Zwölf Thesen zu einer neuen "Gretchenfrage" aus Sicht des säkularen Humanismus

Wie hältst Du es mit dem Islam und den Muslimen?

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Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln
Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln

BONN. (hpd) Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 findet nicht nur in Deutschland eine hochgradig emotionale und ideologisch aufgeladene Debatte zur Einstellung gegenüber dem Islam und den Muslimen statt.

Die Konfliktlinien verlaufen dabei u.a. um folgende Sachverhalte: Seit den genannten Ereignissen lässt sich ein Anstieg von Ressentiments und Vorurteilen gegen Muslime ausmachen. Islamistische Organisationen nutzen das Schlagwort von der “Islamophobie” zur Abwehr jeglicher Kritik am Islam und den Muslimen. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten malen ein Zerrbild von den Gefahren einer “Islamisierung” des Landes. “Gutmenschen” und “Multikulturalisten” wollen in der Anwesenheit von Muslimen nur eine kulturelle Bereicherung des Landes sehen. Nicht wenige deutsche Bürger sind gegen den Bau weiterer Moscheen. Andere Zeitbetrachter sehen darin eine Einschränkung der Religionsfreiheit. Wie sollen sich Anhänger eines demokratischen Atheismus und säkularen Humanismus dazu verhalten? Hierzu einige Thesen zur Debatte!

1. Am Beginn soll dabei aber zunächst eine Vergewisserung der eigenen Grundpositionen hinsichtlich der Auffassung zu Gesellschaft und Grundrechten, Religion und Säkularität stehen. Ein demokratischer Atheismus und weltlicher Humanismus nimmt hierzu eine nur scheinbar ambivalente Auffassung ein: Zum einen spricht er sich grundlegend gegen jede Religion als Ausdruck einer empirisch nicht beleg- und rational nicht begründbaren Deutung des Lebens und der Natur aus. Insofern besteht auch eine klare Frontstellung gegen den Islam. Zum anderen tritt er für Demokratie und Menschenrechte, Offenheit und Pluralismus als Grundprinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens ein. Dies bedingt auch die Anerkennung des Rechts auf Religionsfreiheit. Unabhängig davon, wie man zu den Aussagen und Normen eines Glaubens steht, soll dieser auch in einer freien Gesellschaft ausgeübt werden können. Gleichwohl findet entsprechende Praxis dort seine Grenzen, wo sie sich gegen die Grundrechte und Menschenwürde anderer Personen richtet.

2. Die ablehnende Einstellung gegenüber dem inhaltlichen Legitimationsanspruch des Islam ergibt sich aus unterschiedlichen Gründen auf den verschiedensten Ebenen: Ganz allgemein lässt sich sagen, dass dieser Glaube ebenso wie alle anderen Religionen nicht in der Lage ist, die Behauptung von der Existenz eines Gottes empirisch oder rational zu begründen. Dementsprechend mangelt es an nachvollziehbaren Belegen dafür, dass der angebetete Allah auch die einzig richtige Wesenheit dieses Typs ist. Auch das behauptete und verbreitete Wissen über gesellschaftliche und theologische Aspekte der Frühgeschichte des Islam kann keinesfalls als sicher gelten: Der als Gottes eigenes Wort geltende Text des Koran wurde lange Zeit nur mündlich weitergegeben. Über Mohammeds historisches Leben gibt es kaum zeitgenössische Belege, spätere Quellen entstammen nur dem Kreis der eigenen Anhänger. Und selbst hinsichtlich der historisch-politischen Ereignisse um den Religionsbegründer steht es bezogen auf die eigentliche Quellenlage schlecht.

3. Ähnlich wie die Geschichte des Christentums ist die Geschichte des Islams keineswegs eine von “Frieden” und “Liebe” geprägte Abfolge von historischen Ereignissen gewesen. Immer dann, wenn diese Religion eine große gesellschaftliche Akzeptanz und herausragende politische Bedeutung aufwies, artikulierte sie sich in Form von imperialer Eroberung und repressiver Unterdrückung. Die Ausweitung individueller Freiheit und sozialen Pluralismus konnte wie auch bei anderen Religionen häufig nicht mit, sondern meist nur gegen den Islam vorangetrieben werden. Für die Geschichte des 20. Jahrhunderts gilt darüber hinaus, dass die Demokratisierungswellen an der islamischen Welt auch nach dem “Arabischen Frühling” vorbeiliefen. Dies erklärt sich nicht durch die Abhängigkeit vom Westen, die Folgen des Kolonialismus, den Mangel an Rohstoffen oder die Unterentwicklung der Infrastruktur. Diese Rahmenbedingungen waren auch nicht-islamischen Entwicklungsländern eigen, gleichwohl bildeten sich dort ansatzweise funktionierende Demokratien heraus.

4. Dabei verdient eine Besonderheit des Islam als Religion spezifische Beachtung: Im Selbstverständnis besteht ein Totalitätsanspruch für die gesellschaftliche und politische Ebene dergestalt, dass Gottes Recht und Wille in allen Lebensbereichen durchgesetzt werden soll. Insofern kennt ein so verstandener Islam auch keine Trennung von Religion und Staat bzw. religiöser Glaubensgemeinschaft und politischer Gesellschaft. Dem widerspricht auch nicht, dass eine derartige Grenzziehung auch in der christlich geprägten Welt heute nicht immer konsequent eingehalten wird, und ebenso wenig, dass sich auch die politischen Ordnungen in der islamischen Welt keineswegs immer an diese Vorgaben hielten. Die besonders enge Verkopplung von Politik und Religion im Islam ließ sich übrigens bereits in der Entstehungsphase ausmachen, wirkte doch Mohammed laut der islamischen Überlieferung nicht nur als “Prophet”, sondern auch als “Staatsmann”. Im historischen wie theologischen Sinne steht demgemäß der islamische Staat auch für eine Theokratie.

5. Die enge Verkopplung von Glaube und Religion, Gesellschaft und Politik im Selbstverständnis stellt auch ein Problem für die Akzeptanz bzw. Toleranz von Grundpositionen dar. Wie dem Christentum sind auch dem Islam ausgeprägte Absolutheitsansprüche und Ausgrenzungstendenzen eigen: Der Koran beschreibt diese Religion an mehreren Stellen als den einzigen Weg zum Heil und fordert teilweise mit Gewaltmetaphern einen diskriminierenden Umgang mit Anders- und Nichtgläubigen. Die dabei zum Ausdruck kommenden Einstellungen des Dogmatismus und der Intoleranz mögen für die religiöse Ebene im engeren Sinne akzeptabel sein, für die gesellschaftliche Ebene im weiteren Sinne kann dies nicht gelten. Die Offenheit und der Pluralismus einer Sozialordnung gestatten auch bedenkliche Auffassungen und rigorose Positionen. Dies findet aber ebendort seine Grenze, wo der Anspruch auf eine verbindliche Übertragung dieser Prinzipien auf die Rechtsordnung im Sinne von Allgemeinprinzipien oder Sonderrechten eingefordert wird.

6. Aus all dem lassen sich sowohl legitime Ansprüche der Muslime wie notwendige Zumutungen für Muslime ableiten: Einerseits haben sie im Rahmen ihrer Grund- und Menschenrechte die Möglichkeit, ihren Glauben und ihre Religion frei zu praktizieren. Die Grenzen dafür liegen dort, wo die Grund- und Menschenrechte von Anderen in- und außerhalb ihrer Gemeinschaft tangiert sind. Eine offene Gesellschaft kann in diesem Rahmen auch dogmatische und exklusive Geltungsansprüche von Religion dulden, sofern sie sich auf die Sphäre des Glaubens im engeren Sinne beschränken. Die damit verbundene Toleranz bedeutet gleichwohl nicht den Verzicht auf Kritik: Das Recht auf Freiraum für die Religion bedingt in dieser Perspektive auch das Recht auf Kritik an der Religion. Insofern müssen sich Muslime wie die Angehörigen jeder anderen Glaubensform oder Weltanschauung öffentlicher Kritik aussetzen. Sie stellt in der gebotenen Sachlichkeit keine Beleidigung des Islam, sondern einen legitimen Ausdruck der Meinungsfreiheit dar.

7. In diesem Kontext gilt es allerdings zu beachten, dass nicht wenige der Muslime in Deutschland in unterschiedlichem Maße einer Diskriminierung ausgesetzt sind: Einschlägige sozialwissenschaftliche Untersuchungen veranschaulichen derartige Einstellungspotentiale, hetzerische Propaganda von rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Seite steht ebenfalls dafür. Um derartigen Auffassungen und Bestrebungen nicht unbewusst “Stoff” zu liefern, sollte sich eine kritische Sicht in differenzierter und sachlicher Weise artikulieren. Dabei gilt es deutlich zu machen, dass die Einwände aus der Perspektive eines demokratischen Atheismus und säkularen Humanismus gegen die bedenklichen Geltungsansprüche im Namen des Islam, nicht aber gegen die Muslime als Bürger und Individuen gerichtet sind. Die damit verbundene Differenzierung mag im öffentlichen Diskurs nicht leicht vermittelbar sein. Gleichwohl bedarf es ihr, um die Debatte auf der Ebene der Sachlichkeit, ohne die Schürung minoritätenfeindlicher Ressentiments zu führen.

8. Denn ebenso wie sich alle anderen sozialen Gruppen in einer offenen Gesellschaft einer kritischen Betrachtung unterziehen lassen, so muss dies auch für die Gemeinschaft der Muslime gelten. Hierbei bedarf es folgender Einsicht: “die” Muslime gibt es nicht. Je nach Bildungsgrad, Einstellung, Herkunft und Umfeld lassen sich erstaunliche Differenzen ausmachen. So weisen etwa die iranischstämmigen Muslime in Deutschland einen höheren Grad an Säkularität und Schulbildung als die Angehörigen der deutschstämmigen Mehrheitsgesellschaft auf. Bei den türkischstämmigen Muslimen verhält es sich genau umgekehrt, woran ein entsprechendes gesellschaftliches Konfliktpotential erkennbar ist. Insofern verwundert auch nicht der hohe Problemanteil gerade in dieser sozialen Gruppe: Arbeitslosigkeit und Bildungsdefizite, Gewaltorientierung und Kriminalitätsneigung, Nationalismus und Religionsfixierung, Frauendiskriminierung und “Zwangsheirat” lassen sich ebendort überdurchschnittlich häufig ausmachen.

9. Darauf um der Entwicklung einer offenen Gesellschaft willen aufmerksam zu machen, hat weder etwas mit Fremdenfeindlichkeit noch mit “Islamophobie” zu tun. Es geht vielmehr darum, die soziale Realität in angemessener Weise zur Kenntnis zu nehmen. Hier stellt sich auch die Frage nach den Ursachen, die nicht in allen Fällen in der Religion des Islam gesehen werden können. Die Praxis der “Zwangsverheiratung” geht etwa stärker auf eine traditionelle Familienideologie zurück und findet sich mitunter auch bei christlich orientierten Einwanderungsgruppen in geringeren Anteilen. Gleichwohl dürfte es kein Zufall sein, dass Integrationsprobleme mit Migranten aus islamisch geprägten Ländern weitaus häufiger als mit Migranten aus anderen Regionen ausgemacht werden können. Deren Normen und Sozialverhalten sind ebenso wie die Normen und das Sozialverhalten anderer Menschen im Lichte der Grund- und Menschenrechte zu sehen. Dies bedingt etwa auch die Ablehnung einer angeblich kulturell oder religiös bedingten Frauendiskriminierung.

10. Gegen diese kritische Perspektive richtet sich mitunter ein öffentlicher Diskurs, der mit dem Schlagwort der “Islamophobie” arbeitet. Es stellt in der Begriffswahl auf ein irrationales Gefühl gegenüber einer Religion und deren Anhängern ab. So etwas gibt es laut einer Reihe von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen durchaus. Gleichwohl steht der Terminus “Islamophobie” nicht für eine inhaltlich angemessene und trennscharfe Bezeichnung für das Gemeinte: Er vermischt im öffentlichen Sprachgebrauch – vor allem durch islamistische Kulturorganisationen – die diffusen Ressentiments gegen eine Minderheit mit der angemessenen Kritik an deren Sozialverhalten. Kurzum, “Islamophobie” dient in der Diskussion all zu häufig der Abschottung von und der Immunisierung vor Kritik. Weitaus angemessener wäre hier als Bezeichnung für eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit der Terminus “Antimuslimismus”, stellt er doch auf die Feindschaft gegenüber Muslimen als sozialer Gruppe unabhängig von einer Islamkritik als Kritik an einem religiösen Glauben ab.

11. Demnach nimmt der demokratische Atheismus und säkulare Humanismus im oben ausgeführten Sinne die Position eines Kulturpluralismus und nicht die eines Kulturrelativismus ein. Worin bestehen die Unterschiede? Beide Auffassungen sehen in der Artikulation der Normen und Werte unterschiedlicher Kulturen einen legitimen Ausdruck der Offenheit einer Gesellschaft. Der Kulturrelativismus akzeptiert dabei ohne Bewertung nahezu alle kulturellen Besonderheiten als Ausdruck entsprechender Identitäten in den jeweiligen sozialen Gruppen. Demgegenüber verweist der Kulturpluralismus darauf, dass es um einer Einheit in Vielfalt willen eines unabdingbaren Minimalkonsenses bedarf. Dieser besteht in der Akzeptanz der Normen von Demokratie und Individualität, Menschenrechten und Offenheit, kann doch nur auf diesen Werten ein kulturübergreifendes Miteinander auf der Basis gleicher Rechte und Würde möglich sein. Dies schließt verständlicherweise die Indifferenz gegenüber der angesprochenen Frauenunterdrückung aufgrund von kulturellen Vorgaben aus.

12. Was bedeuten demnach aber die vorgenannten Positionen für die Einstellung des demokratischen Atheismus und des säkularen Humanismus gegenüber aktuellen Konfliktfeldern wie dem Bau von Minaretten und Moscheen? Hier ergibt sich das Problem eines Spannungsverhältnisses von rechtlicher Möglichkeit und sozialer Problematik: Einerseits können Religionsgemeinschaften ihre öffentlich Präsenz durch Gebäude in selbstgewählter Form dokumentieren, sofern die Vorhaben nicht gegen andere verbindliche Vorgaben wie etwa das Baurecht verstoßen. Andererseits kann sich mit einer bestimmten Form der Präsentation auch eine politische Botschaft verbinden, etwa in Gestalt einer mangelnden Integrationsbereitschaft oder eines öffentlichen Machtanspruchs. Dagegen bedarf es kritischer Stimmen im Diskurs, um auch auf muslimischer Seite einen Reflexionsprozess voran zu treiben. Behinderungen und Verbote dürften ihn nicht fördern. Entscheidend bleibt auch hier das glaubwürdige Eintreten für die eigenen Werte von Aufklärung und Kritik.