Der Einfluss der Kirchen

Die Kirchen können sich noch immer auf ihre Parteien verlassen

Für die im Bundestag vertretenen Parteien sind säkulare Fragen allenfalls an den Rand gedrängte Themenfelder. Entsprechend dürftig ist daher die Qualität des Diskurses zu Fragen der Säkularisierung. Immerhin hat sich meine eigene Partei, Bündnis 90/Die Grünen, im letzten Jahr dazu durchgerungen, eine Fachkommission mit dem Auftrag zu bilden, ein Konzept zur Neubestimmung des Verhältnisses von Staat, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu entwickeln. Mit der Vorlage dieses Berichts ist im Spätherbst 2015 zu rechnen. Als Mitglied dieser Kommission hofft der Autor sehr, dass sich auf der Grundlage dieses Berichts endlich eine qualifizierte innerparteiliche Debatte entwickelt.

Parteien haben eine andere Aufgabe als NGO’s

Vertreter kirchenkritischer NG0’s tun sich mitunter schwer damit, das geschilderte Desinteresse der Parteien am Thema Staat-Kirchen nachzuvollziehen. Wer beispielsweise dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und AtheistInnen beitritt, hat ein besonderes Interesse am Thema und erwartet eine entsprechende Ausrichtung des Verbands. Maßstab für Erfolg oder Misserfolg der NGO ist dabei nicht der Massenzuspruch bei Wahlen, sondern die Mitgliederstatistik und der Zugang zu den Medien. Niemand muss in einer der fachlich engagierten Gruppen und Vereinigungen die Konkurrenz zu anderen Themen ausfechten. Bei den Parteien hingegen stehen die schwarzen Löcher in der Limburger Bischofskasse immer auch in Konkurrenz zu den realen Abgründen des Braunkohle-Tagebaus.

Es wäre freilich verfehlt, von den Parteien zu verlangen, sie sollten wie gesellschaftliche Organisationen reagieren. Parteien sind primär dazu da, bei Wahlen für Mehrheiten zu werben und diese Mehrheiten in praktische (Regierungs)Politik umzusetzen. Von ihnen zu verlangen, die gesellschaftliche Kräfteverhältnisse außer Acht zu lassen, verkennt die Rollenverteilung im politischen Geschäft. Diese ist aber auch eine Chance für NGO’s, deren Aufgabe gerade nicht von Parteien übernommen werden kann. Sie können als Peergroup Belange vertreten, ohne sich für ihre Haltung Mehrheiten suchen zu müssen. Sie können daher viel langfristiger und themenloyaler planen und arbeiten. Nicht selten wurde so aus einer anfangs noch marginalisierten und belächelten Position im Laufe der Zeit eine gesellschaftliche Mehrheitsmeinung. Umgekehrt heißt das aber auch, dass NGO’s von sich aus für eine Änderung der Verhältnisse kämpfen müssen, ohne diese Aufgabe der Durchsetzung bei den Parteien abzugeben wie ein Jackett in der Reinigung. Übersetzt auf die Debatte über Säkularität heißt dies, dass ohne einen gesellschaftlichen Resonanzboden, für den die NGO’s maßgeblich mit verantwortlich sind, werden sich die Parteien auch in Zukunft schwer tun, die Trennung von Staat und Gesellschaft auf ihr Schild zu schreiben.

Beschwörung altbackener Feinbilder – Predigt in einer leeren Kirche

Eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte über eine zukunftsweisende Politik zur Neuregelung des Verhältnisses von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Staat sollte angesichts einiger Fehlschläge in den letzten Jahrzehnten gar nicht erst den Versuch machen, auf klassische antiklerikale Feindbildern aufzubauen. Ein solcher Ansatz hat nicht die geringste Chance auf eine nennenswerte gesellschaftliche Resonanz. Schon deshalb ist er auch innerhalb der Parteien chancenlos.

Die unterschiedlichen Aufgaben und Funktionsweisen von Parteien und NGO’s sind vorhanden und machen auch Sinn. Umso mehr müssen Säkulare – parteiübergreifend – zusammenwirken und von innen und außen auf ihre Parteien einzuwirken, das zählebige Staatskirchenrecht endlich aus seiner Weimarer Gruft zu holen und stattdessen ein modernes Vereinsrecht für zivilgesellschaftliche tätige Organisationen zu entwickeln. Es ist nicht leicht, die mehr oder weniger schweren Tanker in die Spur zu bringen, aber bei klugem Herangehen lassen sich (die Union klammere ich jetzt mal aus) doch innerparteiliche Debatten voranbringen. Dabei wird es darauf ankommen, die Kernpunkte so zu wählen, dass sie auch mehrheitsfähig sind oder werden können. Von daher müssen diese Eckpunkte für eine säkulare Reform plausibel, verständlich und auch aus einem Alltagsverständnis heraus klar nachvollziehbar sein.

Als Beispiele seien folgende Stichpunkte genannt:

  1. Finanzielle Privilegierung der Großkirchen (Kirchensteuer, Staatsleistungen und sonstige unkontrollierte Alimentierungen),
  2. Debatte über erheblichen finanziellen Reserven der Kirchen (Paderborn), die umfassende Alimentierungen im bisherigen Ausmaß verbieten,
  3. Kirchliches Arbeitsrecht mit seiner Missachtung der individuellen Rechte der Beschäftigten und des kollektiven Arbeitsrechts,
  4. Fixierung der geltenden Rechtsnormen auf die christlichen Großkirchen und das Versagen dieser Regelungen bei der Gestaltung wachsender religiös-weltanschaulicher Vielfalt.
  5. Fortdauernde Rückständigkeit insbesondere der Katholischen Kirche in gesellschaftspolitischen Kernfragen.

Ein gutes Motiv für die politischen Parteien, endlich ihren kirchenpolitischen Winterschlaf zu beenden und den Fragen der Säkularität größere Aufmerksamkeit zu schenken ist die wachsende Zahl von Konfessionsfreien. Während die Großkirchen inzwischen deutlich unter die 30-Prozent-Marke gerutscht sind ständig weitere Mitglieder verlieren, wächst die Zahl der Konfessionsfreien. Diese machen inzwischen rund 35 Prozent der Bevölkerung aus. Hinzu kommt, dass auch die wachsende nicht-christliche Religiosität ihren gesellschaftlichen Platz sucht. Hier liegt ein riesiges unbeackertes Feld unmittelbar vor ihren Geschäftsstellen. Kirchenfreie - ob religiös oder nicht – haben noch immer keine politische Lobby in den Parteien. Warum soll sich das nicht ändern?