Islamischer Religionsunterricht oder Islamkunde-Unterricht?

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Dr. Ralph Ghadban
Dr. Ralph Ghadban

BERLIN. (hpd) Der Berliner Philosoph und Islamwissenschaftler Dr. Ralph Ghadban hat für den Bundesweiten Arbeitskreis der Säkularen Grünen ein Papier erarbeitet, dass sich mit dem von einigen Politikern geforderten islamischen Religionsunterrricht auseinandersetzt. Ghadban plädiert darin für die Einführung eines Islamkunde-Unterrichts.

Die Befreiung von der kirchlichen Einflussnahme auf das Schulwesen begann in der Paulskirche mit der Verabschiedung der ersten deutschen Verfassung am 28. März 1849. Dort heißt es in § 152: "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei." Um dies zu gewährleisten folgt § 153: "Das Unterrichtwesen steht unter der Oberaufsicht des Staates und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben."

In der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 wird der Religion kein Sonderstatus mehr gewährt, in Art. 144 steht: "Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates." mit der Folge, dass der Religionsunterricht zu einem "ordentlichen Lehrfach" gemäß Art. 149 wird. Im Grundgesetz der Bundesrepublik vom 8. Mai 1949 werden diese Grundsätze im Art. 7 Abs. 1 & 3 noch deutlicher formuliert:
"(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. …"

Außerdem wurden die Weimarer Verfassungsartikel 136, 137, 138, 139 und 141, die die Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften (RelG) regeln, in Artikel 140 GG übernommen.

Der Religionsunterricht

Nach Art. 7.3. GG wird der Religionsunterricht (RelU) vom Staat erteilt und nicht von Religionsgemeinschaften. Der Staat ist aktiver Gestalter und nicht bloß Vermittler der Grundsätze der RelG in der Schule. Der Begriff „erteilen“ impliziert wissenschaftlichen Unterricht und schließt dogmatische Vermittlung aus. Wie alle Fächer an der Schule ist der RelU ein ordentliches Lehrfach und daher Teil der gesamten Schulpädagogik, die staatlich gesetzte Bildungs- und Erziehungsgrundsätze beachten muss.

Die Schülerleistung als Wissen wird daher allein vom Staat geprüft. Die religiösen Überzeugungen, die religiöse Haltung und die religiöse Praxis der Schüler und Schülerinnen sind nicht Gegenstand der Leistungsbewertung. Diese Aufgaben der Erteilung und Bewertung des RelU werden auch nicht an die RelG delegiert.

Art. 7.3. GG weist gleichzeitig den Staat an, das Erteilen des RelU in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der RelG zu erteilen. Übereinstimmung setzt Kooperation voraus. Diese findet allerdings unter ungleichen Partnern statt. Es geht darum, die Grundsätze der RelG und die in der Erteilung des Unterrichts enthaltenen Grundsätze des Staates miteinander abzustimmen. Wenn die Grundsätze kollidieren, darf der Staat keine Kompromisse auf Kosten des GG eingehen und muss die Grundsätze der RelG zurückweisen. Es sind in diesem Fall allein die RelGen aufgefordert sich anzupassen. Das GG hat Vorrang.

Wichtig ist, dass Art. 7.3. GG von Grundsätzen und nicht Glaubenssätzen spricht. Beide Begriffe werden oft mit Hintergedanken vertauscht. Glaubenssätze bilden die Kirchenlehre bei den Katholiken oder das Bekenntnis bei den Protestanten. Es sind Glaubenswahrheiten, die nicht hinterfragt werden dürfen, sie führen zu einem dogmatischen RelU, der ausschließlich der Verkündigung und Glaubensunterweisung dient.

Der RelU ist vielmehr auf Wissensvermittlung gerichtet, führt in die Lehre eines Bekenntnisses ein und erörtert Lebensfragen. Heute und aufgrund ihrer schülerorientierten Religionspädagogik gehen die Kirchen allgemein mit ihren Glaubenssätzen diskursiv und kritisch um und machen sie zum Gegenstand des Unterrichts und nicht zum Ziel. Die moderne kirchliche Pädagogik befindet sich formal und inhaltlich in Übereinstimmung mit den aus dem Grundgesetz herleitbaren Erziehungszielen für die staatliche Schule.

Dieser Prozess der religionspädagogisch formatierten Selbstdarstellung, der die Vereinbarkeit der christlichen Grundsätze mit denen des Grundgesetzes beabsichtigt, ist historisch inzwischen fast vollendet. Bei den Muslimen hat er erst vor ein paar Jahrzehnten begonnen und leidet hauptsächlich am Mangel an Authentizität. Um gerade eine Kollision der Grundsätze zu vermeiden, verfahren die muslimischen RelG und Pädagogen eklektisch und treffen eine positive Quellenauswahl. Das Ergebnis ist nach der Feststellung eines Forschungsprojektes folgendes: „Die Quellenauswahl generierte dadurch eine einseitige und geschönte Islamdarstellung, die alle problematischen Aspekte – wie die fundamentalistische Zuspitzung von Islam und die Instrumentalisierung seiner Gewaltpotentiale – ausblendete.“

In der Praxis erwiesen sich diese Lehrpläne als realitätsfremd. Wegen der zweiten Intifada z.B. (2002–2004) fanden gewaltverherrlichende Positionen in den arabischen und türkischen Medien bei Jugendlichen einen großen Zuspruch. Sie konnten im Unterricht nicht behandelt werden, weil sie angeblich unislamisch waren.

Die Religionsgemeinschaft

Im Art. 140 GG wird der Rahmen für die Bildung von Religionsgemeinschaften festgelegt. Eine ausführliche Darstellung findet man im Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 23. Februar 2005. Demnach ist ein Verband als Religionsgemeinschaft zu verstehen, „der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“.

Um RelU mitgestalten zu dürfen, müssen die RelG die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts erwerben und vom Staat als RelG anerkannt werden. „Allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft sei eine Religionsgemeinschaft, reicht nicht aus; vielmehr muss es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religionsgemeinschaft handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt - als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung - den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten.“

Auch eine Dachverbandsorganisation kann Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG sein, wenn sie dafür die drei folgenden wesentlichen Voraussetzungen erfüllt. Erstens muss ein religiöser Konsens vorliegen. Zweitens muss auf der Basis dieses Konsenses ein personeller Zusammenschluss erfolgt sein. Und dieser Zusammenschluss muss drittens auch der Verwirklichung des religiösen Konsenses auf der gemeinschaftlichen Handlungsebene dienen.

Der Dachverband muss eigene Glaubensinhalte formulieren und durchsetzen. Seine Tätigkeit darf sich nicht, auf Koordination und Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Vertretung der Interessen der Verbandsmitglieder beschränken. Vielmehr muss er Aufgaben übernehmen, die für die Identität der Gemeinschaft von wesentlicher Bedeutung sind. Dafür ist auf überörtlicher Ebene das Wirken eines weisungsbefugten geistlichen Oberhauptes oder einer Lehrautorität, die in der gesamten Gemeinschaft bis hinunter zu den Moscheegemeinden respektiert und befolgt werden, unerlässlich.