtstuehle.jpeg

offene Beichtstühle in der Kirche Gesù Nuovo, Neapel
offene Beichtstühle in der Kirche Gesù Nuovo, Neapel

NIEDERLANDE. (hpd) Der Vorsitzende des niederländischen Atheistisch-Humanistischen Verbandes "De Vrije Gedachte" kennt das Beichten aus eigenem Erleben. Er hat frühzeitig erkannt, dass es dabei der Kirche nur um eines ging: um die Kontrolle über die Sexualität der Gläubigen.

“Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, / und allen Brüdern und Schwestern, / dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe. / Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken.” So bekennt ein Katholik am Anfang der Messe seine Schuldigkeit. Als Messediener habe ich es noch auf Lateinisch gemacht: “Confiteor” (ich bekenne) … und es drauf angelegt, bei “mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa” meine Brusthöhle derart zu beklopfen, dass es laut herum klang.

Beachtlich die Folge: Gedanke … Worte … dann erst Werke. Zuerst wird das innere Leben angesprochen, Taten kommen als letztes. Heute machen die noch übrig geblieben Katholiken[1] es sich einfach mit einem kollektiven Schuldbekenntnis.

Ich habe noch die persönlichen “Ohrbeichte” erlebt. Die fühlte sich an wie ein Besuch beim Zahnarzt. Man trat in einen düsteren Raum ein, wo hinter einem Gitter im Halbdunkel der Beichtvater residierte. Man murmelte: “Ich bekenne meine Sünde vor dem allmächtigen Gott und vor Ihnen, Vater; meine letzte Beichte war…” (durfte nicht mehr als ein Jahr gewesen sein; ernsthafte Katholiken wie wir machten es monatlich).

Anton van Hooff
Anton van Hooff

Ich muss bekennen, dass ich als braver Bursche nicht sehr gut im Sündigen war; ich klaute nicht mal einen Keks zuhause. Einmal hatte ich in Wut ein Loch in den Puppenwagen meiner Schwester gestoßen. Es war so eine nette Sünde, dass ich sie mehrmals gebeichtet habe. Denn als man nichts zu melden hatte, fing der Beichtvater an, das Gewissen zu unterfragen: “Hast du etwa schmutzige Dinge gemacht?”

Erst viel später wurde mir gewahr, dass es sich im Beichtstuhl immer nur um Eines handelte: Sexualität. Wahrscheinlich kam der Priester auf diese Weise wenigstens “in Worten und Gedanken” zu der Befriedigung, die ihm in Taten untersagt war. Es kann kein Zufall sein, dass die Abschaffung der Ohrbeichte zusammenging, mit dem Massenaustritt von Geistlichen aus der Kirche. Sie schritten jetzt (öffentlich) zur Tat.

Charakteristisch für den doppelsinnigen Umgang mit der Sexualität ist die Position von der heiligen Mutter-Jungfrau Maria – auf Niederländisch in einer Alliteration “moedermaagd”. In jedem Gebet rief man diese Fürsprecherin an, mit “Maria, immer Jungfrau”, obwohl ich keine Ahnung hatte, was eine Jungfrau war. Fest stand nur, dass Maria es immer war. Es wäre ein ungeheurer Gedanke, dass sie tatsächlich vom Heiligen Geist penetriert worden war und – oh, Gräuel – dabei Genuss empfunden hätte. Aber die katholische Mutter hatte die Pflicht auf natürliche Weise Kinder in die Welt zu setzen, vorzugsweise in Mengen. So wurde die katholische Frau belastet mit einem ständigen Sündebewusstsein: nicht reine Jungfrau und doch Mutter. Und nach jeder Niederkunft hatte sie sich in der Kirche zu reinigen, denn anders als Maria war sie weder ante noch post partum Jungfrau.

Diese Beispiele aus meiner katholischen Jugend bezeugen die Präokkupation, die jede Religion mit Sex hat, denn diese Faszination ist bestimmt nicht exklusiv für den Katholizismus. Alle Religionen beschäftigen sich intensiv damit. Es wundert nicht, denn wenn es um allgemeine moralische Regel geht, hat die Religion nichts Spezifisches zu bieten. Die Menschheit hatte nicht zu warten bis Moses vom Berg Sinai abstieg mit dem Gebot “Du sollst nicht töten”. Menschen waren sich immer und überall im Klaren, dass Mord nicht eine gute Idee war. Aber von einer anderen Ordnung ist das Gebot, nicht die “Frau seines Nächsten zu begehren”. Vor allem der Guru Jesus von Nazareth hat sich verlegt auf die Verinnerlichung der Sünde. Der Gläubige der “in Gedanken, Worten oder Taten” sich im Verborgenen verging, sollte wissen: “Big Father is watching you”. Religion ist eine abscheuliche Art von Gedankenpolizei, die gerade gewissenhafte Menschen quält.

Weil in der Gedankenwelt Sex nun mal eine große Rolle spielt – es wird ziemlich viel in der Phantasie begehrt – hat die Religion das Individuum im Haltegriff, indem sie dem Gläubigen ständig Schuldbewusstsein verschafft. Nach der Vertreibung aus dem Paradies wurden Adam und Eva sich “ihrer Nacktheit bewusst”.

Bezeichnenderweise heißt freie Liebe “in Sünde leben”.

 


(erschienen in der Zeitschrift des Niederländischen Freidenker-Verbandes De Vrije Gedachte: “De Vrijdenker. Jaargang 45. Nummer 8. Oktober 2014” – deutsch vom Autor)


  1. In meiner Jugend gehörte 42 Prozent der niederländischen Bevölkerung zur römisch-katholischen Kirche, jetzt offiziell noch 18 Prozent, meistens ältere Leute und diejenigen, die es unterlassen haben, sich auszuschreiben (was in den Niederlanden keine steuerlichen Vorteile hat).  ↩