Interview zum Film "Alles Rauschen und Lärm"

"Weil wir alle wollen, dass unsere Familien frei sind"

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Protagonistin Jewher Ilham
Jewher Ilham

In Partnerschaft mit Amnesty International wird der Film "All Static and Noise" am 15. Juni 2025 um 19:00 Uhr im Movimento Kino in Berlin gezeigt, und am 17. Juni 2025 um 17:00 Uhr im Abaton Kino in Hamburg. Der Dokumentarfilm deckt die Verfolgung des uigurischen Volkes durch die chinesische Regierung auf. Eine der Protagonistinnen, Jewher Ilham, begleitet beide Aufführungen und stellte sich vorab einigen Fragen zum Film und zu ihrer Person.

Brigitte Looß/Amnesty International: Welche Bedeutung hat der Filmtitel "All Static and Noise", zu Deutsch "Alles Rauschen und Lärm"?

Jewher Ilham: Der Titel des Films geht auf eine Rede des Parteisekretärs der Universität Xinjiang aus dem Jahr 2017 zurück. In dieser Rede bezeichnete er jegliche Opposition gegen die Politik der chinesischen Regierung als "Rauschen und Lärm" und betonte, dass dies beseitigt werden müsse. Es handelt sich um eine Art Euphemismus der chinesischen Regierung für ihre Kampagne gegen das uigurische Volk.

Der Film kann also nicht in China gezeigt werden?

Im Jahr 2020 sickerte eine Zensuranweisung durch, die von den zentralen Parteibehörden an die staatlichen Medien herausgegeben worden ist und die anordnete, dass der noch unfertige Dokumentarfilm in China blockiert werden sollte: "Bitte nehmen Sie die folgenden illegalen Videos zur Kenntnis und sperren Sie sie: den tibetbezogenen Dokumentarfilm 'A Fugitive for 60 Years: the Dalai Lama's Old Age', den Xinjiang-Dokumentarfilm 'Static and Noise' und den Hongkong-Dokumentarfilm 'City of Tears'."

Poster
Filmposter

Wie kamen Sie mit dem Film-Team zusammen? Warum wurden Sie für den Film ausgewählt?

Die Produzentin des Films, Janice Engelhart, kam auf mich zu. Sie hatte diesen Film eigentlich ganz anders begonnen, nämlich mit Blick auf 1989 und die damaligen Menschenrechtsverletzungen. Janice lebte zwischen 2009 und 2019 in China und ihr fiel auf, dass die chinesische Regierung Familienmitglieder von Menschen verfolgte, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzten. Das ist besonders grausam. Denn wer sich selbst für Rechte einsetzt, hat sich bewusst dafür entschieden, dass er wahrscheinlich im Gefängnis landet. Die Verwandten dieser Aktivisten haben diese Entscheidung jedoch nicht getroffen und werden ständig drangsaliert. So ist sie 2018 auf mich gekommen – weil ich ein Familienmitglied von jemandem bin, der von der chinesischen Regierung verfolgt wurde.

Wie war es für Sie, plötzlich Teil eines Filmprojekts zu sein? Sie lebten ja bis dahin vor allem in Angst um Ihren Vater, den Wirtschaftswissenschaftler Ilham Tohti, der seit 2014 inhaftiert ist.

Bis etwa Ende 2018 habe ich mich ausschließlich für die Freilassung meines Vaters, Ilham Tohti, eingesetzt. Nachdem ich mich auf diesen Film eingelassen habe, begann ich, mehr über das Verschwinden vieler Uiguren zu erfahren. Mir wurde klar, dass es nicht mehr nur um meine Familie geht. Es geht um Hunderttausende von uigurischen Familien. Ich wollte alles in meiner Macht Stehende tun, um über Uiguren im Allgemeinen zu sprechen, um alle Uiguren zu befreien, die in Haftanstalten eingesperrt wurden.

Zu Beginn meiner Lobbyarbeit war ich besorgt, dass es zu politisch wäre, wenn ich über allgemeine uigurische Menschenrechtsfragen sprach. Deshalb habe ich hauptsächlich als Tochter meines Vaters gesprochen. Aber in dem Moment, als ich anfing, an diesem Film mitzuwirken, begann ich, mich nicht nur als Tochter, sondern als uigurische Einzelperson zu äußern – und mich für die Freilassung aller Uiguren einzusetzen.

Sie sind also politischer geworden?

Ich weiß nicht, ob die Zuschauer dies bemerken: Zu Beginn des Films habe ich die Region noch als Xinjiang bezeichnet. Bis 2019 nannten die meisten Uiguren die Region Xinjiang, das ist der offizielle Name auf Chinesisch. Nachdem ich an dem Film mitgewirkt habe, hat sich dies geändert, um es transparenter zu machen. Auch durch meine persönliche Arbeit mit dem Worker Rights Consortium, nachdem ich viele Uiguren interviewt habe, die inhaftiert waren und Zwangsarbeit leisten mussten. Nachdem ich mit all diesen Menschen gesprochen habe, fühle ich mich nicht wohl, diese Region weiterhin als Xinjiang zu bezeichnen, was ein sehr kolonialer Begriff ist. "Neues Territorium", das bedeutet es eigentlich auf Chinesisch. Ich nenne es die uigurische Region.

Viele Uiguren in der Diaspora bevorzugen eine andere Bezeichnung, nämlich den historischen Namen Ostturkestan. Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis die Region wieder so genannt wird, denn die chinesische Regierung hat den Begriff extrem politisiert, so dass seine Verwendung in China der Anstiftung zu Separatismus, Gewalt oder Extremismus gleichkommt. Mein Vater wurde wegen Separatismus inhaftiert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Daher bin ich immer noch sehr vorsichtig, diesen Namen in der Öffentlichkeit zu erwähnen, weil er ein perfekter Beweis für die chinesische Regierung sein könnte, um ihn gegen meinen Vater und meine Familie zu verwenden.

Glauben Sie, dass auch andere Uiguren im Laufe der Jahre politischer geworden sind?

Auf jeden Fall. Ich bin sicher, dass viele Uiguren sich überhaupt nicht in die Politik einmischen wollten. Sie wollten einfach nur ihr Leben leben, zu Hause ihre Suppe genießen, studieren, normal ihren Lebensunterhalt verdienen oder mit ihrer Familie bei Versammlungen tanzen. Die meisten Menschen wollen einfach nur so sein wie Sie – Dinge tun, die ihnen am Herzen liegen, und einen normalen Lebensalltag haben. Aber jetzt werden sie gezwungen, eine politische Meinung zu haben. Sie sind gezwungen, sich über Politik zu informieren. Sie sind gezwungen, sich für Veränderungen einzusetzen. Sich für Rechte einzusetzen oder Lobbyisten zu werden. Und warum? Weil wir alle wollen, dass unsere Familien frei sind.

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