Wien: Forscher untersuchen Anfänge des Bewusstseins an Raben

Das Denken kam mit der List in die Welt

BERLIN. (hpd) Rabenvögel kommen den Verstandesleistungen der Primaten sehr nahe. Schon lange ist bekannt, dass Raben Futter vor Konkurrenten verstecken, also täuschen können. Zwei Biologen und ein Philosoph ersannen nun eine Versuchsanordnung, die beweisen soll, dass diese Tiere mit einem komplizierten Sozialleben sich eine Vorstellung davon machen können, was die Absichten ihrer Artgenossen sind, auch wenn sie diese nicht sehen, also ihr Verhalten nicht im Blick haben.

Die Kognitionsbiologen Thomas Bugnyar und Stephan Reber von der Universität Wien versorgten zwei Raben in zwei einander benachbarten Käfigen, die entweder durch einen Durchlass oder durch ein Guckloch miteinander verbunden waren, mit Futter. Sie tauschten auch die Käfigbesetzung. Vogel A kam in den Käfig B und umgekehrt. Wie erwartet verbarg das rangniedrigere, das heißt schwächere jüngere oder weibliche Tier das ihm zugedachte Futter nicht nur, wenn der Durchlass offen war, sondern auch, wenn ihn der Nahrungskonkurrent nur durch das Guckloch sehen konnte. Später, wenn die Luft rein war, holte es die Mahlzeit wieder hervor. Dabei machte sich der Vogel freilich offenbar keine Mühe miteinzubeziehen, ob das Futter aus der Perspektive des anderen auch tatsächlich nicht sichtbar war. Schließlich ließen die Forscher im Nachbarkäfig nur ein unsichtbares Tonband laufen, mit den Lauten des vertrauten Vogels. Solange das Guckloch offen war, versteckte sein Käfignachbar weiterhin seine Leckerbissen.

Die Wissenschaftler folgern, die Vögel müssen im Stande sein, zu erfassen, dass die Erfahrung, die sie selbst mit dem Guckloch gemacht haben, wahrscheinlich auch sein Nahrungskonkurrent macht. Denn sie verbargen ihr Futter auch dann, wenn sie nicht an der Blickrichtung des anderen Probanden sehen konnten, wie der möglicherweise dazu ansetzte, ihm das Futter zu entwenden und deshalb bereits mit Blicken seinen Bewegungen folgte. Die Forscher, zu denen auch der Philosoph Cameron Buckner von der University of Houston in Texas gehört, der an der Konzeption der Versuchsanordnung mitwirkte, wollten beweisen, dass hier nicht Empathie im Spiel war. Vielmehr muss der Rabe einzig eine Vorstellung gehabt haben, dass auch der andere aus den eigenen abgeleitete und schließlich verschiedene Vorstellungen und Absichten haben könnte.

Der Versuch wurde mit dem Argument kritisiert, dass die Raben möglicherweise nur gelernt haben könnten, bei immer komplizierter werdenden Versuchsanordnungen mit Verstecken zu reagieren. Die Forscher entgegneten, dazu müssten sie sich eine Vorstellung von der Absicht der Forscher machen, was keine geringere mentale Leistung sei.

Es geht in jedem Fall nicht ums Hineinversetzen, sondern um das Sich-Vorstellen, was der andere Vogel wohl tun könnte, mit der Betonung auf “könnte”. Während sein Käfignachbar, wenn er diesen sieht, ja unmittelbar vor Augen hat, was dieser im Sinn hat. Jedenfalls wenn man von der Prämisse ausgeht, dass Sich-Verhalten mit Im-Sinn-Haben ungefähr identisch ist, nur das eine eine Innen- das andere eine Außensicht. Und es geht um ein “Fremd-Bewusstsein”, abgeleitet aus dem Ich-Bewusstsein.

Siehe auch: nature.com