BERLIN. (hpd) In letzter Zeit hört man von Politikern häufiger die Forderung, die Ängste der 17.500 Menschen ernst zu nehmen, die auf Dresdens Straßen den Ruf “Wir sind das Volk” in Misskredit bringen. Aber selbst, wenn das richtig sein mag; es bleiben eine Menge Fragen, die zuvor zu stellen sind.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die Initiatoren hinter den Demonstrationen in Dresden aus der neurechten Ecke kommen. Das trifft sowohl auf Lutz Bachmann in Dresden zu als auch zum Beispiel auf Melanie Dittmer in Bonn, die es “unerheblich” findet, dass es in Deutschland einen Holocaust gab.
Da stellt sich zwangsläufig die Frage, weshalb bislang unbescholtene Bürger, die ihrem Unmut über die Politik in ihrem Lande Ausdruck verleihen wollen, gerade diesen braunen Demagogen hinterher laufen müssen. Und das im besten Wortsinne. Denn sicherlich sind nicht alle 17.500 Menschen, die sich in Dresden versammelten, “Neonazis”. Sondern kleine Handwerker, Angestellte, Arbeitslose, Rentner; Menschen, deren soziale Nöte dazu führen, dass sie sich von der Gesellschaft überfordert fühlen. Genau die gleichen Klassen also, die 1933 die bis dahin einflusslose NSDAP an die Macht wählten. Weil diese Partei “es endlich mal gesagt hat.”
Weshalb - frage ich mich - weshalb haben die 17.500 ihren Unmut über die Politik nicht im Rahmen zum Beispiel der Occupy-Bewegung laut werden lassen? Und weshalb wählen genau die, die heute gegen die Politiker und die Presse schimpfen, seit 1990 immer wieder die gleiche Partei?
Gerade Sachsen ist ein gutes Beispiel dafür, dass Demokratie von Vielen noch immer nicht verstanden wird: denn wie ist es zu erklären, dass noch heute das Erbe von “König Kurt” das Land beherrscht. Seltsam nur, dass jetzt viel Volk auf die Straße geht, um mit den Braunen gegen die seit 25 Jahren immer wieder gewählten Schwarzen zu protestieren. Stellt sich wirklich niemand von denen die Frage, ob Opposition nicht vielleicht auch im Rahmen anderer, demokratischer Parteien möglich wäre? Doch wer weiß schon, wie der Landeschef der SPD oder der Grünen in Sachsen heißt…
Wer heute auf der Straße gegen die “Systempresse” auf die Straße geht, hat sich jahrzehntelang nicht darüber erregt, dass die Tageszeitungen Sachsens die CDU-Regierung und die Kirchen hofierten. Und es ist schon sehr amüsant, mit anzusehen, wie - bis auf die Zeitung mit den vier Großbuchstaben - heute Journalisten versuchen, zu begreifen, weshalb ihr Ruf so ruiniert ist.
Manchmal frage ich mich, ob sich nicht heute zeigt, weshalb “ARD” in der DDR als “Außer Raum Dresden” übersetzt wurde? Kann es sein, dass gerade die Sachsen es schwer damit haben, sich an demokratische Spielregeln zu halten? Und Gegenmeinungen auszuhalten? Weil sie das weder vor ’89 noch danach erlernt haben?
Und nun haben sie - nach 25 Jahren - festgestellt, dass es eine Welt außerhalb Sachsens Grenzen gibt. Und Menschen von Außerhalb in das Land zwischen Elbsandsteingebirge und Hoyerswerda kommen - wo schon einmal der jubelnde Mob Ausländer durch die Stadt jagte und klatschte, als Asylbewerberheime brannten.
Ist es vielleicht möglich, dass in diesem straff konservativ reagierten Land, in dem sich eine politische Justiz ungestört herausgebildet hat, in der rechte Aufmärsche geschützt und dagegen Protestierende kriminalisiert werden, der Wunsch nach dem “starken Mann” regt? Der verspricht, dass alles “wieder gut wird”. Und die Welt übersichtlich.
Abschließend: es ist tatsächlich ein Fehler zu sagen, dass “bei den Demonstrationen ein paar Neonazis mitmarschieren” - andersherum wird ein Schuh draus: die Masse marschiert mit den Neu-Rechten mit. Es fehlen nur noch die Fackeln.
3 Kommentare
Kommentare
Christoph Baumgarten am Permanenter Link
Eine gute Analyse des sächsischen Beitrags zu Pegida.
Gut getan hätte der Analyse noch ein kleiner Hinweis, dass Pegida eben nicht nur aus Dresdnern bzw. Sachsen besteht.
Rudolf Ladwig am Permanenter Link
Rechtsextremistin Melanie Dittmer hat es nicht (bedenklich historisch selektiv) für “unerheblich” gefunden, dass es in Deutschland einen Holocaust gab; nein, sie deklarierte (eine eindeutige Aussage zur historische Ta
Hans Trutnau am Permanenter Link
Klartext: pegida ist eine Schande!
Es ist erschreckend und zugleich beschämend, was unter der Parole pegida abläuft, wenn man bedenkt, woraus sich diese 'Bewegung' zu großen Teilen speist - aus dem Ungeist von Hoyerswerda von vor über 20 Jahren; ein Ungeist, der fraglos frühere Wurzeln hat und sich immer wieder auf ein tumbes ingroup/outgroup-Denken bestimmter Couleur zurückführen lässt. Protagonisten wie Bachmann oder Dittmer spiegeln diese Farbe mustergültig wider: Brauner Sumpf. Wer das verneint, verharmlost. Es ist bedauerlich, dass dies auch von manch gestandenem Humanisten nicht wahrgenommen wird.
Es ist erfreulich, dass die PROpegida-Aktion in (change.org) eingestellt wurde, wohingegen sich die NOpegida-Aktion (ebenda) wachsender Beliebtheit erfreut.
Weniger erfreulich ist, dass sich die humanistische Szene hier wie auch in anderen Foren durch einen jenseitigen Diskussionsstil völlig unnötig entzweit.