Der Aberglaube bestimmt unser Leben mehr, als uns lieb ist

Alle Menschen lassen sich täuschen und tappen immer mal wieder in die Falle des Aberglaubens. Es gibt harmlose Formen, aber auch problematische.

Wir Menschen sind stolz darauf, bewusst zu handeln, vernünftige Entscheide zu treffen und ein flott funktionierendes Hirn zu besitzen, das auch komplexe Zusammenhänge erkennt. Darin unterscheiden wir uns von der Tierwelt. Der Glaube an unsere kognitiven Fähigkeiten fördert zu einem beträchtlichen Teil unser Selbstverständnis und unser Selbstbewusstsein. Wir definieren uns als mündige, geistig autonome und freiheitsliebende Individuen.

Doch stimmt diese Selbsteinschätzung? Nur zum Teil. Denn unser Hirn produziert laufend Fehleinschätzungen. Oder es zieht Schlüsse, die im Bereich des Aberglaubens anzusiedeln sind. Das betrifft nicht nur den religiösen oder spirituellen Glauben, sondern auch alltägliche Phänomene. Konkret: Unser Hirn sucht stets nach Mustern und Analogien. Um lebenswichtige Erfahrungen zu machen und das Leben besser zu bewältigen, braucht es Vergleiche und zieht Schlüsse. Doch diese sind oft falsch.

Ein paar Beispiele: Wenn wir gelegentlich an einem Freitag Kopfweh haben, uns Geschirr zu Boden fällt oder uns etwas zustößt, sehen wir gern einen Zusammenhang zwischen dem Freitag und den entsprechenden Ereignissen. Viele betrachten irgendwann den Freitag als verhexten Wochentag. Doch der Freitag kann so wenig für unsere Missgeschicke wie der Kalender. Beide sind willkürlich gewählte Einheiten und haben keinen Einfluss auf unser Befinden oder unser Leben. Es ist unser Hirn, das diese falschen Zusammenhänge produziert und unser Bewusstsein unheilvoll beeinflusst.

Und wenn wir einmal daran glauben, sind wir für solche Wahrnehmungen sensibilisiert und nehmen jede kleinste Unannehmlichkeit an Freitagen wahr, die uns an anderen Wochentagen nicht auffallen würde. So wird der Aberglaube zementiert und kein vernünftiges Argument kann ihn korrigieren. Die Antwort lautet dann meist: Ich habe es schließlich mehrfach selbst erlebt.

Falls wir wirklich über einen gewissen Zeitraum eine ungewöhnliche Häufung solcher Ereignisse feststellen, was nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip möglich ist, gibt es eine einfache Erklärung für dieses Phänomen: Das Zufallsprinzip, wie wir es auch beim Würfeln sehen. So ist es möglich, dass wir bei 20 Versuchen sechsmal eine Drei würfeln. Beim Freitag dem 13. potenziert sich der Aberglaube noch, weil diese Ziffer als Unglückszahl gilt. Das geht so weit, dass viele Hotels die 13 bei der Nummerierung der Zimmer auslassen.

Als weiteres Unglückssignal gelten schwarze Katzen, die von links über die Straße rennen. Es bleibt das Geheimnis der Abergläubigen, wo der Unterschied zur Katze liegt, die von rechts die Straße überquert. Und wo ist der Unterschied zu einer weißen Katze? Überhaupt: Was hat eine Katze mit einem möglichen Unglück zu tun? Das sind reine Selbsttäuschungen und Einbildungen, die Zwillingsschwestern des Aberglaubens.

Einen ähnlichen Aberglauben entwickeln wir bei körperlichen Problemen, vor allem bei alternativen Therapiemethoden. Wenn ich beispielsweise bei Kopfweh eine Pille schlucke und die Schmerzen nicht nachlassen, gebe ich dem Medikament die Schuld. Nehme ich beim nächsten Mal ein homöopathisches Mittel und das Kopfweh verschwindet, schwöre ich in Zukunft auf Globuli.

Logische Erklärungen und Analysen schützen vor Aberglauben

Würden wir nicht auf solche Muster hereinfallen und abergläubische Schlüsse ziehen, kämen wir auf logische Erklärungen. Diese würden etwa so lauten: Bei der Einnahme des Schmerzmittels war das Kopfweh so heftig, dass die Pille keine Wirkung zeigte. Umgekehrt bei den Globuli: Die Schmerzen waren nicht so stark und wären von selbst wieder abgeklungen. Geholfen hat außerdem bei den homöopathischen Mitteln der Placeboeffekt.

Einen solchen Aberglauben kultivieren Gläubige auch im religiösen Kontext, beispielsweise bei den Gotteserfahrungen. Ein Beispiel: Dogmatische Freikirchler sind überzeugt, dass Gott ihre Gebete erhört und sie beschützt. Viele glauben auch, mit Gott kommunizieren zu können.

"Gottesbeweise" können ebenfalls Aberglaube sein

Sie beten beispielsweise, Jesus möge ihnen helfen, einen Job zu finden, eine Prüfung zu bestehen, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen oder einen Wettkampf zu gewinnen. Erreichen sie ihre Ziele, prägt dies gleich mehrere Überzeugungen: Gott hat mich unterstützt, er hat in mein Leben eingegriffen, ich bin in seiner Gnade und der Erfolg beweist mir, dass es ihn gibt und er der barmherzige Vater ist, der mich beschützt.

Das alles kann aber auch Aberglaube sein, denn ein Atheist mit den gleichen Fähigkeiten hätte die Prüfung ebenfalls bestanden oder den Wettkampf gewonnen. Der religiöse Glaube kann also auch zum Aberglauben werden. Beim Aberglauben spielt oft auch das Prinzip der selektiven Wahrnehmung eine Rolle. Man nimmt dann nur noch Ereignisse wahr, die die eigene Überzeugung stützen und verdrängt Beobachtungen, die ihr widersprechen.

Ähnlich verhält es sich bei COVID-19: Die Corona-Leugner oder -Skeptiker akzeptieren nur diejenigen Informationen, die von ihren "Glaubensgeschwistern" aus der eigenen Blase stammen. In ihrer ideologischen Verblendung negieren sie selbst dann Fakten, wenn sie von mehreren unabhängigen Expertenteams untersucht und bestätigt worden sind.

Auch Corona-Leugner erliegen oft dem Aberglauben

Um ihr abergläubisches Konstrukt aufrechtzuerhalten, erklären sie, die Resultate seien gefälscht. Dabei haben sie weder Hinweise noch Beweise für ihre Behauptung.

Beim Glauben wird das Prinzip des Aberglaubens oft noch durch die Suggestion verstärkt. Die Gläubigen sehnen sich nach Zeichen und Wundern von Gott und stellen erst recht Zusammenhänge her, die bei einer nüchternen Analyse leicht als Aberglauben entlarvt werden könnten.

Alle Menschen lassen sich täuschen und tappen immer mal wieder in die Falle des Aberglaubens. Es gibt harmlose Formen, aber auch problematische, die Ängste fördern, die Freiheit einschränken oder in eine Scheinwelt führen. Durch selbstkritisches Analysieren und Hinterfragen können wir uns gegen die gefährlichen Auswüchse wappnen.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung (und minimalen Änderungen) von watson.ch.

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