Die polnische Opposition hat neues und schöneres Gesicht. Viele Tausende schwarzgekleidete Polinnen haben am Samstag vor dem Parlament und am Montag landesweit gegen einen Gesetzentwurf zum vollständigen Verbot von Abtreibung demonstriert. Proteste fanden in Warschau auch vor dem Sitz der Regierungspartei PiS statt.
Das ist völlig neue Qualität der Proteste: Bisher hat das Komitee zur Verteidigung der Demokratie zu Kundgebungen aufgerufen, mit dem Ziel, Verfassungsgericht, freie Medien und andere Grundwerte zu verteidigen. Diese Proteste hatten viele Tausende Menschen versammelt; Menschen im Alter so um 50+ die noch die repressive Zeiten vor der Wende 1989 gut in Erinnerung behalten.
Diesmal kamen vor allem junge Frauen im Alter so um 30. Sie waren nicht so friedlich und höflich, wie die KOD-Demonstranten. Sie waren zornig. Auf den Bannern waren nicht die Worte "Verfassung" "Demokratie" zu lesen; die jungen Frauen trugen selbstgebastelte Tafeln und Schilder mit den scharfen Fluchworten an die Regierung und die Kirche gerichtet. Sie verlangen für die eigene Vagina einen Frauenarzt und nicht den Pfaffen.
Wie gespannt die Atmosphäre war, zeigten die Ereignisse in Posen am Montag. Eine Gruppe junger Männer wollte vor das örtliches Büro der PiS-Partei gehen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Hunde und Tränengas verwendete. Man weiß nicht, ob die Männer Anstifter oder Pseudo-Fußballfans waren, die jede Möglichkeit suchen, um Krawallen anzufangen. Andere Demonstranten schlossen sich an; es gab Verletzte unter Polizisten und Verhaftete unter Demonstranten. Im Internet breiteten sich die Nachricht aus, dass die Polizei Frauen schlägt.
Es scheint, dass das Thema Abtreibung außer Kontrolle gerät. Am Montag protestierten in 143 Orten Polens mindestens 100.000 (meistens) Frauen. In vielen europäischen Städten, auch in Berlin, fanden Solidaritätskundgebungen statt.
Die Regierenden haben so heftige und massenhafte Proteste nicht erwartet. Wieso also hat die PiS Regierung diesen "Abtreibungskrieg" begonnen, obwohl eine Umfrage vom vergangenen Monat im Auftrag des Magazins Newsweek Polska ergab, dass 74 Prozent der Polen dafür eintreten, das bestehende Abtreibungsgesetz aus dem Jahr 1993 beizubehalten? Die kürzeste Antwort lautet: das ist die Bezahlung der von der katholischen Kirche ausgestellten Rechnung. Die Bischöfe verlangen seit Jahren den "Schutz des Lebens" ab dem Moment der Befruchtung bis zum natürlichen Tod. Bisher waren das genau so leere Worte wie ewiges Leben nach Auferstehung. Aber jetzt wollen die Bischöfe das verwirklichen. Auf Initiative des von der Kirche unterstützten Bürgerkomitees "Stoppt Abtreibung" wurde vergangene Woche im Parlament ein Gesetzesentwurf für ein praktisch vollständiges Verbot von Abtreibungen eingebracht. Gleichzeitig hat das Komitee "Rettet die Frauen” das Projekt der Liberalisierung des bestehenden, restriktiven wie fast nirgendwo in Europa Gesetzes eingereicht. Das erste Projekt wurde zu weiteren Behandlungen in Parlament Ausschüssen geleiten, das zweite wurde völlig abgelehnt.
Öl ins Feuer waren die Aussagen einiger Minister, die die protestierenden Frauen auslachten und beschimpften. Aber schon am Dienstag hat die regierende PiS-Partei den Rückgang eingeschaltet. Die polnische Premierministerin, Beata Szydło, erklärte, dass es in der Regierung keine Bestrebungen gäbe, das bestehendes Abtreibungsgesetz zu ändern. Sie hat bestimmt die Parolen auf den Protesten gelesen: "Die Regierung ist keine Schwangerschaft, man kann sie beseitigen."
In der Regierung gibt es keine entsprechenden Bestrebungen? Doch auch nicht im Parlament? Es könnte sein, dass es jetzt nicht zu Änderung des bestehendes Gesetzes kommt. Die Kirche wird aber nicht locker lassen. Sie organisiert jetzt einen "weißen Protest". Die Gläubigen mit den weißen Schalls um Hals beten in den Kirchen um das Leben für die ungeboren Fötus.
Wir werden sehen, wie sich die Situation entwickelt; aber schon der Versuch, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen, hat die meisten polnischen Frauen ins Lager der Opposition getrieben.
1 Kommentar
Kommentare
Klaus Bernd am Permanenter Link
Um mal wieder eine Brücke nach Deutschland zu schlagen: Am Samstag dem 17.9. 2016 nahmen 5 katholische Bischöfe am „Marsch fürs Leben“ teil. An ihrer Seite: AfD-Vorzeigemutter Frauke Petry.
Der Papst selbst aber hat den katholischen polnischen Frauen – natürlich nur den Betuchten, die sich Bigotterie leisten können – ein Hintertürchen geöffnet. In der Papstmesse vom 6.10.2016 sprach er davon: „Festhalten an Gesetzen führt zur Ideologie“ und im weiteren:
>>Die wahre Lehre besteht nicht aus Gesetzen, die es streng zu befolgen gilt, sondern gründet auf der Offenbarung Gottes. Das betonte der Papst in seiner in dieser Woche einzigen öffentlichen Frühmesse in der Casa Santa Marta an diesem Donnerstag. Wer sich nur an Gesetze halte, verfalle leicht einer Ideologie. Stattdessen solle der Gläubige einfach nur sein Herz für den Heiligen Geist offenhalten, den Rest besorge dann Gott selbst.<< (Quelle: Radio Vatikan)
Also: was immer der Heilige Geist euch sagt, es steht über den Gesetzen.
Aber ist das nicht der ansonsten so viel geschmähte Subjektivismus in Reinkultur ??? In der Kirchengeschichte sind jedenfalls viele - in der Regel sogar Kleriker - als Ketzer dafür hingerichtet worden, dass sie auf den "Heiligen Geist" gehört haben. Ist vielleicht doch keine so gute Idee.