Tagungsbericht vom zweiten Tag der International Atheist Convention, 23. Mai 2015

"Give Peace A Chance" (2)

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Atheist Convention 2015 in Köln

KÖLN. (hpd/ibka) Vom 22. bis zum 24. Mai fand im Kölner Comedia-Theater die "Internationale Atheist Convention 2015" statt. Die Veranstaltung wurde vom Internationalen Bund der Konfessionlosen und Atheisten (IBKA) in Kooperation mit der Atheist Alliance International (AAI) und der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) organisiert.

Auch wenn der zweite Tag der Internationalen Atheistischen Convention "Give Peace A Chance" mit dem ersten Vortrag bereits um 9:15 Uhr begann, konnten sich die Veranstalter über einen gut gefüllten Theatersaal freuen. Neben Rolf Bergmeier, Carsten Frerk und Michael Schmidt-Salomon standen Claude Singer aus Frankreich, Morgan Elizabeth Romano aus der Türkei sowie Maryam Namazie aus dem Iran auf dem Programm.

Claude Singer

Ob das Leitthema der Tagung "Give Peace A Chance" auch das Recht auf Befehlsverweigerung beinhalte, beleuchtete Claude Singer von der französischen Freidenkervereinigung "Fédération Nationale de la Libre Pensée", indem er das Schicksal der exekutierten Soldaten auf französischer Seite im ersten Weltkrieg aufzeigte.

Claude Singer, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Claude Singer, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Demnach seien im Verlauf des Krieges unzählige Deserteure "im Morgengrauen" zur Abschreckung erschossen worden. Diese Soldaten, die sich weigerten, sich am Horror des Krieges zu beteiligen und auf die Felder des Todes zurückzukehren, seien nie nachträglich begnadigt worden. Für eine kollektive Rehabilitation setzten sich die französischen Freidenker bereits seit den 80er Jahren ein. Ihre Forderung trügen sie mittlerweile jährlich am Volkstrauertag nach außen, um den vielen Opfern und ihren Hinterbliebenen zu gedenken. Dabei stießen sich bis heute oftmals auf großen Widerstand der offiziellen Stellen.

Warum ihre Kampagne der kollektiven Begnadigung eine logische Folge der freidenkerischen Aktivität sei, fasste Singer zum Schluss seines Vortrags zusammen. Denn Freidenker stünden für die absolute Gewissensfreiheit. Dies schließe das Recht eines jeden Menschen ein, "Nein" zu sagen und sich gegen das Tragen einer Waffe zu entscheiden, sich nicht am Mord seiner Brüder zu beteiligen. Krieg bringe niemals einen Nutzen für die Menschheit, sondern nur für die wenigen Kriegstreibenden und ihre Machtgier und finanziellen Interessen. Daher hätten diese Machthaber Angst vor der Begnadigung, denn dies könnte einen Präzedenzfall schaffen für andere, dieser Möglichkeit zur Befehlsverweigerung zu folgen.

Morgan Elizabeth Romano

Die gebürtige US-Amerikanerin Morgan Elizabeth Romano (The Association of Atheism, Turkey) sprach über die Rückschritte der einst säkularen Türkei in welcher sie heute lebt.

Das Land Mustafa Kemal Atatürks sei einst vollkommen säkular organisiert gewesen. Doch welchen Stellenwert hat dieser einst so wertgeschätzte Säkularismus heute in der Türkei Erdogans? Sei man in der heutigen Türkei offen atheistisch, sei man vielen staatlichen Repressionen und gesellschaftlicher Ausgrenzung ausgesetzt. Dass ein Mann, der regelmäßige Hassreden gegen Atheisten zum Besten gäbe zum Präsidenten gewählt würde, sei ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Morgan Elizabeth Romano, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Morgan Elizabeth Romano, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Es müsse unser Anspruch sein, säkulares Gedankengut wieder in ein solches Licht zu rücken, in dem es einst stand. Atheismus dürfe nicht länger als teuflisch gelten, so Romano.

Doch leider erlebe die Religion in der Türkei einen regelrechten Boom. Der Islam sei heute Staatsreligion, obwohl die Verfassung eigentlich immer noch relativ säkular gegliedert sei. Einst wurde das Ministerium für Religionsfragen von der Regierung errichtet, um sich um Verwaltungsfragen zu kümmern, doch heute wird dieses Ministerium zur Verbreitung des sunnitischen Islams genutzt.

Ein gutes Beispiel für den Vormarsch der Religion sei die Tatsache, dass in jenem Jahr, in welchem England den Kreationismus in staatlichen Schulen verbot, die Türkei ihn offiziell zur Wissenschaft erhoben habe. In der Öffentlichkeit sei das Kopftuch immer präsenter. Sei das Tragen in öffentlichen Einrichtungen früher verboten gewesen, so seien durch den Wegfall des Verbots nun gegenteilige Tendenzen sichtbar. Einige Arbeitgeber stellten nur noch verschleierte Frauen ein, was eine Diskriminierung der nicht verschleierten bedeute. Während des Fastenmonats Ramadan gebe es mittlerweile stadtweite Alkoholverbote und auch Fluggesellschaften würden Alkohol komplett aus ihrem Angebot nehmen.

Soziale Medien und der Journalismus im Allgemeinen seien starken Restriktionen ausgesetzt. Eine objektive Berichterstattung sei so fast nicht mehr möglich. Auch in Filmen und Radiosendungen würde immer mehr im religiösen Sinne zensiert werden. 2014 habe Erdogans AKP durchgesetzt, dass es nun für die Regierung möglich sei, Daten des Internets abzugreifen und folgend auch sperren zu dürfen. Dies alles sei Teil des großen Plans der AKP Erdogans, das einstige muslimische Osmanische Reich wieder zu reinstallieren. Die Verfassung werde immer weiter ausgehöhlt und sich so immer mehr Macht zugeschanzt. Für die arme Bevölkerung der Türkei, und das sind immer noch große Teile der Gesellschaft, sei die Religion und das religiöse Leben das Wichtigste. Dieses religiöse Potential erkenne die AKP und nutze es.

Rolf Bergmeier

Was Europa dem Islam zu verdanken habe, erörterte der Althistoriker Rolf Bergmeier in einem Beitrag, der auf seinem Buch "Christlich-abendländische Kultur. Eine Legende" basierte. Dass die Parolen von "christlich-abendländischer Kultur" und den "christlichen Werten" die tatsächlichen historischen Begebenheiten verklärten, stellte er durch einen detaillierten Vergleich vom christlichen Mittelalter und der arabisch-islamischen Welt der Epochen von 700 bis 1400 nach unserer Zeitrechnung dar.

Rolf Bergmeier, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Rolf Bergmeier, Foto: © Evelin Frerk / IBKA

Hierfür betrachtete er beide Kulturkreise jeweils aus den Perspektiven der Allgemeinbildung, der Medizin, der Mathematik sowie der Stadtkultur. Dem christlichen Mittelalter stellte er dabei ein vernichtendes Urteil aus: Während die arabisch-islamische Welt aus dem Koran eine breite Bildung der Bevölkerung als Grundforderung ableitete, ein verzweigtes Schulsystem für Jungen und Mädchen pflegte und auf diese Weise eine Alphabetisierungsrate fernab der europäischen Werte erreichte, wurde die christliche Klosterkultur auf eine enge Schmalspurbildung zum alleinigen Zwecke der Unterrichtung des klerikalen Nachwuchses begrenzt; die Aufgabe des Lesens und Interpretierens stand dem Priester zu. Nach der Einnahme Syriens und Persiens durch die Araber übernahm die islamische Kultur die griechische Medizin und entwickelte sie weiter. Das antike Wissen manifestierte sich in zahlreichen Krankenhäusern in jeder größeren Stadt und mündete in einem interkulturellen Prozess zur hochentwickelten griechisch-arabisch-persisch-indischen Medizin und Arzneimittelkunde. Auf der Seite Europas stand dem nur eine bescheidene Klostermedizin gegenüber, die vielmehr Krankheiten als gottgegeben und die Medizin als Eingriff des Menschen in Gottes Heilsplan ansah. Die mittelalterliche Klostermathematik beschränkte sich bis zum 13. Jahrhundert auf die Grundrechenarten etwa zur Berechnung beweglicher kirchlicher Festtage, während das von den Arabern verwendete indische Zahlensystem bereits Jahrhunderte zuvor zur Entwicklung weit fortschrittlicher mathematischer Modelle führte. Auch die islamisch-arabische Stadtkultur mit ihren gepflasterten und beleuchteten Straßen, ihren Thermen und Bädern, öffentlichen Bibliotheken und unterirdische Abwasserkanälen war der christlich-europäischen, geprägt durch verkommene Städte, die für klerikale Bauten der hohen Geistlichen und reserviert waren und durch die Entsorgung von Fäkalien auf den Straßen, ganz entschieden überlegen.

Erst durch die Eroberung der arabischen Territorien in Spanien durch die europäischen Mächte gelangten die antiken Errungenschaften im arabischen Gewand allmählich zurück nach Europa und lösten dadurch die christliche Dogmenkultur ab, die Wissenschaft und Kreativität über die Jahrhunderte gelähmt hatte. Durch die arabisch-islamische Welt konnte so beginnend mit der Renaissance in Europa wieder Raum geschaffen werden für Entfaltung der lange unterdrückten schöpferischen Kräfte, die den zentralen Leitsatz der Aufklärung zur Folge hatten: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!