Säkulares NetzWerk NRW

Appell gegen Einfluss von DITIB auf den Religionsunterricht

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DITIB-Zentralmoschee in Köln
DITIB-Zentralmoschee in Köln

Im Mai hatte die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine Kommission für islamischen Religionsunterricht eingerichtet, deren Besetzung auf heftige Kritik stieß. Insbesondere die Aufnahme der DITIB sorgte für Proteste. Das Säkulare NetzWerk NRW hat sich nun mit einem Gutachten an die Politik gewendet, in welchem unter anderem die Nähe der DITIB zur Erdoğan-Regierung aufgezeigt wird.

"Das Säkulare NetzWerk NRW richtet einen dringenden Appell an die politisch Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen, die Wiederaufnahme der DITIB in die NRW-Kommission für den islamischen Bekenntnisunterricht rückgängig zu machen", heißt es in einer Pressemitteilung des Säkularen NetzWerks NRW (SNW).

Im Mai hatte das nordrhein-westfälische Schulministerium die Einrichtung einer Kommission für den islamischen Religionsunterricht angekündigt. In der Kommission vertreten sind sechs islamische Organisationen: das Bündnis Marokkanische Gemeinde (BMG), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD), die Islamische Religionsgemeinschaft NRW (IRG NRW), die Union der Islamisch-Albanischen Zentren in Deutschland (UIAZD), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB). Das Land hat dem neuen Gremium weitreichende Befugnisse bei der Gestaltung des Religionsunterrichts eingeräumt, wie es bereits bei den Kirchen üblich ist.

Die von Seiten des Schulministeriums angekündigte Aufnahme der DITIB in die Kommission betrachtet das Säkulare NetzWerk NRW als eine folgenreiche politische Fehlentscheidung und belegt dies mit einem Gutachten, welches das Netzwerk Ministerpräsident Armin Laschet, der Ministerin für Schule und Bildung in NRW Yvonne Gebauer sowie einer ganzen Reihe weiterer Mitglieder des Landtages von CDU, FDP, Grüne und SPD hat zukommen lassen.  

Dr. Klaus Gebauer, der das Gutachten für das SNW verfasst hat, ist ein ausgewiesener Experte für den Religionsunterricht in NRW und war über lange Jahre für das Land in diesem Bereich tätig. Er legt in seinem Gutachten dezidiert dar, welcher religionspolitische Geist die DITIB als Ableger der türkischen Religionsbehörde DIYANET auch in Deutschland mehr denn je prägt: Entstanden als staatliche Reformbehörde, um den Einfluss des Politischen Islam zu begrenzen, wurde sie seit den 1990er Jahren und verstärkt unter Erdoğan in das Gegenteil transformiert: Ein staatliches Instrument zur Re-Islamisierung von Staat und Gesellschaft.

Die Einbeziehung einer solchen Institution in die Gestaltung des islamischen Religionsunterrichts und besonders auch die Auswahl von Lehrerinnen und Lehrern sei rechtlich äußerst problematisch und politisch sehr risikoreich, so Gebauer. Insbesondere würden so vermutlich liberale Lehrkräfte, die für einen Brückenschlag und für Integration stehen, unter Druck gesetzt werden, nicht vom "wahren Islam" abzuweichen, der in diesem Falle ein orthodoxer nationaltürkischer wäre. Oder sie würden gleich aussortiert (zum Beispiel ohne Kopftuch) und für den Unterricht nicht zugelassen. 

Beschwichtigungen wie die, dass die DITIB die rechtlichen Voraussetzungen zur Teilhabe schon im Laufe der Zeit entwickeln werde, wenn man sie nun vorab erst einmal zulasse, sind nach Einschätzung des Säkularen NetzWerks NRW blauäugig. Leider höre die Landespolitik in dieser Frage allzu sehr auf Gutachten aus der Münsteraner katholischen Schule des Religionsverfassungsrechts. Diese neige dazu, die Flexibilität des geltenden Religionsverfassungsrechts zu betonen und Risiken kleinzureden, um das in Deutschland in besonderer Weise auf die Interessen der beiden Großkirchen zugeschnittene System zu erhalten.

Über den sofortigen Stopp der Zusammenarbeit mit der DITIB hinaus hält das SNW zwei Lösungswege für tragfähig, die durch die Analyse des Gutachtens gestützt werden:

  1. Eine Reaktivierung des Entwicklungspfades "Islamkunde".
  2. Der ernsthafte Einstieg in die Debatte über ein integriertes Fach  "Ethik/Religionskunde" für alle.

Ein rechtlich vergleichsweise einfacher Weg dorthin wäre die Umwandlung von Schulen in "bekenntnisfreie" Schulen. Ein Modell, welches das Grundgesetz ja ausdrücklich vorsieht (Artikel 7,3). Für das Säkulare NetzWerk NRW stellt ein Unterricht, in dem die Kinder und Jugendlichen statt übereinander miteinander über ihre Wertvorstellungen und Religionen reden, einen zukunfts­weisen­den Ansatz in der Bildungs- und Integrationspolitik dar, welcher gerade auch im Hinblick auf das bekannte Konfliktpotenzial den mutmaßlich einzig verantwort­baren Weg beschreibt.

"Dazu müssen natürlich auch die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden", erklärt Burkhard Wepner, Mitglied des leitenden Koordinierungsteams des SNW, gegenüber dem hpd. "Um bei Jugendlichen die auf der einen Seite nötige gedankliche Offenheit zu erreichen und gleichzeitig die erforderliche Urteilskraft auszubilden, um auf der anderen Seite nicht einer kritiklosen Beliebigkeit zu frönen, bedarf es einer um­fassen­den Bildung, welche sich sowohl an den Menschenrechten als zum Beispiel auch an wissenschaftlichen Erkenntnissen und darauf aufbauenden ethischen und philoso­phischen Einsichten orientiert."

Aufgrund von erlebbar gemachten Evidenzen und Einblicken in die wissenschaftliche Methode könne auf diese Weise zugleich eine tragfähige Sicherheit gegeben werden, welche den unter anderem sozialpsycho­logisch zu verortenden Hang zu absoluten Wahrheiten und unhinter­fragbaren Festle­gungen den Raum nehme und damit das Konfliktpotenzial vieler Orientierungsquellen der Kinder und Jugendlichen in ein gemeinsames Suchen nach Erkenntnisgewinn zu verschmel­zen vermöge, so Wepner. "Klar ist, dass dieses Unterfangen bei vielen Heranwachsenden ein langer, manchmal mühsamer Entwick­lungs­prozess zu sein scheint, abhängig von mannigfachen Faktoren, nicht zuletzt dem familiären Umfeld und den unter­schied­lichen Orientierungsquellen. Umso mehr aber darf Schule in ihrer eigenen strukturellen Ausrichtung diesen Zwiespalt bei den Jugendlichen und damit letztlich im gesamtgesellschaftlichen Kontext weder übertünchen noch verstärken."

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