BONN. (hpd) Ausgerechnet ein bekennender demokratischer Sozialist ist Hillary Clintons schärfster Konkurrent um die Nominierung für das Kandidatenamt zu den US-Präsidentschaftswahlen. Der Publizist Jonathan Tasini dokumentiert seine politischen Aussagen zu wichtigen Politikfeldern in dem Buch "Bernie Sanders and his Vision for America" mit beachtenswerten Kommentaren zum Einfluss der Superreichen auf die Politik und Positionen zu einer sozial gerechteren Gesellschaftsordnung.
Der schärfste Konkurrent von Hillary Clinton, die die Kandidaten der Demokraten für die US-Präsidentschaftswahl werden will, ist ausgerechnet ein bekennender demokratischer Sozialist: Bernie Sanders, Senator für Vermont. Es geht ihm – selbstverständlich – nicht um eine Renaissance von Politikmodellen wie der Sowjetunion. Sanders möchte Amerika skandinavischer machen, orientiert also seine Positionen an den in Nordeuropa bestehenden Wohlfahrtsstaatsmodellen. Gemeint sind damit Marktwirtschaften, worin der Staat durch Steuergesetzgebung und Umverteilung soziale Sicherheit gewährt und soziale Ungleichheit minimiert. Doch was bedeutet diese Ausrichtung bei Sanders für die USA? Antwort auf diese Frage gibt das Buch "The Essential Bernie Sanders and his Vision for America", das der Publizist Jonathan Tasini veröffentlicht hat. Darin finden sich in 20 Kapiteln kurze Einführungen zu den bedeutendsten Politikfeldern von der Außen- über die Bildungs- bis zur Sozialpolitik, wonach Auszüge aus Erklärungen und Reden von Sanders folgen.
Bereits auf der ersten Textseite hebt Tasini dessen "Authentizität" (S. IX) hervor – eigentlich ein persönliches Merkmal, kein politischer Standpunkt. Indessen sprechen auch Gegner und Neutrale Sanders ein hohes Maß an Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit zu. Dies erklärt mit, warum der "Outsider" - so Sanders’ Selbstzuschreibung in seiner politischen Autobiographie - eine so große Begeisterung bei den vom Establishment der Politik enttäuschten Menschen auszulösen scheint. Tasini will mit seinem Buch der US-amerikanischen Öffentlichkeit die Auffassungen von Sanders nahe bringen, welche seiner Auffassung nach den Hoffnungen und Wünschen einer Mehrheit der US-Bürger entsprechen. Dies macht deutlich, dass der Autor bzw. Herausgeber keine neutrale Haltung einnimmt. Seine Einführungen und Erläuterungen dienen der Präsentation und Unterstützung der Forderungen und Grundpositionen des Kandidaten. Er sieht in dessen Kampagne eine politische Revolution zur "Wiedereinsetzung von Demokratie und Gerechtigkeit" (S. XII).
In der Einleitung wird der vollständige Text von Sanders’ Erklärung, für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen, dokumentiert. Bereits hier macht er ein Konfliktverhältnis deutlich: "Diese große Nation und seine Regierung gehören allen Leuten und nicht einer Handvoll von Milliardären … und deren Lobbyisten" (S. 2). Durch die meisten politischen Erklärungen, insbesondere zur Innen-, Sozial- und Wirtschaftspolitik, zieht sich der postulierte Gegensatz von Mittelklasse und Superreichen. Angesichts des Einflusses auf Politik und Wahlen von Wohlhabenden bemerkt Sanders: "Dies ist nicht Demokratie. Dies ist Oligarchie" (S. 5). Daher bedürfe es auch einer fairen und progressiven Änderung der Steuerpolitik, welche "die wohlhabenden Personen und profitreichen Unternehmen ihren fairen Anteil an Steuern" (S. 7) abverlangen. Was dies alles konkret bedeutet, ist dann Thema der 20 Kapitel zu den unterschiedlichsten Themen. Man kann hier etwa von der Forderung nach einer "Robin Hood Steuer auf Wall Street Spekulanten" (S. 12) lesen.
Sanders thematisiert wie kaum ein anderer Präsidentschaftskandidat vor ihm - vielleicht zuletzt Robert F. Kennedy – in Deutlichkeit und Schärfe die Folgen einer gesellschaftlichen Spaltung in eine Gruppe von Superreichen und dem verarmenden Rest. Er macht auch auf die Folgen dieser Entwicklung für Bildung und Demokratie aufmerksam: "Das Faktum der Substanz ist, dass der Kongress nicht die Wall Street reguliert, die Wall Street reguliert den Kongress" (S. 50).
Sanders formuliert aber nicht nur Klagen über Ungerechtigkeiten. In allen Kapiteln erinnert Tasini an seine vielfältigen Initiativen in den unterschiedlichsten Bereichen, wozu auch die Hilfe und Unterstützung für Kriegsveteranen gehört. Dabei lässt die Argumentation Sanders als souveränen Kenner der Materie erscheinen. Man darf schon jetzt auf Fernsehdebatten gespannt sein – wo er seine Konkurrenten mit harten Fakten konfrontiert. Angesichts seiner jahrzehntelangen politischen Erfahrung als Bürgermeister von Burlington und Senator für Vermont kann man Sanders nicht als politischen Träumer abtun.
Am Beginn seines Engagements stand der Kampf um Bürgerrechte, ist er doch einer von zwei Senatoren, die bei dem Marsch auf Washington mit Martin Luther Kings "I Have a Dream"-Rede dabei waren. Daher kann sein gegenwärtiges Bemühen für Bürgerrechte und gegen Rassismus kaum verwundern. Eine thematische Lücke in dem Band bildet indessen die Außenpolitik, wo es heißt "Frieden und Diplomatie, kein Krieg" (S. 109). Sanders stimmte von Anfang an gegen den Irak-Krieg und dies mit einer überzeugenden Begründung: Er zerstöre "die globale Anti-Terrorismus-Kampagne" (S. 111). Doch hier hätte man gern mehr über die von Sanders beabsichtige US-Politik nicht nur im Nahen Osten gelesen. Auch bleibt in dem Band unklar, wie Reformen angesichts der politischen Gegebenheiten umgesetzt werden sollen. Obama ist mit seiner Gesundheitspolitik letztendlich sogar an der eigenen Partei gescheitert. Doch ist es auch noch nicht soweit, um solche Fragen zu diskutieren. Sanders’ Vision für Amerika ist aktuell klarer und überzeugender als die seiner Konkurrenten.
Jonathan Tasini, The Essential Bernie Sanders and his Vision for America, White River Junction, Vermont 2015 (Chelsea Green Publishing), 162 S.