Genauso hatte es Martin Heidegger in seiner Rektoratsrede in Freiburg formuliert. Michael Schmaus fährt fort, die Enkel des geistigen Liberalismus seien der Sozialismus und der Klassenkampf. Doch die NS- Ideologie kämpfe wie die Kirche gegen den "Ungeist" des 19. Jh., das mechanistische Weltbild müsste durch eine organische Weltdeutung ersetzt werden. Das Opfer gehöre zum Ideenschatz der Kirche und der NS-Bewegung, die beide tief mit einander verwandt seien. Der Wille des Volkes zeige sich im starken Führer, das sei auch in der katholischen Kirche so. [12] Die göttliche Vorsehung habe dem deutschen Volk die größten Aufgaben zugedacht, das neue Reich entstehe auf dem Boden eines germanischen Christentums. Die neue Zeit erfordere Opferwillen und Bekennermut, der religiöse Glaube müsse immer beim Volk, bei Blut und Boden ansetzen. Daher müssen die Katholiken das neue Reich mit voller Überzeugung mittragen. [13] Ähnlich schrieben und lehrten zu dieser Zeit viele Theologen, sie sahen in der NS- Bewegung die große Kämpferin gegen die rationale Aufklärung und das liberale Denken.
Nach 1945 distanzierten sich nur wenige Theologen und Philosophen von der Ideologie des NS-Bewegung, aber sie gaben zu, dass in der Politik Vieles schief gelaufen sei. Andere (A. Hudal, M. Heidegger) glaubten, der wahre Nationalsozialismus werde erst noch kommen. Die meisten Theologen behielten ihre Lehrstühle an den Universitäten, aber ein Umdenken war von ihnen nicht zu erwarten. Daher blieben sie mehrheitlich auch beim traditionalistischen Denken, sie argumentierten weiterhin gegen die freie Vernunft, gegen die rationale Aufklärung und die allgemeinen Menschenrechte. In diesem geistigen Umfeld studierte Joseph Ratzinger Theologie in München und Freising. [14]
Professor der Theologie
Joseph Ratzinger wurde 1927 in Niederbayern geboren und streng katholisch erzogen. Die Familie war stolz auf den Großonkel Georg Ratzinger, der um 1890 als Politiker und katholischer Priester wirkte. Er war ein kämpferischer Antisemit und setzte sich für die Kleinbauern ein. Er sagte voraus, dass die Juden sehr bald schon die Weltherrschaft ergreifen würden. [15] In Traunstein besuchte Joseph Ratzinger ein kirchliches Internat und das Gymnasium, mit 14 kam er zur Hitlerjugend, dann wurde er zur Fliegerabwehr und zur Grenzsicherung eingezogen. 1945 kam er kurzzeitig in amerikanische Gefangenschaft in Ulm, aus der er am 19. Juni entlassen wurde. [16] Nach dem Studium der Theologie wurde er 1951 zum Priester geweiht. Er hatte sich früh für Platon und Aurelius Augustinus begeistert, starke Angst hatte er vor dem freien und kritischen Denken. Daher schrieb er, der von Gott geoffenbarte Glaube dürfe sich niemals dem "Zeitgeist" anpassen. Diese ewigen Wahrheiten faszinierten den jungen Theologen, sie dürfen nicht der "Diktatur der Beliebigkeit" anheimgestellt werden. Seit 1955 unterrichtete er Fundamentaltheologie, fortan verbrachte er sein Leben hauptsächlich an Schreibtischen und Bibliotheken, auf Predigtkanzeln und in Hörsälen. Er verstand sich fortan als Vermittler absoluter göttlicher Wahrheiten. [17]
Als Kardinal und Papst sagte er von sich, dass er nie ein liberaler Denker gewesen sei, er hatte immer Angst vor dem freien und kritischen Denken. Die ewigen Wahrheiten dürften gar nicht diskutiert werden, sie müssten blind geglaubt werden. Für ihn waren alle liberalen Theologen fortan Gegner und Feinde, er nannte sie "schräge Gesellen" und "krumme Hunde", denn sie verfälschten den wahren Glauben. Sie wollten aus Jesus einen Revolutionär machen und verbänden die Religion mit dem Marxismus. Die US-Medien nannten ihn nun bald den deutschen "Panzerkardinal", denn alle kritischen Einwände prallten an ihm ab. [18]
Im Jahr 1981 kam er nach Rom und leitete fortan das Heilige Offizium, die Glaubenskongregation, die frühere Inquisitionsbehörde im Vatikan. Von nun an bezeichnete er sich selbst als "Kettenhund des Papstes", der alle liberalen Theologen und Kleriker gnadenlos verfolgen wollte. Er wollte alle Vertreter der "Befreiungstheologie" in Lateinamerika und in Afrika mundtot machen, den Dialog mit anderen Religionen auf der gleichen Ebene verweigerte er. So kritisierte er den Papst, weil dieser 1986 in Assisi mit Vertretern anderer Weltreligionen auf einer Ebene gestanden war und gebetet hatte. Er vertrat die alte Reichstheologie der Aurelius Augustinus, von den Klerikern und Theologen verlangte er Zeichen der Hoheit und der Herrschaft. [19]
Der deutsche Panzerkardinal
Wie baut sich nun die Großideologie dieses Theologen und Papstes aus Bayern näher auf? Er geht mit dem Reichstheologen Aurelius Augustinus fest davon aus, dass die Menschheit und die Welt mehrheitlich böse und in der "Erbsünde" verstrickt sind. Die Erlösung von der Macht des Bösen sei nur und allein in Jesus Christus zu uns Menschen gekommen. Daraus folge die Absolutheit und monopolhafte Gültigkeit aller katholischen Lehren, denn außerhalb dieser Kirche sei für die Menschen kein Seelenheil zu finden. Doch was ist der Inhalt dieser kirchlichen Erlösungslehre? Sie besteht in der Gesamtheit aller kirchlichen Dogmen, welche die Bischöfe im Lauf der Jahrhunderte auf ihren Konzilien formuliert haben. Von diesen Dogmen dürfen Theologen keine Abstriche machen, ja sogar die viel ältere Bibel soll von diesen späteren Dogmen her ausgelegt werden (kanonische Exegese). Als Wissenschaftler hätte dieser Theologe einmal fragen müssen, wie denn diese Dogmen entstanden sind, welches Weltbild sie ausdrücken, wie sie durchgesetzt wurden. [20]
Doch solche Fragen stellt sich ein Großideologe prinzipiell nicht. Damit erweist sich der Panzerkardinal als ein Dogmenfundamentalist und als extremer Verteidiger des spätantiken Reichschristentums. Denn die Konzile der Bischöfe wurden seit 325 n.Chr. von römischen und byzantinischen Kaisern einberufen, um ein einheitliches Christentum zu gewinnen. Erst ab 1139 wurden sie von den römischen Päpsten einberufen. Damit drücken alle Dogmen der Kirche eine doppelte Herrschaft aus, nämlich die Oberhoheit der Bischöfe und Kleriker, sowie die Herrschaft der Fürsten und Könige. Allein an den beiden letzten Konzilien (1870 und 1962–1965) haben keine Fürsten mehr teilgenommen. Folglich sind Dogmen das Ergebnis eines politischen Ringens um einheitliche Herrschaft mittels der Religion. [21]