Die Mauern zwischen Israel und Palästina

Israel ein Staat für Juden und nicht für alle

Leider erstreckt sich die Integrationsleistung nicht auf alle Bevölkerungsanteile. Die arabische und jüdische Bevölkerung lebt getrennt in eigenen Dörfern, Stadtteilen, mit eigenen Schulen, Kindergärten etc. Wer will diese Trennung? "Die Araber akzeptieren keine Juden in ihren Städten" sagt mir Malcolm, ein älterer Herr, der früher im Institut für strategische Studien gearbeitet hat, welches die Armee beraten hat.

Für Christen und Muslime ist die israelische Armee nicht obligatorisch. Mein Gastgeber sagt: "Nach dem Gesetz sind Juden und Muslime gleich gestellt, aber de facto ist das nicht so. Eigentlich sind die arabischen Israelis die eigentlichen Leidtragenden des jetzigen Zustandes, denn sie haben ihre Identität verloren, sie sind isoliert. Sie leben hier in Israel ganz gut, weil sie gute Infrastruktur, gute Ausbildungsmöglichkeiten haben und alle Freiheiten genießen können, die sie in den arabischen Ländern nie hätten, gleichzeitig werden sie hier nie völlig akzeptiert werden. In die arabischen Länder wollen sie nicht umziehen, aber gegen ihre Brüder können sie auch nicht kämpfen. Das Problem ist, dass Israel ein Staat für Juden ist und nicht für alle."

Der andauernde Konflikt steht der Integration im Weg. So lange sich Israel in einem fortdauernden Kriegszustand befindet, steht die arabische Bevölkerung unter Generalverdacht und kann nicht wirklich dazugehören.

Ein israelischer Freund erzählt mir von seinem Sohn. Sie haben muslimische Freunde, deren Kinder mit ihren Kindern spielen. Während der Monate Gazakrieg im letzten Jahr erschallten auch südlich von Haifa die Sirenen, denn Raketen aus Gaza zielten mehrmals auf ein Kraftwerk in der Nähe. Man hörte die Abschüsse der Raketen durch das Abwehrsystem der Israelis, den "iron dome", und die Kinder hatten Angst. Die Eltern erklärten ihnen, was es mit dem Krieg auf sich habe. Danach wollte der 10 jährige Sohn nicht mehr mit seinen muslimischen Freunden spielen und selbst lange Gespräche konnten ihn nicht überzeugen. "Nichts zeigt so deutlich den Zustand unserer Gesellschaft, wie wenn schon ein Kind, sogar eines mit toleranten Eltern, solche Vorurteile entwickelt."

Wieder eine normalere Perspektive auf die Welt bekommen

So schlimm der Dienst in der Armee für den Einzelnen auch sein mag, mir berichten eigentlich alle, die ich danach frage, eher strahlend über diese Zeit, in der sie starke Freundschaften fürs Leben geknüpft hätten und zu Erwachsenen geworden seien.

Die ständige Präsenz von Soldaten und Sicherheitskontrollen empfinden sie als normal. Aber Krieg, wie letzten Sommer in Gaza, ist eine Ausnahmesituation, die jeden mitnimmt, "denn jeder hat irgendeinen Jungen oder ein Mädchen in der Verwandtschaft, die dorthin müssen, und um die man sich Sorgen macht." "Schlimm waren die drei Wochen, in denen sie nach Gaza reingegangen sind. Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit überstanden habe" erzählt mir die Mutter eines Sohnes, der momentan seinen Wehrdienst leistet. Er selbst erzählt: "Bald werde ich entlassen, dann werde ich mit ein paar Freunden erstmal ein Jahr in der Welt herumreisen. Das machen die meisten von uns und man braucht das auch, um wieder eine andere, vielleicht eine normalere Perspektive auf die Welt zu bekommen nach dem Kriegsdienst."

Bewaffnete Wehrdienstleistende im Zug
Bewaffnete Wehrdienstleistende im Zug

Aber keiner, den ich treffe, stellt die Armee oder den Dienst an der Waffe per se infrage. Alle scheinen davon überzeugt zu sein, dass es die einzige Möglichkeit ist, Israel davor zu bewahren, von den arabischen Ländern ausgelöscht zu werden.

Wenn ich von der Mauer erzähle, die ich besucht habe, zucken alle bedauernd mit den Schultern. Sie finden diese Maßnahme nicht schön, aber sie halten sie wohl eher für notwendig, jedenfalls soweit sie dem vereinbarten Grenzverlauf folgt. Sie erinnern mich an die Serien von Selbstmordattentaten. Die Bushaltestelle, an der ich täglich stehe, sei auch ein Ort gewesen, der in die Luft gesprengt wurde, vier Mädchen seien damals umgekommen. Später habe es eine Phase gegeben, in der die Attentäter mit Autos in Menschenmassen gefahren wären. Das momentane Ausbleiben solcher Gewaltakte führen sie auf die dichten Grenzen und Kontrollen und die Anwesenheit der bewaffneten Soldaten zurück. Rana sagt, dass sie nicht glaubt, dass das der Grund sei, sondern dass die Palästinenser eine vernünftige Entscheidung getroffen hätten, ihre Ziele nicht mehr auf diese Art zu verfolgen, die sie in der Weltöffentlichkeit verunglimpfe.

Sie hätten aus Gaza ein Paradies machen können

"Sie sollten den Palästinensern endlich geben, was sie wollen", sagt mein Gastgeber, "ihren eigenen Staat." Und gehört damit zu denjenigen, die sich gegen jüdische Siedlungen und Besetzung der Westbank ausspricht. Nicht alle denken so. Und auch er glaubt nicht daran, dass die Unabhängigkeit den Palästinensern den Segen bringt, den sie sich erhoffen.

Er erinnert an Gaza: "Sie hätten daraus ein Paradies machen können. So viele Gelder sind in das kleine Land geflossen. Sie haben die schönsten Strände. Sie hätten Hotelanlagen bauen können, die Urlauber wären dorthin geströmt, sie hätten ihr Land in kürzester Zeit zum Florieren bringen können, mit Arbeit für jeden, toller Infrastruktur etc. Aber sie haben sich dazu entschieden, weiter zu kämpfen. Jetzt haben sie Scharia Gesetze eingeführt, die politischen Gegner stoßen sich gegenseitig von den Häusern und es finden öffentliche Exekutionen in Anwesenheit von Kindern statt." Und wütend fügt er hinzu: "Und dann kommen diese Europäer und wollen uns dafür kritisieren, wie wir mit den Palästinensern umgehen."

Die Angst und die Sicherheitsmaßnahmen

Die Angst vor Verfolgung und Vernichtung ist nicht in den Kriegen gegen die Araber entstanden und nicht durch die Attentate, sondern wurde da nur bestätigt und verstärkt. "Europa wollte uns nicht. Dort waren wir Pogromen ausgesetzt, lange bevor die Deutschen mit ihrer totalen Vernichtung angefangen haben, bei der viele in den anderen Ländern fleißig geholfen haben. Etwas scheint an uns Juden zu sein, dass wir nirgendwo geduldet sind, überall verfolgt und gejagt" sagt mir Malcolm mit einem schmerzhaften, resignierten Gesichtsausdruck. Dann sagt er, mir fest in die Augen blickend: "Ich habe gehört, dass die jungen Menschen in Deutschland die Nase voll davon haben, schuldig zu sein und Verantwortung zu übernehmen." Und ich fühle die ganze Jahrhunderte alte Last, die auf meine Schultern geladen wird, und spüre, dass zumindest für ihn nichts, aber auch gar nichts vorbei und vergeben ist.

Er und die meisten, die ich spreche, sehen schwarz für die Zukunft. Selbst wenn Netanjahu abgewählt würde, selbst wenn endlich Palästina anerkannt würde, die jüdischen Siedlungen aufgegeben werden, haben sie wenig Hoffnung auf Frieden mit ihren Nachbarn. Sie glauben nicht an die Fähigkeit der Araber einen gerechten, demokratischen Staat aufzubauen, der der Gewalt abschwört, die Ansprüche auf Gebiete innerhalb Israels und seine Wut und Rachebedürfnisse aufgibt. Sie haben einen starken Glauben an die Unveränderlichkeit ihres Schicksals, des Stigmas der Juden und des Charakters der Araber.

Der Aufwand für die Sicherheit ist enorm. Jeder Bahnhofseingang, jeder Supermarkteingang, öffentliche Gebäude, Cafés, etc. haben Eingangskontrollen und Durchleuchtgeräte. Bereits in Berlin vor Einsteigen in den Flieger fangen die Kontrollen an. Ausführliche Befragungen, die psychologisch geschickt einen aus der Fassung bringen sollen, damit ein potentieller Terrorist sich verhaspelt. Ich kam in den Genuss des vollen Umfangs der Befragungen, da ich für meine Forschungen am Technion Institute biologische Proben dabei hatte. Für all das leisten sich die Israelis einen riesigen personellen Aufwand.

Die ständige Möglichkeit eines Kriegsausbruches wird überall bedacht. Krankenhäuser haben Untergeschosse, die zu voll funktionsfähigen Stationen ausgebaut werden können, um Patienten während eines Krieges in sicherere Bereiche zu verlegen. Der Zugverkehr läuft nur per Dieselloks, da ein elektrisches System zu anfällig für Sabotage wäre. Die Kontrollzentrale der Eisenbahn ist unterirdisch gebaut.

Unterdessen lebt man sein Leben, macht Sport, feiert Familienfeste und geht seiner persönlichen Laufbahn nach. Aber was die Zukunft des Landes und die Möglichkeit auf Frieden angeht, ist man ratlos und pessimistisch. Nicht wenige denken darüber nach, in die USA oder anderswo hinzuziehen.

Europa erkenne die Zeichen der Zeit nicht

Aber die Sorge erstreckt sich auch auf andere Länder. Ich werde durch mehrere Aussagen überrascht, wie: "Europa wird sich noch wundern. Bald wird es massiv mit arabischem Terrorismus zu tun bekommen. Es hat schon angefangen. In Frankreich, in Schweden, sogar in Australien. Die Juden, die noch in Europa leben sind naiv. Sie sollten wegziehen so schnell sie können.” oder "Die muslimische Religion ist gewalttätig, sie möchte der ganzen Welt ihre Regeln aufzwingen. Frauen unterdrücken, Freiheiten abschaffen, Schariagesetze mit Exekutionen auf der Straße,…” Dies sagt man mir, auch im Hinblick auf die naiven Europäer, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen.

Man nimmt sehr wach Ereignisse in Deutschland, wie die Pegida Demonstrationen und Neonazi Proteste gegen Asylantenheime, wahr und ordnet sie nach der israelischen Sichtweise ein. Dass überall auf der Welt der Antisemitismus und der islamistische Fundamentalismus grassieren, ist eine nicht anzuzweifelnde Wahrheit. Wenn ich anzumerken wage, dass extremistische Strömungen aller Art als Wurzel meist soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung haben, die Demagogen Zulauf bieten, wird abgewinkt: "Antisemitismus gab es schon immer und in allen gesellschaftlichen Schichten. Wie sonst hätte Hitler sein Programm durchziehen können?"

Keine staatlichen Bemühungen für Versöhnung

Bedrückend ist für mich das Fehlen einer öffentlichen Wahrnehmung anderer Optionen als der "harten Hand". Es gibt zahlreiche kleine Projekte, die versuchen, eine Annäherung zwischen Juden und Arabern zu erreichen. In Haifa bringt ein Theater Stücke mit Jugendlichen beider Bevölkerungsgruppen auf die Bühne. Früher, sagt mir eine ältere Dame, habe es gemeinsame Sommercamps gegeben und Austauschprogramme. Aber aus Angst vor Terrorattacken seien diese eingestellt worden.

Meinen Gastgeber, der Schulkinder hat, frage ich, ob es institutionelle Bemühungen gebe, die Kinder zusammenzubringen in irgendwelchen Programmen. Er verneint. Von staatlicher Seite passiert nichts, um eine Versöhnung der Bevölkerungsgruppen wenigstens innerhalb von Israel anzustreben. Es wird lediglich auf Militär und Sicherheitssysteme gesetzt, aber die Zweifel der Menschen sind groß, ob ihnen das auf Dauer wirklich Sicherheit bringt.

Theaterprojekt zur Verständigung zwischen den Religionen in Haifa
Theaterprojekt zur Verständigung zwischen den Religionen in Haifa

Rana erzählt mir, wie sie die einzigen Israelis getroffen hat, die sie kennt. Der Internationale Versöhnungsbund hatte einen Workshop in Berlin organisiert, an dem sie mit einem anderen Palästinenser teilnahm. Neben Teilnehmern aus allen Kontinenten waren auch zwei Israelis dabei. An einem Tag sollte jede Gruppe ihr Land vorstellen. "Es war, als ob die Israelis und wir von zwei verschiedenen Ländern erzählen. Wir hatten völlig unterschiedliche Sichtweisen." Danach habe erstmal Schweigen zwischen ihnen geherrscht. "Bis dahin hatten wir uns eigentlich gut verstanden, aber nach diesen Präsentationen gingen die Israelis auf Abstand. Aber als es einige Tage später darum ging, welche Leute ein Zimmer miteinander teilen wollen, fragten uns die Israelis. Offensichtlich hatte in ihnen etwas gearbeitet. Es war nicht leicht für sie gewesen, unsere Perspektive anzuschauen, aber sie konnten sie nach einiger Zeit akzeptieren. Seitdem sind wir sehr gut befreundet."

Diese Art von Geschichten sind es, die Hoffnung machen. Trotz all des Pessimismus, was den Friedensprozess angeht, gibt es auch Lichtblicke. Wie zum Beispiel mit Malcolm, dem Forscher für strategische Studien, der Sätze sagte wie "Hoffnung ist keine Strategie" und "die Menschheit wird sich ohnehin bald ausrotten." Nach stundenlangem Gespräch sagte er zum Abschied: "Weißt Du, ich hoffe, dass Deine Realität gewinnen wird. Sie ist sehr viel schöner als meine. Ich habe zwar meine Zweifel, aber ich wünsche Dir von ganzem Herzen viel Erfolg" und an seinem Blick sehe ich seinen traurigen Ernst, aber auch ein kleines bisschen Hoffnung.

 


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