Frauen dürfen hier nicht träumen

Ausbruch aus Saudi-Arabien

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"Frauen dürfen hier nicht träumen"

"Die spannendsten Geschichten schreibt das Leben selbst", Rana Ahmads uneingeschränkt empfehlenswertes Buch liefert den Beweis; ihre in Teilen "unter die Haut gehende" Biografie berührt in mehrfacher Hinsicht.

Als überaus farbig, sehr gut erzählte Lebensgeschichte einer jungen, mutigen Syrerin, die in Riad in Saudi Arabien in einer streng gläubigen muslimischen Familie aufwächst und nach und nach – mit dramatischen Erlebnissen und biografischen Einbrüchen – sich von der totalen Kontrolle und Fremdbestimmtheit der patriarchalen Welt einer alles beherrschenden Religion zuerst mental, dann auch real befreit und auf einer abenteuerlichen Flucht nach Deutschland retten kann.

Als schonungslose Beschreibung einer auf religiös-fundamentalistischem Islam beruhenden Gesellschaftsordnung, die (nicht nur) in Saudi Arabien alle Lebensbereiche diktatorisch dominiert und vor allem Frauen die Luft zum Atmen nimmt.

Als Ansporn und Ermunterung für Frauen, die in ähnlichen Situationen das Joch der Unterdrückung nicht mehr tragen wollen, von Selbstbestimmung träumen und an Flucht denken. Als Ansporn auch für mutige Männer, die im Land selbst unter Lebensgefahr Widerstand leisten, Aufklärung betreiben und dabei getötet werden können, oder, wie z.B. Raif Badawi, unmenschliche Strafen erdulden müssen.

Last, not least als eindrückliche Schilderung, welchen Widrigkeiten und Gefahren Flüchtlinge auf der Flucht ausgesetzt sind, unter welch belastenden Bedingungen sie im Ankunftsland oftmals leben und um die Asylgewährung bangen müssen und wie schwierig die Eingliederung in eine fremde Kultur und ein Neuanfang für die meisten von ihnen ist. Aber auch als dankbare Erzählung, wie freundliche Menschen, ehrenamtliche Unterstützer und auch Behördenvertreter sich bemühen, das Los der Flüchtlinge zu erleichtern und uneigennützig Hilfe zu geben.

Hinweis: Am heutigen Freitag liest Rana Ahmad aus ihrem Buch in der Urania Berlin. Mit dabei sein werden Ute Soldierer und Michael Schmidt-Salomon.

"Mein Ausbruch aus Saudi-Arabien, mein Weg in die Freiheit" lautet der Untertitel des Buches, wobei unter Freiheit auch sehr stark "innere Freiheit" zu verstehen ist. Rana ist ein aufgewecktes, intelligentes, ursprünglich auch sehr frommes Mädchen, dem nach und nach – ab dem 10. Lebensjahr muss sie sich verschleiern, darf nicht mehr Fahrrad fahren, darf nicht mehr allein auf die Strasse gehen, muss sich ihren Brüdern unterordnen usw. – bewusst wird, unter welch totaler Kontrolle und Gewalt muslimische Frauen in Saudi-Arabien und vergleichbaren Ländern leben müssen. Nach einer unglücklich verlaufenen Ehe und dramatischen Gewalterlebnissen beginnt sie – angeregt durch Literatur via Internet – sich immer stärker für Naturwissenschaften zu interessieren und an der herrschenden Gesellschaftsordnung, basierend auf Religion und rigiden Gottesglauben, zu zweifeln; sie entwickelt sich dabei – immer wieder auch geplagt von Zweifeln und Gewissenbissen – zur Atheistin.

Was auch innerhalb der eigenen Familie strikt verborgen bleiben muss – Glaubensabfall wird mit dem Tode bestraft. In atheistischen Internet-Netzwerken findet sie Freunde, Unterstützer und Trost; sie vermitteln ihr letztendlich auch die Kraft und den Mut, den Ausbruch zu wagen, das Land und die Familie – vor allem den abgöttisch geliebten Vater – zu verlassen.

Am 19. Mai 2015 gelingt es Rana Ahmad unter Todesgefahr, "dem geistigen Gefängnis Islam" zu entfliehen und von Riad nach Istanbul zu flüchten. Nach einer schwierigen Zeit in der Türkei, wo sie nur dank der Unterstützung von atheistischen "Internet-Freunden" einigermaßen über die Runden kommen kann, gelingt ihr gemeinsam mit ihrem Freund die lebensgefährliche Flucht in einem überfüllten Schlauchboot nach Griechenland. Nach einem Zwischenaufenthalt bei hilfsbereiten Menschen in Athen und einer sehr strapaziösen Weiterflucht über die Balkanroute (österreichische Polizisten waren die ersten freundlichen Personen) endet die Reise in Deutschland, wo Rana Ahmad derzeit intensiv Deutsch lernt und sich unter Mithilfe von zahlreichen Freunden und Organisationen (Zentralrat der Ex-Muslime, Giordano-Bruno-Stiftung) einlebt und auf ein Physikstudium vorbereitet. Gleichzeitig ist sie in sozialen Medien aktiv und als Interview-Partnerin gefragt; dies führt auch immer wieder zu Hassbekundungen und Todesdrohungen, was aber ihre Religionskritik und ihr Anliegen, auf das schwere Los von Frauen in fundamentalistischen islamischen Staaten hinzuweisen, nicht behindern kann.

Rana Ahmads Buch (verfasst mit der Berliner Co-Autorin Sarah Borufka) kann als abenteuerliche Biografie einer mutigen und intelligenten 32jährigen Frau gelesen werden. Man kann es aber auch als Aufruf zu Widerstand gegen Autokratie und Männerherrschaft, gegen die Unterdrückung von Frauen und gegen religiösen Fundamentalismus verstehen.

Richard Dawkins, der ebenfalls zu Rana Ahmads Unterstützern zählt, hat es wie folgt ausgedrückt:

"Saudi-Arabien ist eine Schande für die Menschheit und, vor allem für Frauen, die Hölle auf Erden. Rana Ahmad ist eine der wenigen tapferen Frauen, die unter großem persönlichen Risiko dem Regime getrotzt haben und geflohen sind. Ihre bewegende Geschichte ist eine mutige und wichtige Kampfansage, ein Aufruf, Menschenrechte vor der Unterdrückung durch theokratische Regime zu schützen und zu verteidigen!"

Rana Ahmad: Frauen dürfen hier nicht träumen, btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2018, ISBN 978-3-442-75748-02, 317 Seiten, 16,00 Euro