Die Soziologin Arlie Russell Hochschild berichtet in ihrem Buch "Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten" über die "Tiefengeschichten" vieler Trump-Wähler. Durch Berichte von Gesprächen werden die Binnenwahrnehmung von rechten Konservativen und deren paradoxe Weltsicht deutlich veranschaulicht.
Die weißen Wähler aus der Arbeiterschicht, die sich "oft fremd in ihrem Land" fühlen, wählten 3,5mal häufiger als andere Bevölkerungsgruppen 2016 Donald Trump. Doch was denken und fühlen diese Menschen?
Eine solche Frage stellte sich die Soziologin Arlie Russell Hochschild bereits lange vor der Wahl. Die emeritierte Professorin der University of California, Berkeley ist in den USA durch Studien über Probleme des Alltagslebens bekannt geworden.
Sie selbst versteht sich als liberale Linke, will aber die konservativen Rechten verstehen. Um dies zu tun, reiste sie nach Louisiana im Süden. Dort ist die Armut der Bevölkerung groß und ihr Bildungsstand niedrig. Obwohl der Bundesstaat gut 44 Prozent seines Haushaltes aus Washington bekommt, lehnte die Mehrheit der Menschen dort die Regierung in Washington ab. Diese Daten bezogen sich noch auf die Präsidentschaft Obamas, der vor diesem Hintergrund auch als Negativbild vorkommt. Hochschild ist nach Louisiana gefahren und hat dort mit einigen der späteren Trump-Wähler gesprochen.
Ihr Buch "Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten" berichtet über derartige Begegnungen. Die Autorin informiert auch über ihre Forschungsmethode, die als verstehende Soziologie gedeutet werden kann. Man hat es aber eigentlich mit einem Reisebericht mit Reflexionen zu tun. Diese artikulieren sich in der Aufmerksamkeit für ein Paradox, das seinen Ausdruck in Einstellungen und Verhaltensweisen im Widerspruch findet: "Im Leben eines einzigen Mannes, Lee Sherman, spiegelten sich beide Seiten des großen Paradoxes wider: das Angewiesensein auf staatliche Unterstützung und deren grundsätzliche Ablehnung" (S. 59).
Derartige Ambivalenzen konnte man ja bereits bei der Einstellung zur Krankenversicherung feststellen: Gerade die Bürger, die davon am meisten profitieren würden, lehnten sie als staatliche Gängelung ab. Wie erklärt sich dies? Hochschild konstatiert, dass die Gemeinten von drei Themen besonders geprägt seien: der Fixierung auf den Glauben, der Klage über hohe Steuern und die Prägung durch ein Narrativ.
Es geht dabei um eine "Tiefengeschichte". Gemeint ist damit "die gefühlte Sicht der Dinge, die Emotionen in Symbolsprache erzählen. Sie blendet das Urteilsvermögen und die Tatsachen aus und erzählt, wie Dinge sich anfühlen" (S. 187).
Bei ihren Gesprächspartnern gebe es dazu das Gefühl, in der Schlange zu stehen. Entsprechend des amerikanischen Traums erhoffe man sich ein Fortkommen, doch seit Ende der 1950er Jahre würde dies nicht mehr geschehen. Es gebe aber das Gefühl, wie Andere an einem vorbeizögen: Frauen, Schwarze, Flüchtlinge. Der liberale Obama als erster schwarzer Präsident sei die Personifizierung dieser Wahrnehmung. Hochschild schreibt: "Seit 1980 hatten praktisch alle meine Gesprächspartner das Gefühl, wirtschaftlich auf unsicherem Boden zu stehen … Auch kulturell fühlten sie sich an den Rand gedrängt mit ihren Ansichten zu Abtreibung, Homosexuellen-Ehe, Genderrollen, 'Rasse', Schusswaffen und der Konföderierten-Flagge … Zudem empfinden sie sich als Teil eines demografischen Niedergangs" (S. 296f.).
Hochschild ist eine Gegnerin derartiger Positionen und Weltsichten. Gleichwohl will sie solches Gedankengut verstehen. Insofern lassen sich mitunter auch Empathie, zumindest aber Offenheit gegenüber ihren Gesprächspartnern ausmachen. Sie tritt ihnen nicht mit erhobenem Zeigefinger entgegen.
Diese Einstellung bestand offenbar auch bei den Gesprächen, aber auf jeden Fall ebenso bei deren Niederschrift. Man kann dies im Sinne einer verstehenden Soziologie gut finden, man kann es aber auch angesichts eines Schweigens gegenüber Ressentiments problematisieren. Dieses Dilemma durchzieht das Buch, sind doch die Trump-Wähler auch Opfer des globalisierten Kapitalismus, gleichzeitig übertragen sie ihren Frust auf soziale Minderheiten.
Am Ende plädiert die Autorin für eine Überwindung der Empathiemauern. Dies klingt ebenso sympathisch wie hilflos. Aber wohlmöglich geht mit diesem Einwand eine falsche Erwartungshaltung einher. Hochschild will das Empfinden der späteren Trump-Wähler anschaulich machen. Das gelingt ihr!
Arlie Russell Hochschild, Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten, Frankfurt/M. 2017 (Campus-Verlag), 429 S., 29,95 Euro
3 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Trump setzt auf die Dummheit seiner Wähler. Er hat Millionäre um sich gescharrt, die nicht wissen, was Armut bedeutet. Nur Geld ist Macht und macht andere machtlos.
Kay Krause am Permanenter Link
Um das Thema dieses Buches sowie dieser Rezension zu verstehen, muß man nicht in den Süden der USA gehen.
Und es gibt nicht nur diesen einen.
Und was die Haltung der Rechts-Konservativen weißen Amerikaner gegenüber den Schwarzen betrifft, so drängt sich auch hier ein Vergleich auf bezüglich der Türken, der Flüchtlinge sowie der deutsch-türkischen Parlamentarier in unserem Bundestag, die (obwohl hier geboren, aufgewachsen und INTEGRIERT [ganz wichtiges Wort!] ) durchaus nicht von jedem Wähler als gleichberechtigte Mitbürger anerkannt werden.
Wir müßten halt mit dem großen Besen mehr vor der eigenen Türe kehren, was nicht heißt, dass wir uns nicht in der Welt umschauen sollen.
agender am Permanenter Link
Die Tatsache, dass Menschen eben nicht "rational" im Sinne der ökonomischen Theoriebildung(en) sind, ist ein Modethema.
Aber als ich vor Monaten ein Interview mit Noam Chomsky las (vermutlich auf Democracy Now), hatte ich das dringende Bedürfnis nachzufragen, ob er glaubt, dass den Wählern (-innen kann ich mir noch weniger erklären) des Trumpeltieres Zustimmung und zufriedenheit zu entlocken wäre, wenn es möglich wäre, ihnen die Löhne von 1950 mit Ersatz des Kaufkraftverlusts zu geben. Soweit ich verstanden habe, ist Chomskys Antwort ja. Meine Antwort ist nein - sie würden sich beklagen, dass Schwarze , Asiaten und Neueinwanderer/Flüchtlinge dasselbe Geld bekommen - und vor allem Frauen und LGBTQ.
Diese beiden letzten Gruppen sollen Nutztiere und Schlachtvieh sein -völlig unabhängig von absoluter Höhe und vergleichsweiser Kaufkraft des Einkommens.
Das dürfte der Problempunkt des bedingungslosen Grundeinkommens sein - dass manche Leute (unter religiöser Prägung) "heiliger" oder "besser" sein wollen als andere und privilegiert, denen(von meiner Sicht aus: meinesgleichen) straflos Gewalt anzutun.
Ich weiss nicht, ob ich den Beweis meiner Herangehensweise noch erlebe.