Warum ich nicht zur katholischen Hochzeit gehen kann

Bleibt die Frage, ob wir an Religion einfach deshalb festhalten sollten, weil sie eine erhaltenswerte Fiktion ist, die Menschen ethische Prinzipien für ihr Handeln vermittelt. (Lassen wir das ethische Problem einmal unberücksichtigt, ob man Menschen manipulieren darf, um "gewünschtes" Verhalten zu bewirken und wer festlegen soll, was "gewünscht" ist). Um die Frage mit "ja" zu beantworten, müssten wir an Amnesie leiden, blind und taub sein.

Wir kennen die Geschichte des Christentums und der katholischen Kirche: den Jahrtausende langen Kampf der Kirche mit Königen und Kaisern um die Macht, ihre Bündnisse mit Diktatoren und Oligarchien zur Sicherung ihrer eigenen Privilegien, Kreuzzüge, Inquisition, Sündenablasshandel, Religionskriege, sexueller Missbrauch usw. Deshalb möchte ich hier nur auf grundlegende Mechanismen eingehen, die Religionen typischerweise nutzen.

Im Juli 2014 verkündeten die liberianischen katholischen Bischöfe als Reaktion auf den Ebola-Ausbruch, dass Gott böse sei auf die Liberianer wegen der sich ausbreitenden Homosexualität (vgl. Daily Observer, Monrovia, 31.07.2014). Was wir als groteske, billige Instrumentalisierung einer Infektionskrankheit für religiöse Zwecke durch Religionsführer erkennen, entfaltet in religiösen bildungsfernen Bevölkerungsschichten der Dritten Welt durchaus Wirkung.

Im christlichen Europa hat sich die katholische Kirche das gesamte Mittelalter hindurch der Juden bedient, um nach Katastrophen die Verzweiflung der Menschen, für ihre Zwecke zu nutzen. Dadurch kam es immer wieder zu Pogromen gegen die jüdische Minderheit.

Die Mechanismen, die Religionen nutzen, sind damals wie heute die gleichen: sie spalten aus dem Normalkontinuum einer Gesellschaft eine Gruppe der “Anderen” ab, konstruieren sie als Gefahr und Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft um sich selber als Schutz gegen diese Gefahr darzustellen und daraus die Legitimation für den eigenen Machtanspruch abzuleiten.

Das notwendige Pendant der Heilsbotschaft ist das Konzept des Bösen oder des Teufels. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Dabei sind Religionen nicht wählerisch und konstruieren als Böses, was die Menschen ihnen abzukaufen bereit sind. So wird ein epileptischer Anfall zur Teufelsbesessenheit, dem durch Exorzismus zu begegnen ist.

Die spaltende Kraft der Religion zeigt sich entlang zahlloser Konfliktlinien. Innergesellschaftlich schlägt sich das in Exklusion, Diskriminierung und Verfolgung unterschiedlichster Gruppen nieder wie sogenannte "Hexen", Menschen jüdischen Glaubens, Hugenotten, homosexuellen Menschen.

Die aus der Bronzezeit stammenden Texte der Bibel spiegeln das Weltbild der zu dieser Zeit bestehenden Stammesgesellschaften. Stämme mit unterschiedlichen Göttern, die sich gegenseitig überfielen und den unterlegenen Stamm versklavten. Noch heute markiert Religionszugehörigkeit unzählige Konfliktlinien zwischen Gruppen, verstärkt ihre Konflikte und hält sie über Generationen aufrecht: Nordirland, Kosovo, Irak, Nigeria, indischer Subkontinent….

In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts und in Zeiten asymmetrischer Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen, ist das mit der Bibel und dem Koran verbundene Stammesdenken und die daraus resultierende Moral geradezu gefährlich. Das hat uns der 11. September 2001 drastisch vor Augen geführt. Fanatisierte religiöse Gruppen würden Massenvernichtungswaffen auch unter Inkaufnahme des eigenen Todes einsetzen, im "wirklichen Glauben" daran, als Belohnung direkt in Gottes Reich einzukehren und das unbedeutende irdische Leben hinter sich zu lassen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zum rationalen Kalkül des "Gleichgewichts des Schreckens" während des Kalten Krieges zwischen Ost und West.

Die entsetzlichen Verbrechen, die im Namen Gottes zurzeit durch den Islamischen Staat in Syrien und im Irak begangen werden, sind wie ein Déjà-vu, als spielte sich das christliche europäische Mittelalter erneut vor unseren Augen ab. Die religiösen Quelltexte in Bibel und Koran liefern die Legitimation für alle möglichen Gräuel. Sie sind ein moralischer Blankoscheck: Wer Andersgläubige ermorden will, trägt 5. Buch Mose 17: 2–5 ein. Wer sein ungehorsames Kind ermorden will, trägt Markus 7: 9–12 ein. Wer sich an seine untreue Ehefrau rächen und sie ermorden will, trägt 3. Buch Mose 20: 10 ein. Wer Menschen als Sklaven halten will, trägt 3. Buch Mose 25: 44–46 ein.

Ich habe mich immer gefragt, warum ein Gott, der den Menschen zehn Gebote verkündet, drei Gebote darauf "verschwendet", sicherzustellen, dass die Menschen nur ihn anbeten und verehren. Wenn etwas moralisch gut ist, sollte egal sein, von wem das Gebot kommt. Warum sollte ein allmächtiger Gott eifersüchtig sein wie ein kleines Kind sein?

Die Erklärung ist einfach: Die Zehn Gebote greifen Teile unseres intuitiv ohnehin vorhandenen Moralempfindens auf (vgl. Pinker 2012: 499) und präsentieren es uns vermengt mit einer Religion, um damit das eigentliche Ziel, den "Verkauf" einer "Religionsmarke" zu fördern. Aber ich liebe meine Eltern nicht, weil ich das vierte Gebote in der Bibel gelesen habe. Ich liebe sie, weil ich eine Beziehung zu ihnen aufgebaut habe.

Würde nicht jeder Gott, der wirklich an der Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen und der Linderung von Leid interessiert wäre, die ersten drei der zehn Gebote streichen und sie durch das Gebot "Du sollst die Götter deiner Nachbarn achten" ersetzen? Oder wie wäre es mit der Verbesserung des siebten Gebots durch die Ersetzung: "Du sollst Reichtum mit allen teilen, die Not leiden?"

Wir sollten aufhören mit der verharmlosenden Behauptung, nicht die Religion sei verantwortlich für die Barbarei sondern nur die Entstellung einer anständigen Religion. Wenn der Islamische Staat nicht islamisch ist, dann war die Inquisition auch nicht katholisch. "Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen" erkannte bereits Voltaire (vgl. Dawkins 2010: 426).

Glauben ist keine Tugend. Er entbindet von Rechtfertigung, Begründung und Diskussion unserer Ansichten und unseres Handelns und schafft auch heute noch den Nährboden für Unrecht, Dschihadisten und Kreuzzügler.

Am 31.07.2015 zitierte der Schweizer Bischof Vitus Huonder auf dem vom Forum deutscher Katholiken in Fulda veranstalteten Kongress "Freude am Glauben" zwei Textstellen aus dem 3. Buch Mose (18: 22 / 20: 13), in denen die Todesstrafe für homosexuelle Menschen gefordert wird. Unter dem Applaus seines Publikums kommentierte der Bischof diese Passagen mit den Worten: "Die beiden Stellen allein würden genügen, um der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben" (vgl. NZZ, 09.08.15).

Wie kann man bei diesen Aussagen nicht sofort an die zurzeit im Internet kursierenden grausamen Bilder denken, auf denen zu sehen ist, wie IS-Anhänger (angeblich) homosexuelle Männer von hohen Gebäuden in den Tod stürzen, während am Boden eine jubelnde Menschenmenge steht, die ruft: "Allah ist groß"?

Wenn es uns nicht gelingt, Religion im Geist des Humanismus zu zähmen (vgl. Albert 2001), entfaltet sie ihr Gewaltpotential. In vielen islamischen Staaten ist es noch immer lebensgefährlich die Religion zu verlassen oder auch nur zu kritisieren, ähnlich wir im christlichen europäischen Mittelalter. Erst die Entmachtung des Klerus im Zuge der Französischen Revolution und die, wenn auch unvollständige Trennung von Staat und Religion, hat uns die heute so selbstverständlich erscheinenden Menschenrechte und Freiheiten in der westlichen Welt verschafft.

III. Wissenschaft

Im Frühjahr dieses Jahres forderte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sowie von Partnerschaften Geschiedener (vgl. domradio.de: Auf Mission, 05.06.15). Der Präfekt der römischen Glaubenskongregation Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller (das ist nach dem Papst der oberste Wächter über die Reinheit und Unverfälschtheit der katholischen Lehre, also eine Art "Chefideologe") erklärte daraufhin, dass das ZdK keine Kompetenz habe Inhalte der Offenbarung zu interpretieren und damit am Ende gar Gott zu belehren, was er eigentlich gemeint haben sollte. Denn die Offenbarung sei vor 2.000 Jahren durch Jesus Christus für immer abgeschlossen worden.

Erkenntnis durch Offenbarung – klingt wie eine Posse, ist aber tatsächlich noch immer das Fundament des Glaubens. An solchen Aussagen zeigt sich, wie unvereinbar Wissenschaft und Religion sind.

Richard Feynman (vgl. Coyne 2015) gibt eine originelle Definition von Wissenschaft: "Sie ist ein Mittel, um sich davon abzuhalten sich zu täuschen, denn niemand ist so leicht zu täuschen wie man selbst."

Wissenschaft formuliert ihre Aussagen so, dass sie überprüfbar und prinzipiell widerlegbar sind, um sich dadurch einer (vorläufigen) "Wahrheit" zu nähern.