Eine Fallstudie zu Schweden

Staatsschulden und Staatstätigkeit im Wohlfahrtsstaat

BONN. (hpd) Der Politologe Philip Mehrtens untersucht in seine Studie "Staatsschulen und Staatstätigkeit. Zur Transformation der politischen Ökonomie Schwedens" den sozial- und wirtschaftspolitischen Umgang mit zwei Finanzkrisen in dem skandinavischen Land. Einerseits beeindruckt die Arbeit durch das entwickelte Differenzierungsvermögen und die hohe Sachkompetenz, andererseits hätte man sich hinsichtlich der politischen Lehren aus dem Fallbeispiel auch in einer vergleichenden Perspektive doch etwas klarere Positionen gewünscht.

Welche Folgen haben Schuldenkrisen für einen Staat hinsichtlich seines Selbstverständnisses als entwickelter Wohlfahrtsstaat? Diese Frage stellt sich mit Blick auf die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Entwicklungen auch für ein Land, das als Musterbeispiel für einen sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaat galt bzw. gilt: Schweden.

Der Politologe Philip Mehrtens, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, legt dazu eine Studie mit dem Titel "Staatsschulden und Staatstätigkeit. Zur Transformation der politischen Ökonomie Schwedens" vor. Für das Land als Untersuchungsobjekt sprach, dass die Entwicklung der dortigen Staatsfinanzen von einem ständigen Auf und Ab geprägt war, wobei sich Fiskalkrisen und Konsolidierungsphasen mit Haushaltsüberschüssen abwechselten. Anhand des Verschuldungsverlaufs Schwedens und der damit einhergehenden Transformationsprozesse der Ökonomie sollten nach Mehrtens Staatsschulden und Staatstätigkeit in ihrer Wechselwirkung untersucht werden.

Dabei nimmt der Autor eine finanzsoziologische Perspektive gegenüber der volkswirtschaftlichen Entwicklung ein, wobei folgende Forschungsfragen behandelt werden: Es geht zunächst um die Erörterung der Ursachen für die Verschuldungskrisen, sodann um die Gründe für eine nur kurzfristige Besserung in der ersten Krise der 1980er Jahre und eine nachhaltigen Besserung in der zweiten Krise der 1990er Jahre, aber auch um den Sonderweg eines Sparens mit regelmäßigen Haushaltsüberschüssen auch nach der Fiskalkrise in den 2000er Jahren. So gliedert sich denn auch die Arbeit von Mehrtens: Nach Ausführungen zu forschungspraktischen Grundlagen der Methodologie und des Untersuchungsdesigns beschreibt er zunächst die politische Ökonomie Schwedens in der Nachkriegszeit. Dem folgend geht er ausführlicher auf die erste Verschuldungskrise mit den bürgerlichen Krisenmaßnahmen und dem sozialdemokratischen "Dritten Weg" und danach auf die zweite Verschuldungskrise mit der monetaristischen Wende und den tiefgreifenden Reformen ein.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei "auf einer systematischen Rekonstruktion der schwedischen Transformationsprozesse, die zumindest eine theoretisch generalisierbare Erklärungslogik und Wirkungszusammenhänge aufdeckt, obwohl sie nur auf den empirischen Daten eines Falls basiert" (S. 44). Derartige Kontexte behandelt Mehrtens dann auch für die folgende Phase der aufstrebenden ökonomischen Entwicklung, wo die Regierung ihre Sparpolitik selbst in den guten Zeiten fortsetzte. Er beschreibt dabei den graduellen Wandel anhand von Bereichen wie der Arbeitsmarktpolitik, dem Bildungssektor und dem Gesundheitssystem ebenso wie der Kinderbetreuung, dem Pflegesektor und der Rentenpolitik. Dies hatte folgende Konsequenzen: "Einerseits sind die Steuersätze, die Staatsquote und die Generosität und die Universalität der sozialen Sicherungssysteme im Gegensatz zu anderen Ländern hoch …" Andererseits wurde in kaum einem anderen Industrieland "derart umfangreich gekürzt, liberalisiert und das Institutionengefüge transformiert" (S. 261f.)

All dies beschreibt und kommentiert Mehrtens mit differenziertem Blick und großer Sachkenntnis, wobei eine beachtens- und reflexionswerte Fallstudie über die Folgen von Finanzkrisen in Wohlfahrtstaaten entstanden ist. Gleichwohl fragt man als Leser am Ende dann doch: "Was lehrt uns das?" Oder seriöser formuliert: Worin liegt der genaue Erkenntnisgewinn für den Umgang mit Finanzkrisen? Welche politischen Konsequenzen können für den sozialen wie wirtschaftlichen Bereich daraus gezogen werden? Durchaus zutreffend spricht der Autor etwa den Kontext von steigender Einkommensungleichheit und sinkender Partizipationsbereitschaft an. Er schreibt ganz zum Schluss auch: "Es ist politischer Wille und nicht finanzieller und ökonomischer Zwang, der die Wandlungsprozesse forciert" (S. 272). Gerade da wird es aus politischen Gründen besonders spannend, und gerade da beschränkt sich Mehrtens doch allzu sehr auf allgemeine Kommentare. So wirkt die ansonsten durchaus gelungene Studie mehr ökonomisch und weniger politologisch.

 


Philip Mehrtens, Staatsschulden und Staatstätigkeit. Zur Transformation der politischen Ökonomie, Frankfurt/M. 2014 (Campus-Verlag), 297 S.