Zucker auf Kassenkosten?

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, die Erstattung von Homöopathika per Satzungsleistung der gesetzlichen Krankenkassen unterbinden zu wollen. Das sieht er als Teil eines Paketes zu Finanzierungsregelungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vor.

Bemerkenswerterweise hat dieser im Gesamtzusammenhang kleine Part bundesweit Aufmerksamkeit erregt, was sich in der Presse- und Medienwelt sogar kurzfristig den Blick auf das Weltgeschehen in den Hintergrund drängte. Der Gesamteindruck: sehr viel Zustimmung, auch in den sozialen Medien, (wer hätte das gedacht!), aber natürlich auch Kritik aus erwartbarer Richtung. Der Kern der Sache wird bei alledem leider weitgehend vernachlässigt. Das, obwohl Minister Lauterbach seine Gründe für den Vorstoß jenseits einer Diskussion über "Peanuts" offen dargelegt hat.

Machen wir uns also daran, jenseits von Nebenkriegsschauplätzen, von Vor- und Fehlurteilen, Betroffenheitsbekundungen und "Expertenäußerungen" am Rande der Realsatire zum Kern der Sache zu kommen. Und dabei hilft uns einmal mehr Dr. Natalie Grams, ohne deren jahrelange aufklärerische Arbeit es den kritischen Fokus auf die Homöopathie wahrscheinlich gar nicht gäbe. Denn schon lange stellt sie die Frage: "Diskutieren wir gerade wirklich ernsthaft, ob es sinnvoll ist, dass Krankenkassen für Zucker erstatten?"

Was sich erst einmal wie Überspitzung oder Ironie anhört, ist leider Fakt. Dass Homöopathika tatsächlich "nur Zuckerkügelchen" sind, ist zwangsläufige Folge der homöopathischen Prinzipien selbst. Woraus (wie auch aus anderen Aspekten) zwangsläufig folgt, dass sie medizinisch irrelevant sind – nicht über Placebo und Kontexteffekte hinaus wirksam.

Das kann längst nicht mehr ernsthaft zur Debatte stehen. Auch Minister Lauterbach hat in seiner Pressekonferenz sehr deutlich gemacht, dass die Kosteneinsparung kein primärer Aspekt bei seinem Vorstoß ist. Denn dieser lässt sich ohnehin auf den einfachen Nenner bringen: Nichts ist immer zu teuer. Auch Lauterbach ist klar, dass eine Existenz einer "Therapierichtung" ohne Wirksamkeitsnachweis und ohne Plausibilität innerhalb des öffentlichen Gesundheitswesens eine Groteske ist, die nach einer Korrektur geradezu schreit. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht.

Und nicht nur das; Wenig bis unbekannt ist, dass die Erstattung von Homöopathika durch GKV-Kassen auch rechtlich durchaus auf tönernen Füßen steht. Homöopathika (und Anthroposophika) sind 2012 in die Erstattungsfähigkeit "gerutscht", als unter dem damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr der Katalog der "Satzungsleistungen", also der aufgrund eigener Entscheidung der einzelnen Kasse erstattungsfähig "gemachten" Leistungen, erweitert wurde. Dabei steht das Wort "Homöopathie" an keiner einzigen Stelle dieses Katalogs (§ 11 Abs. 6 Sozialgesetzbuch V). Sie werden schlicht unter die Möglichkeit subsumiert, Satzungsleistungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel vorzusehen. Die bekanntlich in der Gesundheitsreform 2004 komplett aus dem Regelleistungskatalog der GKV gestrichen worden waren.

Kein Schelm, der Böses dabei denkt. Denn wer die Debatte damals verfolgt hat, dem ist klar, dass hinter dieser Aktion vor allem der Wunsch steckte, Homöopathika wieder "salonfähig" zu machen. Dafür wurde heftig lobbyiert, auch von den Kassen selbst, die hier einen lukrativen Ansatz zur Kundenakquise (genannt "Wettbewerb") sahen – und bekamen. Gegen alle Zweifel von Fachleuten, ob diese Aktion mit der Anforderung zu vereinbaren seien, Kassen dürften nur Leistungen erstatten, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Eine Achillesferse, zumal der einschlägige § 12 des Sozialgesetzbuchs V sogar den Kassen ein ausdrückliches Verbot auferlegt, Erstattungen zu leisten, die diesen Kriterien nicht genügen.

Es kam, was kommen musste. Die Sache landete vor dem Bundessozialgericht. Schon im Jahre 2016 urteilte dieses:

"Dass an den Nachweis der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit homöopathischer Arzneimittel keine geringeren Anforderungen zu stellen sind als bei allopathischen Arzneimitteln, hat der Senat bereits ausdrücklich entschieden (BSGE 117, 129 = SozR 4-2500 § 34 Nr 16, RdNr 56 ff; BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 34 ff). Der therapeutische Nutzen von NN® und seine Zweckmäßigkeit müssen sich an denselben Kriterien messen lassen wie Allopathika."

Und weiter, vergessen wir hier einfach mal den irreführenden Begriff "Allopathika":

"… eine Begünstigung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit der Folge, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, kommt nicht in Betracht."

In einem früheren Urteil, auf das sich das BSG ausdrücklich bezog, heißt es ähnlich:

"Hiermit übereinstimmend wird auch im Schrifttum zu dem Gebot, der therapeutischen Vielfalt und damit der spezifischen Wirkungsweise der homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimittel Rechnung zu tragen, betont, dass auch bei den besonderen Therapierichtungen "Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Qualitätssicherung zu beachten" sind und ihnen "keine Sonderstellung eingeräumt" ist (R. Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung – SGB V, § 27 RdNr 307).

"Weder eine Begünstigung noch eine Benachteiligung der Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen ist gewollt. … Eine Begünstigung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen mit der Folge, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse … entsprechen, widerspricht … den gesetzlichen Vorgaben" (E. Hauck in Peters, aaO, § 34 RdNr 33 ).

Dem auch aktuell wieder geäußerten Argument eines Erhalts "therapeutischer Vielfalt durch Einbeziehung unwirksamer Mittel und Methoden ist damit ein Riegel vorgeschoben. Damit reduziert sich die ganze Angelegenheit auf die Frage, wie bitte sollen die Anforderungen "wirtschaftlich, notwendig und zweckmäßig" von Mitteln erfüllt werden, die in über 200 Jahren keinen belastbaren Wirkungsnachweis erbringen konnten?

Interessant, dass diese durch das BSG fixierte rechtliche Einschätzung niemals ein Echo oder Konsequenzen hatte. Warum auch immer. Bis jetzt! Man kann also mit Fug und Recht sagen: Minister Lauterbach handelt – endlich – nach geltendem Recht, wenn er die Homöopathie-Kassenerstattung nicht mehr als gegeben hinnimmt.

Also kann man ohne Umstände zu dem Schluss kommen, dass bei einer unvoreingenommenen Gesamtschau auf die Sach- und Rechtslage die jetzt geübte Praxis der Homöopathieerstattung durch die GKV-Kassen seit jeher eine sehr wackelige Angelegenheit war.

Sicher weiß Minister Lauterbach auch, dass die Kostenerstattung durch die gesetzlichen Kassen einer unsinnigen und u.U. gefährlichen "Therapieoption" Glaubwürdigkeit verschafft und damit die Gesundheitskompetenz der Menschen, deren Förderung ein explizites Ziel der Gesundheitspolitik ist, wohl kaum zugute kommt.

Das kann es ja wohl nicht sein. Deshalb, jenseits aller teils seltsamen Beschwörungen einer Katastrophenlage und abstruser Alarmrufe in den Reaktionen auf Herrn Lauterbachs Ankündigung;

Ein Ende der von Kassenerstattungen für Homöopathika (und Anthroposophika) ist richtig und überfällig und nichts anderes, als Verirrungen der Vergangenheit wieder den richtigen Weg zu weisen und damit der Vernunft und den Fakten wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.

Zitatbild Dr. Natalie Grams

Aus "Expertenstatements" in Presse und Medien zu Herrn Lauterbachs Absichten:

Den Anfang macht die Vorsitzende des DZVhÄ, die in einem Artikel bei BR24 wie folgt zitiert wird:

"Homöopathie sei durchaus wissenschaftsbasiert, meint Michaela Geiger, Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte: "Das sehen wir tagtäglich in unseren Praxen. Es ist uns wichtig, als Hausärztinnen und Hausärzte ein breites Spektrum an Therapiemöglichkeiten zu haben."

Wobei den Homöopathiekritikern immer "reduktionistischer Materialismus" vorgeworfen wird, verbunden mit der Behauptung, diese "würden nur das glauben, was sie sehen"? Ein Schlaglicht auf das Wissenschaftsverständnis der ärztlichen Homöopathie.

In einem weiteren Beitrag präzisiert die Vorsitzende, gegenüber dpa:

"Eine Streichung der freiwilligen Kassenleistung Homöopathie würde das Therapieangebot in der ärztlichen Versorgung einschränken", sagte die Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, Michaela Geiger, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Es würde eine "therapeutische Monokultur in den Praxen entstehen - die Leidtragenden wären die Patienten", sagte die Neckarsulmer Hausärztin. "Wir erleben täglich in der Praxis, dass die Therapievielfalt medizinisch sinnvoll ist."

Nichts, gar nichts an Minister Lauterbachs Plänen schränkt irgendein Therapieangebot ein. ÄrztInnen und PatientInnen können weiterhin Homöopathie einsetzen und nutzen, so lange dabei ethische Grundsätze wie die Aufklärungspflicht (informed consent) erfüllt wird. Und die Gefahr einer "therapeutischen Monokultur"? Also bitte – wenn in Neckarsulm heute kein Niederschlag fällt, ist morgen der Nil ausgetrocknet?

Und ein hochrangiger Vertreter der Apothekerkammer Nordrhein meint laut "Rheinische Post" allen Ernstes:

"Die Summen, die derzeit für homöopathische Mittel aufgewendet würden, seien noch sehr gering, sagte der Vorstandsvorsitzende Preis der "Rheinischen Post". Eine Abschaffung dürfte aber dazu führen, dass alternative Therapien mit sehr viel teureren Arzneimitteln umgesetzt würden. Zudem würden wirtschaftlich schwächer gestellte Menschen benachteiligt, da sie sich die homöopathische Behandlung nicht mehr leisten könnten. Das geplante Bezahlverbot ändere auch nichts am Status homöopathischer Produkte als apothekenpflichtig. Globuli etwa dürften weiterhin nur dort verkauft werden."

Dass letzteres kein Argument gegen die aktuellen Pläne ist, liegt auf der Hand, vielmehr sind das weitere Aspekte, die ebenso ministerielle Aufmerksamkeit verdienen. Und: Ja, das ist eine wahrhaft homöopathische Sichtweise. Wenn man weniger ausgibt, steigen die Kosten! Und wer bitte hat je behauptet, dass Homöopathika durch "sehr viel teurere Medikamenten" ersetzt werden sollen/würden? Es ist doch einfach: Wenn Homöopathika scheinbar "gewirkt" haben, handelte es sich um eine selbstlimitierende Erkrankung (der natürliche Krankheitsverlauf), die Regression zur Mitte und ein bisschen Placebo. Also nichts Behandlungsbedürftiges. Geht eine Erkrankung darüber hinaus, sind Placebos nicht nur unnötig, sondern unangebracht. Folgerung; Einen realen Patientennutzen hat Homöopathie nie. Redet der Vertreter der Apo-Kammer hier tatsächlich der Absurdität das Wort, die Menschen lieber mit unwirksamen, aber billigen Mitteln als mit – sofern indiziert – "teureren", aber wirksamen Mitteln zu "versorgen"?

Wobei es tatsächlich hier und da das Problem gibt, dass Menschen von Homöopathika psychisch abhängig sind und sich gar in der Lebenshaltung einschränken, um sich ihre Mittelchen leisten können. Das ist aber nicht ein Argument für die Kassenerstattung von unwirksamen Mitteln, sondern eine sehr bedauerliche Folge davon, dass sich eine falsche Reputation der Homöopathie zum Schaden solcher Menschen weit verbreitet hat. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Homöopathie mit dem Glaubwürdigkeitsbonus von Kassenerstattung und Apothekenpflicht anrichten kann. Und eben dem will Minister Lauterbach nun in einem ersten wichtigen Schritt entgegenwirken.

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