Interview

Nordkorea führt Krieg in Europa gegen ein europäisches Land

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Überlebensgroße Statuen von Kim Il Sung (links) und Kim Jong Il (rechts).
Statuen von Kim Il Sung und Kim Jong Il

Die Vereinten Nationen fordern eine "Kehrtwende" in der internationalen Nordkoreapolitik. Ein Gespräch mit Nicolai Sprekels, Direktor der Stiftung SARAM, über die gestiegene sicherheitspolitische Relevanz Nordkoreas, die prekäre Lage internationaler NGOs nach der Abwicklung des US-amerikanischen Entwicklungsministeriums und über die Frage, wie diese "Kehrtwende" aussehen könnte.

hpd: Herr Sprekels, geben Sie uns etwas einleitenden Kontext: Fünf der letzten zehn Jahre wurden dominiert von der Covid-Pandemie und ließen nur wenig medialen Raum für Menschenrechtsfragen. Vor welchem Hintergrund wird dieser Bericht der UN zu Nordkorea nun publiziert?

Nicolai Sprekels: Vor dem Hintergrund, dass Nordkorea (DVRK) sicherheitspolitisch für Europa interessant geworden ist und alle in Deutschland verstanden haben, dass das kein kleines, armes Land ist, das von der UN und den USA als völkermordendes Regime dargestellt wird. Dieser aktuelle UN-Bericht zeigt noch einmal ganz klar, dass es die Kontinuität der systematisch miserablen Menschenrechtslage in der DVRK nun seit mehr als zehn Jahren gibt. Sie ist belegt, durch viele, viele Zeugen und Interviews mit Geflüchteten, und steht außer Frage. Und das ist eine sehr entscheidende Erkenntnis, wenn man sich ansieht, wie man in Deutschland auf Nordkorea blickt.

Zeitgleich ist Nordkorea momentan gefährlicher als je zuvor für den internationalen Frieden. Nordkorea hat durch engen Schulterschluss mit Russland und aktiver Kriegsbeteiligung in der Ukraine auf russischer Seite einen Zuwachs an Bedeutung erfahren, der gefährlich ist. Das könnte beispielsweise dazu führen, dass Nordkorea weltweit wieder stärker in den Waffenhandel einsteigt. Man bedenke, dass Nordkorea keine Skrupel hat, Waffen an wen auch immer zu verkaufen, ob afrikanische Warlords oder die Hamas. Es ist dokumentiert, dass es solche Verbindungen gab. Wir müssen uns also überlegen, wie wir langfristig mit Nordkorea umgehen.

Wie blickt man denn in Deutschland – und der Welt – im Moment auf Nordkorea?

Wir haben in den letzten zehn Jahren eine schwer nachvollziehbare Wechselstimmung der Wahrnehmung Nordkoreas erlebt. Von Frieden und kurz bevorstehender Wiedervereinigung während der Gipfeltreffen mit Trump – dem war nicht so, aber viele haben es so wahrgenommen – bis hin zum Auftritt Nordkoreas als aktive Kriegspartei in einem europäischen Krieg. Dem ist so, es wird aber medial viel zu wenig thematisiert, was die DVRK da eigentlich tut.

Weltweit beobachten wir momentan große Umbrüche in den Perspektiven auf Nordkorea, wofür hauptsächlich die aktuelle Regierung der USA verantwortlich ist. Dass Elon Musk mittels Entwicklungshilfe- und auch das Außenministerium die Finanzierung von NGOs radikal zurückgefahren hat, kriegen nur wenige Deutsche mit, weil sie sich nur selten mit NGOs in Asien unterhalten.

Dass die Abwicklung von USAID auch an der koreanischen Halbinsel nicht spurlos vorbeizieht, ist nicht überraschend. Wie stark ist die Arbeit der entsprechenden NGOs dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden?

Das hat ein riesiges Chaos ausgelöst. Gute, unideologisch und wissenschaftlich arbeitende NGOs sind plötzlich einfach weg. Menschen, die aus Nordkorea geflohen sind und sich über zehn, fünfzehn Jahre einen unheimlichen Sachverstand angeeignet haben, der dabei geholfen hat, dieses Land besser zu verstehen, sind plötzlich einfach weg.

Das fängt auch niemand auf. Südkorea finanziert durchaus NGOs, aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Vereinigten Staaten getan haben. Und man muss ehrlich sagen, da gibt es sonst niemanden.

Als NGO, die sich mit Nordkorea beschäftigt, verfügt man sowieso nicht über große Budgets oder Personalstäbe, das ist auch in Südkorea so. Aber diese NGOs hatten zwei Hauptfunktionen: Erstens haben sie über noch bestehende Kontakte der Geflüchteten nach Nordkorea hinein viel Wissen generiert. Und zweitens waren sie für viele Geflüchtete im Hinblick auf die Informationsweitergabe, vorsichtig ausgedrückt, vertrauenswürdiger als Regierungen. Wir verlieren unheimlich viel Sachverstand darüber, wie man Informationen aus der DVRK beschafft, verifiziert und einschätzt. Und mit "wir" meine ich auch die Staatengemeinschaft.

Wenn wir bedenken, wie stark die NGO-Szene weltweit angeschlagen ist, könnte Deutschland hier wirklich einen Unterschied machen und vieles besser strukturieren. Deutschland kann natürlich nicht die Kosten übernehmen, die bisher von den Vereinigten Staaten getragen wurden und die EU wird das auch nicht können. Aber es gibt zurzeit kleine, sinnvolle Initiativen, die aus den ältesten und größten NGOs bestehen, die Modelle entwickelt haben, wie man das möglichst kostengünstig am Laufen halten kann.

Was sollten wir letztendlich aus diesem Bericht mitnehmen, wenn wir künftig den Umgang mit Nordkorea diskutieren?

Ich bin überzeugt, die deutsche Perspektive sollte sich auf die Menschenrechtslage nicht beschränken, aber fokussieren. Dieser Bericht erinnert uns, dass in zehn Jahren nichts verbessert wurde. Im Gegenteil, der Trend ist eher negativ. Gleichzeitig führt Nordkorea Krieg in Europa gegen ein europäisches Land.

Es ist sehr entlarvend, wie man die bisherige unkritische Herangehensweise Europas vergeltet. Das ist der DVRK vollkommen egal. Wichtiger ist, mit Russland zusammenzuarbeiten, weil Russland eine Kooperation nicht an eine Verbesserung der Menschenrechtslage knüpft. Es gibt aber bereits Anzeichen dafür, dass das nicht so gut aufgehen wird wie erwartet, und wir sollten darauf vorbereitet sein, dass Nordkorea bald wieder gen Europa blickt.

Dahingehend ist auch eine informell viel engere Zusammenarbeit mit der UN sehr wichtig. Die Beschreibung des Landes, die die UN in ihren Berichten liefert, gilt weltweit als absolut seriös und zutreffend – außer in Nordkorea, Venezuela und der deutschen Koreanistik, das muss man so sagen. Wir sehen nämlich, dass sich durch die wiederholte Thematisierung dieser furchtbaren Menschenrechtslage viel im Verständnis über Nordkorea ändert. Wir sollten keine Kühe und keine Mönche nach Nordkorea schicken, aber wir sollten bereit sein, mit Nordkorea zu sprechen, wenn sich das Land unweigerlich wieder Europa zuwenden wird. Unter der Bedingung, dass es spür- und überprüfbare Verbesserungen der Menschenrechtslage im Land gibt.

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Sprekels.

Siehe dazu auch das Gespräch mit James Heenan, Direktor des UN-Menschenrechtsbüros in Seoul, hier im hpd.

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