Die meisten Theologen würden sich daher, so Kubitza, zwar artig zum geschichtlichen Jesus wie zu einer Ehefrau bekennen, ihre Leidenschaft aber gelte dem dogmatischen Christus als ihrer heimlichen Geliebten. Nur die Liebe (die angenehmste Form des Wahnsinns) könne erklären, warum gestandene Männer und Frauen, die sich selbst als Wissenschaftler verstanden wissen wollen, wenn sie von Jesus redeten, ins Schwärmen gerieten wie pubertierende Pennäler.
Auf die Frage, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätze, dass Jesus überhaupt existiert hat, führte er aus: Es gab und gibt einzelne Theologen, wie z.B. Hermann Detering, die behaupten, dass er ein reiner Mythos sei, aber man schaffe sich damit tatsächlich mehr Probleme, als man löse.
Er selbst gehe davon aus, dass Jesus wohl eine historische Person war, die immer mehr mythologisiert wurde. Denn wenn man davon ausgehe, dass er erfunden wurde, warum habe man ihn dann mit so vielen Fehlern ausgestattet, warum ließ man ihn taufen, warum kreuzigen, warum einen so gängigen Namen tragen, warum einen so provinziellen Geburtsort haben?
Die jüdische Sicht auf Jesus sei schon immer viel realistischer gewesen, wie die Forschung festgestellt habe: ein Mensch aus seiner Zeit, vermutlich verheiratet, weil er sonst angegriffen worden wäre.
Wenn es in Jesus’ Worten wirklich eine göttliche Offenbarung gegeben habe, dann sei es sein gravierendster Fehler gewesen, nichts Schriftliches hinterlassen zu haben. Alles sei aus zweiter oder dritter Hand überliefert und daher sicher voller Missverständnisse. Eventuell hat er auch deshalb nichts Schriftliches hinterlassen, weil die Welt ja bald untergehen sollte. Aber wenn Jesus doch tatsächlich sagte, dass einige Zeitgenossen das Reich Gottes noch erleben würden, hätte man ja spätestens im zweiten Jahrhundert zur Kenntnis nehmen müssen, dass er sich geirrt hatte…
Die These vom Seitensprung Marias mit dem römischem Offizier Panthera bezeichnet Kubitza als Legende: Sie tauchte erst 200 Jahre später auf und ist daher sicher kein historisches Zeugnis mehr. Aber dass Jesus öfter nur als "Sohn der Maria" bezeichnet wurde, könnte darauf hinweisen, dass er unehelich geboren war…
Zur Frage, wie denn die Theologen auf seine Bücher reagierten, war die Antwort knapp: sie würden grundsätzlich ignoriert. Er plane aber, alle bekannten evangelischen Theologen auf das neue Buch hinzuweisen. Er rechnet damit, dass es zwar gelesen wird, aber nicht rezipiert, da "man" damit kaum etwas zu gewinnen habe… Er behandele in seinem Buch nur die gängigen theologischen Ansichten, mit Extrempositionen würde er es den Gegnern zu leicht machen. Diese gängigen Positionen kämen aber nicht in Predigten vor. Wenn die berühmten "wissenschaftlich vergeistigten" Theologen mitunter einmal zu Predigten eingeladen würden, sei er teilweise schockiert, wie anders gegenüber dem "gemeinen Volk" gepredigt werde.
Er habe auch Freunde unter Pfarrern, mit denen er zusammen studiert habe, von denen einige sagen würden: "Jetzt bin ich 40 oder 50 Jahre alt, ich habe doch nichts anderes gelernt…" Oder: "Ich glaube halt Nonsens, das tut gut." Oder man verschreibe sich allein der Religion als Wellness: Es ist so ein tolles Gefühl im Gottesdienst.
Gefährlich seien die Auswirkungen von Dogmen auf die Realität: aus der Idee von der Reinheit Mariens etwa, wahrscheinlich ohnehin nur ein Übersetzungsfehler, ergebe sich nach wie vor die Haltung der Kirchen zu Abtreibung und PID, zur Stellung der Frau allgemein, die ja eigentlich so sein sollte wie Maria…
Religion, so Kubitza, war einst ein Selektionsvorteil und wird daher nicht schnell verschwinden. Heute ist sie zum Hindernis geworden; die Welt sähe ohne viel friedlicher aus.
Auf die Frage, was ihn denn letztlich zum Bruch mit der Theologie geführt habe, erklärte er, über die Kenntnisse, welche er im "Jesuswahn" dargelegt hat, habe er zwar schon damals verfügt, sie sich aber immer wieder so "zurechtgebastelt", dass er dann doch seinen Glauben nicht aufgeben musste. Ausgetreten aus der Kirche war er zunächst nur aus Protest, weil für eine Kirchenorgel extrem viel Geld verschwendet wurde.
Erst später sei er kritisch geworden, nachdem er sein "Damaskus-Erlebnis" hatte: das Buch "Denn sie wissen nicht was sie glauben" von Franz Buggle.
Bis dahin hatte er die negativen Stellen in der Bibel immer komplett überlesen. Denn tatsächlich, auch Theologen tun sich schwer mit der so teilweise zähen und langweiligen Bibel-Lektüre: man blättert einfach weiter, bis man etwas findet, was einem gefällt. Und wenn man etwas Grausames liest, dann blättert man einfach weiter.
Das Wesen der Bibel wie auch des Korans sei es, dass sich immer beides darin befinde: Schreckliches wie Angenehmes, daher könne man diese Schriften für alles heranziehen und niemals auf ihrer Grundlage ein funktionierendes faires Gemeinwesen gründen. Dies könne man nur auf Basis der Menschenrechte und allgemeingültigen Vereinbarungen wie dem Grundgesetz.
Auf die Schlussfrage, wie man denn am sinnvollsten schon im Vorfeld den in zwei Jahren anstehenden "Luther-Käßmann-Festspielen" begegnen könne, verwies er auf schon bestehende Flyer, die es zu ergänzen gälte, und welche vor allem "unter das Volk" zu bringen seien: aufklären, bis sich die Theologen eigentlich schämen müssten, sich auf solcherlei Huldigungsveranstaltungen blicken zu lassen. Huldigungsveranstaltungen, zu denen man mit großer Sicherheit mit den Worten aus Kubitzas "Dogmenwahn" wird sagen müssen: Hier wird "die intellektuelle Redlichkeit gekreuzigt".
6 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
H.-W. Kubitza ist im Beirat der gbs m.E. ein außerordentlich würdiger Nachfolger des vor 4 Jahren verstorbenen Franz Buggle.
Andreas am Permanenter Link
Als echter Theologe stellt Herr Kubitza in seinen Werken zwar die kirchliche Auslegung des Neuen Testaments in Frage, nicht aber den Lebenslauf (s)eines Jesus.
Wer die Evangelien als Werk der Kirchen sieht und nicht sagen kann, wo etwas gefälscht wurde, muss wissenschaftlich redlich (!) zu dem Ergebnis kommen, dass keinerlei (!) Aussagen über eine Person namens Jesus Christus möglich sind. Nicht einmal seine geschichtliche Existenz ist nachweisbar.
Aber so ganz loslassen können Theologen halt auch nicht.
Peter am Permanenter Link
Zum Glück kann er noch wie ein Theologe denken!
Und ob die Person Jesus Fiktion ist, ist doch völlig wurscht für seine Kritik.
valtental am Permanenter Link
Naja, so "wurscht" ist es nun auch wieder nicht.
Kubitzka sollte sich vielleicht doch noch mal mit den Vertretern der Radikalkritik beschäftigen, denn seinen Äußerungen scheint eine erhebliche Unwissenheit über die Option Mythos zugrunde zu liegen. Diese Option verkompliziert nicht die Lage, sondern bietet die Möglichkeit für zahllose jetzige Widersprüche und blinde Flecken in der Genese des Christentums plausible Erklärungen zu finden. Und unter einer Mythoshypothese müssten natürlich die Arbeitsgrundlagen der Theologen, die Schriften vorallem bis zum 2. Jh. inhaltlich und chronologisch ganz anders bewertet werden. Eigentlich betreibt Kubitzka selbst nur eine Art Binnenkritik, denn er stellt die Interpretation der Textgrundlagen der Theologen nicht infrage.
Die eigentlichen Probleme des Christentums sind m.E. eben nicht die verschiedensten Dogmatikspielchen der Theologen, sondern eben ihr Beharren auf einer historischen anstatt einer symbolischen Interpretation. Die Gläubigen laufen nicht wegen Theologengeschwurbel weg (das dürfte wohl kaum einer von ihnen verfolgen), sondern weil vielen der Spagat, den sie zwischen ihrem zeitgenössischen Denken und den kirchlichen Historienpostulaten der Bibelschriften aufgenötigt bekommen, anscheinend zu anstrengend, oder zu peinlich wird. Kubitzka mag ""die Theologen dort abholen, wo sie sich derzeit befinden" - nur für was und wohin? Welchen Sinn soll das Buch über eine gewisse Belustigung für Theologiekritiker hinaus haben, wenn der Autor eine Mythosoption schlicht für irrelevant hält, und so selbst in der Dogmatik verfangen bleibt?
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Eine sehr schöne, treffende Rezension eines wahrhaft aufklärenden Buchs. Ich selbst habe bei Amazon ebenfalls eine Besprechung dieses Buches eingestellt. Sie endet so:
Der physische, psychische und moralische Zustand unserer Gesellschaft wäre mit Sicherheit weitaus befriedigender, wenn die in der Summe ungeheuren geistigen Anstrengungen der Heerscharen von Theologen, das angeblich biblische Wort Gottes mit der Logik und der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen, sich auf die Bewältigung konkreter, die Menschen tatsächlich bedrängender Probleme gerichtet hätten. … Was würden wir vermissen, wenn es diese dogmatische Theologie nicht gäbe, eine Theologie, die ver-klärt und die nicht er-klärt. Kubitza gibt darauf eine klare und überzeugende Antwort: Nichts! Gewinnen würden wir mehr intellektuelle Redlichkeit, vor allem einen unverstellteren Blick auf die Wirklichkeit und mehr Gewinn an befreiender Wahrheit.
Jütte, Stephan am Permanenter Link
Vielleicht wird Sie das erstaunen, aber die 'neuen' Erkenntnisse des Herrn Dr.
Wenn man – und genau das tut Kubitza mit seinem Zerrbild theologischer Forschung – die Theologie als System versteht, das wahre Aussagen über den Menschen und die Welt im Rekurs auf die Bibel produzieren will, dann missversteht man Theologie grundsätzlich. Solches tut die Predigt. Aber vielleicht nicht mutwillig. Darum liegt mir an einer Differenzierung sehr viel:
Theologie wie ich sie verstehe und gelernt habe und nun seit mehreren Jahren vermittle, versteht sich als hermeneutische Kulturwissenschaft welche den religiösen Deutungsaspekt menschlichen Lebens beschreibt, historisch und philosophisch einordnet und systematisiert. Theologie so verstanden setzt sich mit menschlichen Sinn- und Lebensdeutungen auseinander und produziert diese nicht. Ja, noch nichteinmal löst sie deren implizite oder explizite Fragen. Solche Theologie erhöht das Rationalitätsproblem religiöser Sinndeutung, indem sie die Komplexität religiöser Rede erhöht und nicht reduziert.
Dabei hat sie selbstredend nach Massgabe kohärenztheoretischer Wahrheitstheorie zu verfahren, ihre Methode offen zu legen und Kritik auszusetzen und in aller menschlichen Selbstbescheidung zu wissen, dass sie der Erde verpflichtet ist.
Die von Ihnen (zu Recht) kritisierte Theologie ist ja gerade dadurch von wissenschaftlicher Theologie verschieden, dass sie selbst religionsproduktiv ist. In diesem Sinne: Wir strafen doch auch nicht die ganze Philosophie ab, bloss weil es in ihrer Geschichte nicht nur Weltbild-erklärende sondern auch produzierende SchafferInnen gab? Wir halten die Biologie zu Recht für eine Wissenschaft, auch wenn Dawkins (als Biologe!) sie in die gefährliche Nähe zum naturalistischen Fehlschluss gebracht hat. Das ist dann eben keine Biologie, Philosophie oder Theologie im wissenschaftlichen Sinne, sondern bestenfalls ein rührendes, orientierendes, oft aber auch etwas kitschig-peinliches Weltbild religionsproduktiver Menschen.
Dr. Stephan Jütte, Universität Bern, Dogmatik und Religionsphilosophie