BONN. (hpd) Karen Krüger und Anna Esser, die beide in Istanbul aufgewachsen sind, legen mit ihrem Buch "Bospours reloaded. Die Türkei im Umbruch" eine journalistische Beschreibung und Kommentierungen von Entwicklungen in dem Land in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft vor. Die eingängige Darstellung und lockere Schreibe gehen dabei mit klugen Beobachtungen und kritischen Reflexionen einher.
Die politischen Entwicklungen in der Türkei sind aus den unterschiedlichsten Gründen von großem Interesse: Das islamisch geprägte Land steht vor dem Scheideweg zwischen einer Liberalisierung hin zu einer offenen Gesellschaft und einem Rückfall in ein autoritäres Modell. Es ist demnach mehrfach gespalten: in arm und reich, konservativ und modern, ländlich und städtisch, religiös und säkular. Als nicht nur geographische, sondern auch politische Brücke in den Nahen Osten kommt der Türkei hohe Bedeutung für Einflüsse auf damit einhergehende Konflikte zu. Und schließlich stammt ein bedeutender Anteil der Menschen in Deutschland entweder direkt oder familiär aus dem Land. Einen plastischen Eindruck von den dortigen Entwicklungen vermittelt das Buch "Bosperums reloaded. Die Türkei im Umbruch", das Karen Krüger und Anna Esser vorgelegt haben. Beide sind in Istanbul aufgewachsen und nehmen daher eine besondere Perspektive ein. Esser arbeitet aktuell dort im Goethe-Institut, Krüger journalistisch für die "Frankfurter Allgemeine".
Dadurch ist auch der Blick auf die Entwicklungen in der Türkei im Buch geprägt. In den vierzehn Kapiteln geht es jeweils um besondere gesellschaftliche Aspekte: die Daily Soaps und das Frauenbild, den Fußball und das Geschichtsbild, die Kunstszene und die Liebesbeziehungen, die Medienlandschaft und das Militär, das Nachtleben und die Ökologie, die Popmusik und die Religion, die Stadtplanung und die Universität. Aufgrund ihrer persönlichen Einblicke berichten Krüger und Esser dann über die Konflikte und Neuerungen in den genannten Bereichen. Auf den ersten Blick scheint es sich dabei nur um eine Ansammlung von Berichten und Kommentaren zu handeln. Die eingängige Darstellung und flotte Schreibe liefern indessen nur die Form für genaue Beobachtungen und kluge Kommentare. Damit hat man es mit einem anregenden und informativen Buch zu tun, das mit der Lockerheit eines Reiseberichts die Umbrüche in der Türkei ins Visier nimmt. Die Autorinnen sind hierbei indessen weder neutral noch unparteiisch:
Denn ihr "Buch über junge Istanbuler und über Menschen in der Türkei, die ideengebend für die junge Generation sind" (S. 27), ist eine gesellschaftliche und politische Liebeserklärung an die "Gezi-Park"-Protestbewegung. Immer wieder kommen Krüger und Esser bei den Ausführungen zu ganz anderen Themen auf diese zurück. Für die Autorinnen stand die Revolte von jungen Angestellten und normalen Studenten für einen gesellschaftlichen Aufbruch, der das Land in die Moderne hätte katapultieren können. Dass die AKP-Regierungspartei bei den ersten Wahlen ihre absolute Mehrheit verlor, schien ein Ausdruck dieser Hoffnung zu sein. Die Arbeit am Buchmanuskript wurde erkennbar vor der zweiten Wahl abgeschlossen. Denn dabei konnte die Erdogan-Partei wieder erneut die absolute Mehrheit erlangen. Eine damit einhergehende Entwicklung, die auch etwas mit den Folgen von Anschlägen im Land und Konflikten um Syrien zu tun hat, bestärkte die Regierung und führte zu einem Rollback gegenüber der Pluralisierung.
Damit sind aber die Beschreibungen und Einschätzungen von "Bosporus reloaded" keineswegs überholt. Sehr anschaulich und präzise machen die Autorinnen gesellschaftliche Entwicklungen deutlich. Mitunter genügt ein einfacher Satz wie: "Früher stempelte das Kopftuch eine Frau zur Außenseiterin und behinderte ihre Karriere, heute ist oft das Gegenteil der Fall" (S. 82) oder "Führungspersönlichkeiten der Hamas sind gern gesehene Gastredner auf AKP-Veranstaltungen" (S. 93) oder: "Als Journalist hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man schreibt, was der Regierung gefällt, dann kann man sich ruhig zurücklehnen. Oder man ist unerschütterlich in seinem Glauben an Moral und Ethik und riskiert, von Erdogan verbal angegriffen, von regierungsnahen Medien verleumdet, von der Polizei verhaftet oder vom Chefredakteur gefeuert zu werden" (S. 127). Die kritische Perspektive auf die Türkei überwiegt. Beide Autorinnen machen aber auch auf hoffnungsvolle Entwicklungen insbesondere unter den jungen Menschen in den Städten aufmerksam.
Karen Krüger/Anna Esser, Bosporus reloaded. Die Türkei im Umbruch, Berlin 2015 (Aufbau-Verlag), 335 S., 16,95 Euro