Der US-Sprachwissenschaftler John McWhorter kritisiert vehement die gegenwärtige antirassistische Welle in den USA, da sie Formen einer neuen Religion etwa mit "Schuld"-Vorstellungen annehme. So polemisch manche Ausführungen des Autors sind, so hat man es hier doch mit einer wichtigen Stimme gegen problematische Tendenzen zu tun.
Ein Antirassismus der "dritten Welle" durchziehe die USA, er spalte die dortige Gesellschaft und schade den Schwarzen. Diese provokanten Auffassungen vertritt John McWhorter, der am Center for American Studies der Columbia University in New York als Professor für Literaturwissenschaften und Musikgeschichte lehrt. Die Abschaffung der "Rassentrennung" in den 1960er Jahren habe die erste Welle beendet. Das Engagement gegen Rassismus in den 1970er und 1980er Jahren habe die zweite Welle beendet. Und nun befinde man sich in den 2010er Jahren eben in einer dritten Welle. Der dabei propagierte Antirassismus vertrete die Auffassung, dass Rassismus in den Strukturen der Weißen verankert sei. Die damit einhergehende Botschaft laute, dass weiße Personen eine lebenslange Schuld durch entsprechende Vorteile auf sich geladen hätten. Unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung seien sie durch Rassismus geprägt. Denn: "Wer sich entschuldigt, offenbart den eigenen Rassismus, wer sich allerdings weigert, sich zu entschuldigen, legt ebenfalls Rassismus an den Tag." (S. 28) So formuliert es der Autor in seinem Buch "Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet". Mit dessen Akteuren geht er hart und polemisch ins Gericht.
Dabei leugnet McWhorter keineswegs den Rassismus in den USA, war und ist er doch als Schwarzer in den verschiedensten Zusammenhängen davon selbst betroffen. Er sieht aber im Gegensatz zu den erwähnten ersten beiden antirassistischen Wellen große gesellschaftliche Zerstörungskräfte wirken. Dies erkläre sich auch durch die formale Begründung des gemeinten Denkens, wofür als Bezeichnung dann "Die Erwählten" genutzt wird. Dieser Antirassismus sei eine neue Religion, die auch auf gute Leute ihren Reiz ausübe, aber eben etwas Inkohärentes und Zerstörerisches in sich trage. Die Auffassung, es handele sich bei der gemeinten Bewegung um eine neue Religion, meint McWhorter keineswegs polemisch, macht er doch bezogen auf einen Gottesglauben auf gemeinsame Strukturmerkmale aufmerksam. Dort gebe es einen Klerus eben als Kultautoren, die "Erwählten" würden von einer Erbsünde ausgehen, sie erblickten "Ketzer" in ihren Kritikern und dann wäre auch ein Sendungsbewusstsein im "Woke" wahrnehmbar. Es heißt hier etwa: "Die Erwählten haben rituell zu bekennen, dass sie über weiße Privilegien verfügen, mit dem Wissen darum, dass sie von diesen Privilegien niemals erlöst werden können" (S. 55).
Der Autor fragt dann auch nach den Gründen für die Orientierung an dieser neuen Religion, wobei auf das Bedürfnis nach einem Erwähltsein oder für eine Schuldannahme unter Weißen verwiesen wird. Demgegenüber schadeten derartige Auffassungen den schwarzen Menschen, da sie ein schiefes Bild von ihren Problemen vermittelten. So formuliert er als Botschaften der gemeinten "Erwählten": "Wir sollen wegsehen, wenn Schwarze Kinder in der Schule von anderen Schwarzen Kindern angegriffen werden" oder "Wir sollen darüber hinwegsehen, wenn Schwarzen Intellektuellen in ihrer Arbeit Fehler unterlaufen, denn Schwarzen Menschen fehlen schließlich die weißen Privilegien" (S. 140). Um die Lage der Schwarzen in den USA zu verbessern, müssten statt Gesinnungsbekundungen ganz andere Maßnahmen ergriffen werden. McWhorter macht drei Vorschläge: Den Krieg gegen die Drogen beenden, die Förderung des Lesens und die Erleichterung von Hochschulzugängen. Indessen seien die "Erwählten" aufgrund ihres religiösen Fundamentalismus kaum noch kommunikationsfähig, denn Diskussionen seien für sie "nichts anderes, als dass alle anderen sich ihre Weisheiten aneignen" (S. 215). Man solle sich an den Maßstäben des eigenen Vernunftverständnisses orientieren.
Bilanzierend betrachtet fällt die Einschätzung von McWhorters Streitschrift eher ambivalent aus. Durchgängig ist sie von einer polemischen Ausrichtung geprägt, die immer wieder zu Überzeichnungen neigt. Auch bleibt das eigentlich Kritisierte häufig ein diffuses Phänomen, wenngleich es auch Detailkritik an den gemeinten "Klerus"-Vertretern (DiAngelo, Kendi) gibt. Der Autor schreibt in der Danksagung: "Dieses Buch ist im Sommer 2020 förmlich aus mir herausgesprungen" (S. 251). So liest es sich dann aber auch mit sehr persönlichen Anmerkungen und in einem rechthaberischen Tonfall. Man mag mit guten Gründen einwenden, dass das auf der anderen Seite ebenfalls vorkommt. Nur stellt sich die Frage, ob man sich auf dieses Niveau begeben soll. Beachtenswert sind indessen die Ausführungen zum Religions-Vergleich, wo etwa der Diskurs mit den "Erbsünde"-Positionen überaus gelungen kritisiert wird. Der Autor betont zutreffend zu den Problemen der Schwarzen, dass diese nicht nur auf Rassismus zurückzuführen sind. Eine Gegenposition zu den Kritisierten hätte hier aber noch eine genauere Ursachenanalyse vornehmen können. Bei allen notwendigen Einwänden, man hat es hier mit einer wichtigen Stimme zu tun.