Notizen aus Polen

Wahldebakel mit Lichtblicken

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Robert Biedron
Robert Biedron

WARSCHAU. (hpd) Mitte November wählten die Polen ihre Vertreter in den Kommunen und Gemeinden sowie auf Ebene der Wojewodschaften. Durch technische Probleme, den mehrdeutigen Wahlausgang und Anschuldigungen der Opposition im Hinblick auf Wahlfälschung entwickelte sich die Kommunalwahl zu einer veritablen Affäre. Doch gibt es, wenn auch nur kleine, Lichtblicke - besonders für LGBT-Aktivisten und Atheisten.

Was war das für ein Wahlsonntag. Am 16. November gingen die Polen zu den Wahlurnen, um ihre Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen zu wählen. Dazu zählen zum Beispiel Bürgermeister sowie Abgeordnete der Stadträte und Wojewodschaften (ähnlich den deutschen Ländern). Aufgrund der Wahlruhe, die in Polen vor allen Wahlen herrscht, wurden die Befragungen von Bürgern nach Stimmabgabe um 21 Uhr veröffentlicht. Es war eine Sensation: die rechtsklerikale Recht und Gerechtigkeit (PiS) gewann den Befragungen nach landesweit mit etwa 32 Prozent der Stimmen. Danach kamen die rechtskonservative Bürgerplattform (PO) (27 %), die konservative Bauernpartei (PSL) (17 %), der Bund der Demokratischen Linken (SLD) (9 %) und der ultrarechte Kongress der Neuen Rechten (KDL) (4 %).

Für viele Polen eine mittlere Katastrophe: die Stärke von Recht und Gerechtigkeit, die als Regierungspartei zwischen 2005 und 2007 einen Skandal nach dem nächsten produzierte und auch international für Furore sorgte. Wer erinnert sich nicht an den Kartoffelkrieg? Doch der Schrecken währte nicht lange. Am Samstag der drauf folgenden Woche verkündete die Landeswahlkommission (PKW) die amtlichen Endergebnisse der Kommunalwahlen. Und wieder ist die Überraschung groß. Zwar Gewinnt die Partei des Populisten Jaroslaw Kaczynski mit 26,85 Prozent, doch kurz darauf kommt mit 26,36 Prozent die Bürgerplattform - ein denkbar knapper Abstand.

Die nächste Überraschung ist das gute Abschneiden der Bauernpartei (23,68 %), die zwar traditionell stark in den lokalen Strukturen verankert ist, doch in den letzten Jahren mit weitaus schwächeren Wahlergebnissen leben musste. Der große Verlierer der Wahlen ist der Bund der Demokratischen Linken (8,78 %). Die Nachfolgepartei der polnischen kommunistischen Einheitspartei (PZPR) prägte auch nach 1989 die Parteienlandschaft mit. Jetzt ist sie zur Partei am Rande der Szene verkommen, die ohne Programm vor sich her dümpelt.

Ferner überrascht das Wahlergebnis mit der Stimmenverteilung in den polnischen Landtagen (Sejmik). Die Bürgerplattform erlangt mit 179 Sitzen klar den Sieg gegen Recht und Gerechtigkeit, die nur auf 171 Sitze kommen. Die Bauernpartei hat sich mit 157 Sitzen deutlich verbessert und als letztes folgt der Bund der Demokratischen Linken weit abgeschlagen mit 28 Sitzen. Die hohe Anzahl an Sitzen für die PO und der Überraschungserfolg der PSL führen dazu, dass beide Parteien, die zusammen im polnischen Parlament regieren, als Koalition in 15 Landesparlamenten das Sagen haben. Die populistische PiS, der gemeinhin mangelnde Koalitionsfähigkeit mit irgendeiner der etablierten Parteien nachgesagt wird, kann nur in einem Landesparlament alleine regieren. Hier kann man somit nur von einer großen Niederlage sprechen.

Das große Wahldebakel

Angesichts großer Probleme im Rahmen der Wahlen geraten die Wahlergebnisse jedoch zur Randnotiz. Das Computerprogramm, mit dem die Ergebnisse aus den Wahllokalen in die Zentrale transferiert werden sollten, versagte in der Wahlnacht. Die polnische Presse sprach von einem Wahlchaos und erhob Anschuldigungen gegen die Staatliche Wahlkommission, die nach der Stimmauszählung geschlossen zurücktreten musste. Vorgeworfen wird der Institution, sie habe nur drei Monate vorher dieses System eingeführt und damit kaum Zeit zum ausführlichen Testen gehabt. Auch habe es schon im Vorfeld Hinweise gegeben, dass das System anfällig ist. Darüber hinaus gab es nur einen Angebot bei der öffentlichen Ausschreibung. Die Angelegenheit wir nun von der Obersten Kontrollkammer (NIK) geprüft.

Garniert wird das Debakel um die Stimmenauszählungen mit Vorwürfen der Opposition, es sei zur Wahlfälschung im großen Stil gekommen. Oppositionsführer und Hauptagitator von Recht und Gerechtigkeit Jaroslaw Kaczynski forderte auf einer Pressekonferenz Neuwahlen. Später sprach er in einem Interview mit dem erzkatholischen Sender Radio Maryja davon, dass die jüngsten Kommunalwahlen gefälscht seien. Diese Meinung wiederholte er in einer Rede vor dem polnischen Parlament (Sejm).

Ein starkes Argument, das Kaczynskis These stützt, sind die vielen ungültigen Stimmen (fast 18 %) bei den Wahlen der Landesparlamente. Indes war die Menge ungültiger Stimmen bei den Wahlen der lokalen Selbstverwaltungsorgane wie Bürgermeister oder Gemeindevorsteher wesentlich niedriger (2 %). Die Gazeta Wyborcza berichtete in dem Artikel “Tag der Schande” ferner über mutmaßlichen Stimmenkauf in Plock, einer Stadt nordöstlich von Warschau. Es sollen Wählerstimmen für 30–50 PLN (ca. 15 EUR) von Betrunkenen und Obdachlosen gekauft worden sein. Auch sollen kleine Gruppen von Aktivisten vor Wahllokalen für eine bestimmte Option geworben haben.

Kulminationspunkt mit Hausbesetzung

In der Woche nach den Wahlen wurde Polen daher von einer Protestwelle heimgesucht. In Warschau stürmten am Donnerstagabend nach den Wahlen Demonstranten aus dem rechten Lager das Gebäude der Landeswahlkommission und besetzten einen Konferenzraum. Die Demonstranten forderten Neuwahlen und den Rücktritt aller Mitglieder der Wahlkommission. Diese musste wegen des Vorfalls die Stimmenauszählung vorübergehend unterbrechen. In der Folge nahm die Polizei zwölf Personen fest. Anklage: Hausfriedensbruch.

Vor dem Gebäude der Kommission demonstrierten während dessen circa 1.000 rechte Demonstranten unter dem Motto: Stoppt die Wahlmanipulation. Die Partei Recht und Gerechtigkeit, die die Protestierenden eigentlich unterstützt, distanzierte sich von der Stürmung des Gebäudes und verurteilte diese.

Lichtblicke am Ende des Tunnels

Dabei ist nicht alles schlecht, was die Kommunalwahlen hervorgebracht haben. Lichtblicke zeigen sich in Anbetracht der zweiten Runde dieser Wahlen. Denn in Polen wird die Person in das Amt eines Bürgermeisters oder Präsidenten einer größeren Stadt gewählt, wenn diese mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereint. Posten, die somit Mitte November nicht vergeben wurden, mussten am Ende des Monats besetzt werden.

Bei zwei Wahlen ist es für das konservative Polen zu einer Überraschung sondergleichen gekommen. In Slupsk (Norden Polens) wurde der bekannte LGBT-Aktivist und bekennende Schwuler Robert Biedron zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Biedron setzte auf einen bürgernahen Wahlkampf und versprach, er werde die alten Seilschaften der Stadt auflösen und diese modernisieren - auch in Hinblick auf Umweltaspekte. Seine sexuelle Orientierung und seine Ansichten über weltanschauliche Fragen machte Biedron nicht zum Wahlkampfthema. Dennoch musste er Beschimpfungen und Übergriffen über sich ergehen lassen. Umso überraschender ist seine Wahl auch, da der Aktivist, der auch noch Atheist ist, vormals in Warschau wohnte und keine Kontakte zu Plock hatte.

Die zweite Überraschung betrifft Wadowice, die Geburtsstadt von Papst Johannes Paul II., der in Polen als der “polnische Papst” hochverehrt wird. Dort wurde Mateusz Klinowski zum regierenden Bürgermeister gewählt. Kalinowski ist Atheist, Linker und Befürwortet der Legalisierung von Marihuana.

Wird Polen nun modern? Ganz sicher nicht! Zwei Schwalben machen noch keinen Frühling. Rechte Kräfte sind noch immer sehr stark und werden immer stärker mit der zunehmenden Ungleichheit im Lande. Doch das Potenzial für ein modernes aufgeschlossenes Polen ist hier und da vorhanden. Wird es sich entwickeln können?