Rezension

Die "Autonome Antifa" – das Portrait eines Zeithistorikers

Die "Autonome Antifa" ist in dem Buch "Antifa. Portrait einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute" des Historikers Richard Rohrmoser das zentrale Thema. Er beschreibt darin anschaulich deren Entwicklung, verweist auch auf die problematische Gewaltbereitschaft, thematisiert aber nicht deren sonstige demokratietheoretisch problematische Positionen.

"Autonome Antifa" – die Bezeichnung meint lose Gruppierungen und Netzwerke, die aus jungen Aktivisten bestehen und insbesondere gegen Neonazis aktiv wirken. Während ein solches Engagement gegen Rechtsextremisten aus demokratischer Sicht begrüßenswert ist, geht dies bei den Gemeinten aber auch mit Gewalttaten als informelle Selbstermächtigung einher. Die darauf bezogene Ambivalenz prägt das öffentliche Bild von den Gruppierungen. Und diese Ambivalenz in Darstellung und Einschätzung durchzieht auch eine Monographie zum Thema: "Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute". Vorgelegt hat sie Richard Rohrmoser, ein promovierter Zeithistoriker. Anlass für die Beschäftigung war offenbar das widersprüchliche Bild, das bei den verschiedenen Kommentatoren in der Öffentlichkeit besteht. Der Autor bemerkt: "Dass die (autonome) Antifa-Bewegung … oftmals die Grenzen friedlicher Konfliktaustragung überschreitet und für sich punktuell ein Recht auf 'Gewalt als politisches Lösungsmittel reklamiert' – sich also zur 'Selbstjustiz' ermächtigt – stößt auf enorme Kritik. Dabei werden jedoch vielfach die Ambivalenzen der Antifa-Bewegung ausgeblendet …" (S. 15).

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Wie hat sich nun das gemeinte Phänomen entwickelt, so fragt Rohrmoser als Zeithistoriker. Und dann startet bereits die Darstellung des geschichtlichen Entstehungskontextes, wobei der Autor sich zuvor aber weder mit "Antifaschismus" noch mit "Linksradikalismus" als Terminus näher beschäftigt. Dies ist keineswegs nur ein formalistischer Einwand, gibt es doch "Antifaschismus" und "Antifaschismus". Anders formuliert: Es kann um eine Auffassung gegen Faschismus als reales Phänomen gehen, es kann aber auch um eine Frontstellung gegen eine liberale Republik gehen. Und dann steht Antifaschismus keineswegs per se für Demokratie, dürfte doch etwa der bekannteste Antifaschist ein Josef W. Stalin gewesen sein. "Antifaschismus" diente in der DDR-Diktatur nicht zufällig zur Legitimation der Mauer. Mit diesen beiden letztgenannten Aspekten hat die "Autonome Antifa" nichts zu tun, gleichwohl wird die dem Begriff eigene inhaltliche Problematik so verständlicher. Sie klingt in der Darstellung von Rohrmoser nur an. Erwähnt wird auch, dass Ende der 1920er Jahre die KPD von einem "Sozialfaschismus" bei der SPD sprach. Aber all diesen problematischen Aspekten wird leider nur geringe Aufmerksamkeit in problemorientierten Reflexionen gewidmet.

Nach dem Antifaschismus in der Weimarer Republik geht es um die einschlägigen Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazu gehörte auch der Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN), womit man es aber nicht nur mit einer Interessenorganisation von Verfolgten zu tun hatte. Aufgrund der Dominanz von damals noch pro-stalinistischen Kommunisten verhängte die SPD seinerzeit einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Bis 1989 finanzierte die DDR-Diktatur den VVN, der damit auch deren Interessen diente. All diese dem "Antifaschismus" eigenen Gesichtspunkte werden zwar von Rohrmoser nicht verschwiegen, es erfolgt aber auch hier keine dezidierte demokratietheoretische Einordnung solcher Phänomene. Dies geschieht mehr bezogen auf das eigentliche Hauptthema der Monographie: die "Autonome Antifa". Deren Entstehung und Entwicklung zeichnet Rohrmoser ausführlich nach, wobei er immer wieder die Ereignisse in den allgemeinen historisch-politischen Kontext einordnet. Der Autor verweist dabei dezidiert auf Besonderheiten, wozu etwa die Aktivitäten gegen regionale Rechtsextremisten, die Konflikte um die Organisationsform oder das Militanzverständnis beim praktischen Vorgehen zählen.

Als Beispiel sei auf folgenden Gesichtspunkt verwiesen: "Es etablierte sich ein regelrechter 'Fahndungsantifaschismus', der detaillierte Einblicke in die rechte Szene … ermöglichte" (S. 86). Dabei arbeitete die "Autonome Antifa" gar mit Mitteln, die an ein nachrichtendienstliches Vorgehen denken lassen: Autokennzeichen notieren, Fotos machen, Veranstaltungsorte überwachen. Durch derartiges Engagement entstand über die Jahre ein detailliertes Wissen, was etwa in Archiven und Datenbanken angesammelt wurde. Mitunter erweist sich die "Antifa" hier als gut informiert, hält sie sich doch nicht an den Datenschutz. Gleichwohl "adelt" dieses Engagement nicht die antifaschistischen Protagonisten. Der Autor weist immer kritisch auf deren latente Gewaltbereitschaft hin, die Frontstellung gegen den demokratischen Rechtsstaat ist demgegenüber nicht ausführlicher ein Thema. Gleichwohl hat man es in der Gesamtschau mit einem interessanten historischen Portrait dieser Szene zu tun. Mitunter bedient sich der Autor dabei weniger der bekannten Fachliteratur und mehr dem schnellen Internet-Fund. Aber er liefert ein beachtenswertes Bild von der gemeinten Szene, eher journalistisch als wissenschaftlich mit guter Lesbarkeit geschrieben.

Richard Rohrmoser, Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute, München 2022, C. H. Beck-Verlag, 208 Seiten, 16,00 Euro

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