Alternative zu Hillary Clinton

Der demokratische Sozialist Bernie Sanders

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Bernie Sanders, August 2015
Bernie Sanders, August 2015

BONN. (hpd) Mitunter hält die Politik in den USA erstaunliche Überraschungen bereit: Der 73jährige Senator Bernie Sanders ist bei den Demokraten der härteste Konkurrent von Hillary Clinton um die Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen. Er definiert sich nicht nur als demokratischer Sozialist, sondern tritt auch für die strikte Trennung von Kirche und Staat ein.

Es gilt als erwartbar und selbstverständlich, dass Hillary Clinton die Kandidatin der Demokraten zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA werden wird. Kein anderer Konkurrent kann in einem annährend ähnlichen Maße auf Bekanntheit und Erfahrung setzen. Dies gilt auch und gerade gegenüber den Kandidaten auf Seiten der Republikaner, wo selbst Jeb Bush in dieser Hinsicht weit hinter Clinton zurückfällt. Daher rechnen die meisten Beobachter für 2016 bzw. 2017 mit einer ersten US-Präsidentin.

Gleichwohl muss Clinton zunächst einmal die Kandidatin der Demokraten werden. Dafür steht ihr im eigenen politischen Lager ein erstaunlicher Konkurrent gegenüber: Denn Bernie Sanders, Senator für Vermont, ist bekennender Sozialist. Obwohl er den Demokraten noch nicht einmal als Parteimitglied angehört, sehen ihn Umfragen auf Platz 2 hinter Clinton - mit wachsender Zustimmung. Auch wenn Sanders nicht an ihr vorbeiziehen dürfte, so verdient diese Entwicklung doch Interesse für Person, Positionen und Wirkung.

Wer ist Bernie Sanders?

Wer ist Bernie Sanders? Als Bernard Sanders wurde er 1941 in New York als Sohn polnischstämmiger Einwanderer mit jüdischer Religionszugehörigkeit geboren. Bereits als Jugendlicher und Schüler gehörte Sanders der "Young People’s Socialist League" an, woraus sich eine Nähe zur "Socialist Party of America" ergibt. 1959 schrieb er sich an der Universität in Psychologie ein, wechselte dann aber zur Politikwissenschaft. Dieses Studium schloss Sanders 1964 mit einem Bachelor of Arts ab. In jener Entwicklungsphase betätigte er sich auch politisch in der Bürgerrechtsbewegung in unterschiedlichen Kontexten. 1963 nahm Sanders etwa an dem March on Washington for Jobs and Freedom teil. Nach dem Ende der Universitätszeit ging er nach Israel und lebte in mehreren Kibbuzim. Auf Nachfrage bekannte Sanders, er sei stolz darauf, jüdisch zu sein. Damit gehe aber keine besondere religiöse Identität einher. Er habe aber am Beispiel der Ermordung der Juden und Hitlers vorherigen Wahlerfolgen gelernt, wie wichtig die Beschäftigung mit Politik sei.

Nach der Rückkehr in die USA lies sich Sanders mit seiner Familie in Vermont nieder. Die Stadt sollte fortan der Ausgangspunkt für einen zunächst von Niederlagen dann von Erfolgen geprägten Weg werden: Als Mitglied der "Liberty Union Party", eine Kleinpartei in der Folge der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung, kandidierte Sanders mehrfach um das Gouverneursamt bzw. einen Senatssitz. Dabei konnte er in den 1970er Jahren mit zwischen 1,5 und 6,1 Prozent der Stimmen zwar ansteigende Ergebnisse, aber nur auf niedriger Ebene ohne wirkliche Erfolge verzeichnen. Dies änderte sich 1981 schlagartig mit der Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Burlington, der größten Stadt in Vermont. Eine Kampagne unter dem Motto "Burlington is not for sale" führte zu einem denkbar knappen Erfolg, der sich danach aber mit größeren Abständen zu seinen Gegenkandidaten noch dreimal wiederholen sollte. Eine Kandidatur für das Repräsentantenhaus bleib 1988 noch erfolglos, 1990 erhielt Sanders indessen als bekennender Sozialist und Unabhängiger den Sitz für Vermont.

Dabei handelte es sich keineswegs um einen Ausreißer, denn bei den folgenden Entscheidungen konnte Sanders zwischen 1992 und 2004 nicht nur regelmäßig Mehrheiten mobilisieren. Ab 1998 erhielt er mehr als 60 Prozent der Stimmen, zuletzt 2004 sogar 68,8 Prozent. Damit war eine gute Grundlage für eine Kandidatur für den Senat geschaffen. 2006 erhielt er 65,4 und 2012 sogar 71 Prozent der Stimmen. Besondere Aufmerksamkeit erregte Sanders bereits vor dieser Wiederwahl 2010 mit einer achteinhalbstündigen Rede, worin er die Beibehaltung der von der Bush-Administration durchgesetzten Steuerkürzungen für die Wohlhabenden durch die Obama-Regierung kritisierte. Demgegenüber trat Sanders für eine Steuerpolitik der Umverteilung zugunsten der Mittelschicht ein. Die USA sollten auch in dieser Hinsicht mehr wie die skandinavischen Länder werden. Eine solche Alternative stand auch im Mittelpunkt von Sanders Ankündigung vom 29. April 2015, worin er sich um die Nominierung als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2016 bewarb.

Was sind seine Positionen?

Was sind dabei seine politischen Positionen? Sanders thematisiert vor allem die ansteigende soziale Ungleichheit, hätten doch die 400 Reichsten mehr Geld als die 150 Millionen Ärmeren in den USA. Während die Einen für immer weniger Lohn immer länger arbeiten müssten, könne man bei den Anderen ein kontinuierliches Ansteigen des Besitzes und Wohlstandes ausmachen. Als Gegenprogramm fordert er eine umfassende Steuerreform, welche die Besserverdieneden mehr belastet und die Mittel- und Unterschicht stärker entlastet. Für derartige Änderungen plädiert Sanders auch bezogen auf die Bildungs- und Gesundheitspolitik. Der Besuch von Schulen und Universitäten soll für alle Bürger kostenlos sein, eine allgemeine Krankenversicherung ihnen medizinische Versorgung gewähren. Denn jährlich würden in den USA Zehntausende von Menschen sterben, weil sie sich keine ärztliche Behandlung leisten könnten. In diesen Fragen verweist Sanders auf die skandinavischen Länder, gelten sie ihm doch als reale und nicht utopische Vorbilder.

Auch in anderen Politikfeldern geht es Sanders um eine Reduzierung der Macht der Superreichen, sei es bezogen auf ihren Einfluss auf die Medien, sei es hinsichtlich der Regelung von Wahlkampfspenden. Er beschwört dabei die Gefahren einer Entwicklung, welche es Billionären erlaubt, Kandidaten und Wahlen zu kaufen. Sanders sieht hier Gefahren für die politische Demokratie und die soziale Sicherheit. Diese Einstellung erklärt mit seine Abneigung gegen Freihandelsabkommen, die den Profitinteressen von Großkonzernen in den USA dienten, doch im eigenen Land zu Arbeitslosigkeit und Lohndumping führten. Gleichwohl lehnt Sanders nicht alle internationalen Abkommen ab, denn bezogen auf den Klimaschutz plädiert er entschieden für Übereinkünfte auch für die USA. Ansonsten tritt Sanders eher für außenpolitische Zurückhaltung ein. Den "Islamischen Staat" hält er zwar für eine anwachsende Bedrohung durch eine barbarische Organisation, sieht aber für die Bekämpfung die Länder des Mittleren und Nahen Ostens in der Pflicht.

Diese Einstellung konnte man bereits im früheren Abstimmungsverhalten feststellen: Sanders gab 2002 einer Resolution zum Irak-Krieg nicht seine Stimme und opponierte ab 2003 stark gegen die Invasions-Politik der Bush-Administration. Krieg dürfe nicht das erste, sondern nur das letzte Mittel zur Lösung solcher Probleme sein. Darüber hinaus sollten die USA im internationalen Einklang und nicht durch eine unilaterale Invasion handeln. Gegenüber Israel nahm Sanders eine Haltung der kritischen Solidarität ein. Denn die von der Netanjahu-Regierung 2014 durchgeführten Bombardierungen mit der Tötung vieler Zivilisten legten die Grundlage für fortgesetzten Hass und stärkten letztendlich die Hamas. Besondere Kritik fand bei Sanders das Bemühen, mit Hinweis auf eine sicherheitspolitische Bedrohung durch den Terrorismus bestimmte Grundrechte einzuschränken oder zu relativieren. Er gehörte denn auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu den kontinuierlichen Kritikern des "Patriot Act" und stimmte gegen alle Neuauflagen und Verschärfungen.

Wie steht es um seine Wirkung?

Wie steht es um Sanders’ Wirkung? Als er seine Bewerbung um die Nominierung als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl erklärte, tat Sanders dies als das zuvor am längsten amtierende parteilose Mitglied des Repräsentantenhauses und als der erste bekennende Sozialist im Senat in der US-Geschichte. In der letztgenannten Funktion hatte er sich der Demokraten-Fraktion angeschlossen und bei den meisten Abstimmungen mit ihr votiert. Da Sanders aber der Partei nicht angehört und als Unabhängiger wirkt, verfügt er bei den Demokraten weder persönlich noch politisch über eine "Hausmacht" bzw. Verankerung. Seine Kandidatur findet denn auch kaum Akzeptanz und Unterstützung von hochrangigen Funktionären oder relevanten Untergliederungen. Darüber hinaus kann man Sanders mit seiner inhaltlichen Ausrichtung dem eher kleinen linken Flügel zuordnen.

Insofern sprach zunächst nicht viel für den Erfolg der Kampagne, noch dazu als Konkurrent von Hillary Clinton. Indessen fand Sanders bereits zu Beginn seiner Kandidatur große Zustimmung:
Zwar konnte er nach ersten Umfragen nur mit um die fünf Prozent rechnen. Doch binnen weniger Wochen stieg die Bereitschaft auf um ein Drittel der potentiellen Stimmen stark an. Damit liegt Sanders noch klar hinter Clinton, aber der Abstand beträgt je nach Staat nur noch zwischen zehn und zwanzig Prozent. Gleichzeitig mobilisierten seine Wahlkampfauftritte – im Vergleich mit denen der anderen Kandidaten beider Parteien - die meisten Zuhörer. Auch in entscheidenden und konservativen Staaten fand sich eine erstaunlich hohe Zahl ein. Bei Spenden kann Sanders indessen nicht mithalten: Während Clinton hohe Summen von wenigen Reichen einnahm, kam von Kleinspendern lediglich ein Drittel ihres finanziellen Etats für ihn zusammen. Dafür hat sich eine aktive "Grassroot"-Bewegung gebildet, welche für die Kandidatur über Facebook und Twitter wirbt. Aus deren Reihen stammen auch zwei kurze YouTube-Videos. In der Gesamtschau hat die Kampagne unter dem Slogan "A political revolution is coming not for sale" erstaunliche Reaktionen ausgelöst.

Dies belegt, dass es in der Gesellschaft offenkundig ein bedeutendes Potential für einen stärkeren Wandel gibt. Bereits bei der Obama-Kampagne hatte es sich artikuliert, war aber durch die Kompromiss-Politik des Präsidenten gegenüber den Republikanern enttäuscht worden. Die Kritik an der ansteigenden sozialen Ungleichheit, die das Kernthema von Sanders Wahlkampf bildet, stellt zwar auf eines der bedeutsamsten Problemfelder der US-Gesellschaft ab. Auch wenn der Kandidat hier Glaubwürdigkeit und Kompetenz in hohem Maße vorweisen kann, dürfte er das durchaus vorhandene Klientel für eine Stimmabgabe zu seinen Gunsten nicht mobilisieren können. Gerade die von den gemeinten Entwicklungen negativ Betroffenen haben sich immer mehr aus dem politischen Prozess verabschiedet und zurückgezogen. Darüber hinaus deutet sich schon jetzt an, dass nicht nur die konservativen Medien eine Schmutzkampagne starten werden. Mit einer besonders perfiden Hetze bezeichnete man jüngst ausgerechnet den Juden Sanders als Nationalsozialisten.

Welches Sozialismus-Verständnis besteht?

Und schließlich bietet für die erwartbaren Diffamierungen auch Sanders’ öffentliches Bekenntnis als Sozialist ein Thema. Auch unabhängig davon stellt sich die Frage nach dem besonderen politischen Profil des Kandidaten, der damit eine Außenseiter-Position im Lichte der Politischen Kultur der USA einnimmt. Welches Sozialismus-Verständnis besteht bei Sanders? Spricht man ihn darauf an, wie in einem "Fox"-Interview, verweist er zunächst ausdrücklich auf das Attribut "demokratisch". Dies ist aufgrund der negativen Konnotierung von Sozialismus mehr als nur verständlich. Sanders’ Auffassungen haben indessen nichts mit einem diktatorischen oder extremistischen Verständnis zu tun. Gefragt nach politischen Systemen mit Vorbildcharakter nennt er Dänemark und Finnland, Norwegen und Schweden. Für Sanders soll Amerika "skandinavischer" im Sinne dieser Systeme von Wohlfahrtsstaaten werden. Dabei verweist er auf die dortigen Entwicklungen unter sozialdemokratischen Regierungen der Vergangenheit.

Demnach geht es Sanders um eine linkskeynesianische und nicht um eine planwirtschaftliche Politik für die USA. Die Marktwirtschaft soll durch Interventionen des Staates, deren Kern eine Steuerpolitik zugunsten der mittleren und unteren Schichen wäre, hinsichtlich ihrer Neigung zur sozialen Ungleichheit korrigiert werden. Demnach steht Sanders nicht mehr in der Tradition von Eugene V. Debs und stärker in der Tradition von Franklin D. Roosevelt. Der letztgenannte Präsident hatte die Auswirkungen der seinerzeitigen Weltwirtschaftskrise mittels eines Beschäftigungsprogramms und einer Umverteilungspolitik überwinden wollen. Insofern können Sanders’ Auffassungen nur aus heutiger Sicht als ungewöhnlich gelten, haben sich doch im öffentlichen Diskurs nicht nur der USA die Einstellungen zum Politik-Wirtschaft-Verhältnis verschoben. Aus europäischer Perspektive formuliert entsprechen die genannten Forderungen denen der sozialdemokratischen Parteien insbesondere in den skandinavischen Ländern der 1960er und 1970er Jahren.

Da die damaligen Gegebenheiten von einem hohen Maß an politischer Freiheit und sozialer Sicherheit geprägt waren, können Forderungen mit solchen Rekursen zumal für die USA keineswegs als überholt gelten. Eine Aussage hinsichtlich Sanders’ Positionen ergibt sich aber auch aus seiner Antwort auf die Frage, wen er sich als Angehörige seines Kabinetts vorstellen könnte. Mit dem bedeutenden Ökonomen Paul Krugman, dem ehemaligen Clinton-Arbeitsminister Robert Reich und dem früheren Chefvolkswirt der Weltbank Joseph Stigliz nannte er drei erfahrene und profilierte Experten, die alle scharfe Kritiker einer von steigender sozialer Ungleichheit geprägten Wirtschaftsentwicklung sind. Im Konsens mit deren Auffassungen bewegt sich der 73jährige Senator durchaus am Puls der Zeit. Da er mit seinen Forderungen nicht die Millionäre mobilisieren kann, muss er dafür die Millionen von Wählern mobilisieren. Diese Erwartung kann man mit guten Gründen skeptisch sehen. Doch wie sagt Bernie Sanders selbst am Ende eines Videos: Man solle ihn nicht unterschätzen.