MÜNSTER. (hpd) Religionssoziologe Detlef Pollack, Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster, sprach mit hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg über das Image von Atheisten und darüber, wie sie es verbessern können.
Detlef Pollack ist Professor für Religionssoziologie und Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster. Der studierte evangelische Theologe versteht sich hinsichtlich seiner soziologischen Forschungen als methodologischer Agnostiker.
hpd: Herr Pollack, bei der Vorstellung Ihrer jüngsten Umfrage zum Thema "Fundamentalismus, Gewaltakzeptanz, Religiosität" war unter anderem zu erfahren, dass 49 Prozent der Menschen in Westdeutschland den Islam als Bedrohung wahrnehmen. Was angesichts der aktuellen medialen Debatten wenig verwunderlich ist. Ziemlich überraschend fand ich allerdings, dass der Atheismus in Westdeutschland auf Platz Zwei des Bedrohungs-Rankings steht. 36 Prozent der Menschen in Westdeutschland nehmen den Atheismus als Bedrohung wahr, in Ostdeutschland sind es 16 Prozent. Woher stammen diese Zahlen?
Prof. Detlef Pollack: Aus dem Religionsmonitor 2012 der Bertelsmann Stiftung. Darin wurde –nach Ost und West differenziert – gefragt, inwieweit verschiedene Religionsgemeinschaften und eben auch Atheisten als Bedrohung oder Bereicherung empfunden werden. 49 Prozent Ostdeutschen empfinden den Atheismus übrigens auch als Bereicherung – allerdings nur 34 Prozent der Westdeutschen. Das Christentum hat da ein deutlich besseres Image. Das bewerten 76 Prozent in Westdeutschland und 64 Prozent in Ostdeutschland als Bereicherung.
Das finde ich sehr interessant, weil es darauf hinweist, dass es selbst im Osten Deutschlands, wo die Konfessionslosen ja 75 Prozent stellen, eine latente kulturelle Prägung durch das Christentum gibt.
Könnten die schwächelnden Werte für Atheisten in Ostdeutschland vielleicht damit zusammenhängen, dass man Atheismus dort gar nicht als eine besondere Überzeugung wahrnimmt, sondern als das, was normal ist? Es gibt doch diese vielzitierte Studie, bei der ostdeutsche Jugendliche nach ihrer Weltanschauung gefragt wurden, ob sie Christen seien oder Atheisten. Die berühmte Antwort: "Weder noch, ich bin normal."
Ja, ich weiß, das wird immer wieder als Studienergebnis zitiert. Aber ich bin gar nicht sicher, ob dem Ganzen tatsächlich eine Befragung zugrunde liegt.
Ich habe mal versucht, diese Sache genealogisch nachzuverfolgen. Und das erste Mal taucht diese Antwort gar nicht im Zusammenhang mit einer Studie auf, sondern als persönliche Reminiszenz des Religionssoziologen Joachim Matthes. Der hat das schon direkt nach der Wende berichtet. Seitdem wird das kolportiert. Aber ich bin skeptisch, wie viel Wirklichkeitsgehalt das hat.
Allerdings: Die Geschichte, erfunden oder nicht, bringt eine Sache auf den Punkt, die ich ebenfalls wahrnehme: Viele Ostdeutsche haben gegenüber allem Religiösen das Gefühl von etwas Exotischem, von etwas, das fremd ist und unheimlich.
Das stimmt. Ich war vor ein paar Wochen auf dem Katholikentag in Leipzig und habe da sehr interessiert den Gesprächen auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln gelauscht. Ich hatte das Gefühl, die Leipziger empfinden die Katholikentagsbesucher irgendwie als Aliens.
Ich war auch auf dem Katholikentag, und es ist mir genauso gegangen. Ich habe dort im Hotel an der Bar einen Kaffee getrunken und dann kamen ein paar Kleriker herein. Die Frau, die mich bediente, eine Ostdeutsche, die guckte mich an nach dem Motto "Wo kommen die denn her?". Sie wollte gleich mit mir Übereinstimmung herstellen darüber, wie fremd das ist. Es war deutlich zu spüren: Eine große Distanz. Ich habe diese Geschichte dann auch auf dem Katholikentag erzählt, beim großen Podium. Die Katholiken haben darauf allerdings sehr reserviert reagiert.
Verlassen wir die katholischen Aliens und kommen zurück zu den Atheisten. Was gibt es denn außer dem Befund, dass ein Drittel der Westdeutschen Atheisten für eine Bedrohung hält, sonst noch an Erkenntnissen darüber, wie Atheisten wahrgenommen werden?
Also über die Wahrnehmung von Atheisten gibt es nicht so sehr viel. Man weiß, dass es typische Reaktionsmuster auf Atheismus gibt, zum Beispiel "Man braucht doch einen letzten Halt, etwas, worauf man sich verlassen kann". Ich glaube viele, vor allem im Westen Deutschlands, vertreten die Auffassung, dass man eigentlich ein vollwertiges Leben ohne Religion gar nicht führen kann. Das geht dann mit einer weiteren typischen Reaktion einher: "Ja, dann glauben die halt was anderes". Umgekehrt ist es ganz typisch, dass viele Konfessionslose auf sowas auch 'n bisschen aggressiv reagieren, weil damit natürlich unterstellt wird, dass man ohne Glauben gar nicht vollgültig Mensch ist.
Als wie gewöhnlich oder ungewöhnlich wird es denn heute in Deutschland empfunden, wenn jemand Atheist oder konfessionslos ist?
Die Tatsache, dass man konfessionslos ist, wurde im Westen Deutschlands bis ungefähr 1990 tatsächlich weitgehend als Ausnahme behandelt. Wir haben Untersuchungen, warum man aus der Kirche austritt und wie man das begründet, und das war, ich sag mal, immer ein Eiertanz. Man wollte es nicht so richtig zugeben, gegenüber der Familie, gegenüber den Großeltern auf gar keinen Fall. Man hat sich geschämt dafür, aus der Kirche auszutreten. Das ist vorbei. Konfessionslosigkeit ist heute eine legitime Option neben vielen anderen.
Das hat auch den Effekt, dass die Bindungskraft der Kirchen seit 1990 dramatisch nachgelassen hat. Vorher galt es als ungewöhnlich, nicht der Kirche anzugehören. Das hat sich geändert mit der Wiedervereinigung, weil es dann auf einmal so viele Konfessionslose in Deutschland gab. Die Wiedervereinigung hat tatsächlich die ganze Konfessionsbalance gekippt. Und die Erosionsprozesse bei der kirchlichen Bindung, die man ja seit den 60er Jahren beobachten kann, die haben sich nach 1990 noch einmal verstärkt.
Das führen Sie tatsächlich darauf zurück, dass mit der Wiedervereinigung so viele Konfessionslose zur gesamtdeutschen Bevölkerung hinzu kamen?
Ganz genau. Bei solchen sogenannten impliziten Zugehörigkeiten, Identitäten oder Haltungen spielen Mehrheitsverhältnisse eine ganz große Rolle. Man kann explizit für bestimmte Haltungen eintreten, für mehr Gleichheit oder was auch immer, aber bei der Religion hat das oft so einen unausdrücklichen, nicht expliziten Charakter. Niemand geht auf die Straße und sagt "Ich bin Kirchenmitglied!". Und bei solchen impliziten Zugehörigkeiten wie der religiösen Bindung sind die Verhältnisse sehr stark von Mehrheiten abhängig. Das ist ein internationaler Befund.
Wenn die Mehrheiten sich verändern – und sie haben sich seit 1990 deutlich verändert, auf einmal sind es eben nicht 12 Prozent Konfessionslose, sondern 30 Prozent – dann verändert sich die Stimmungslage.
Nach der Jahrtausendwende kam dann ja auch noch der sogenannte Neue Atheismus dazu. Hat der dem Ganzen einen weiteren Kick gegeben oder spielte der eigentlich keine Rolle bei dieser gesellschaftlichen Umstrukturierung?
Ich würde das nicht überschätzen, muss ich sagen. In Deutschland gibt es zwar auch einen gewissen engagierten Atheismus, aber das ist ein marginales Phänomen, und es wird auch nicht so breit in der Öffentlichkeit behandelt.
Eine Sache ist mir allerdings aufgefallen: Wenn es um Streitthemen geht, wie zum Beispiel die Beschneidungsdebatte, da polarisiert es sich sehr stark zwischen Religiösen oder Konfessionsangehörigen auf der einen Seite und Konfessionslosen oder Säkularen oder Religiös-Distanzierten auf der anderen Seite. An solchen Stellen treten die Meinungen auseinander. Und man kann, indem man bestimmte Positionen vertritt, auch noch anderes mitmeinen.
Von Navid Kermani gibt es den Ausdruck "Vulgäratheismus"; den finde ich nicht schlecht. Man kann Kritik an der Beschneidung – die berechtigt sein kann, wenn es um Körperverletzung oder die Unverletzlichkeit der Person geht – verbinden mit islamophoben Einstellungen, muss aber seine Islamophobie nicht zugeben. Man sagt einfach: "Ich trete für die Rechte des Kindes ein und frage, ob man das Gut der Unverletzlichkeit des Körpers nicht höher bewerten muss als die Tradition der Religionsgemeinschaften". Oft ist man dabei auch ein bisschen polemisch und nicht ganz fair gegenüber den Religionsgemeinschaften.
Die Gegenseite ist aber auch nicht gerade zimperlich, was Polemik und Unfairness angeht. Da wird nicht Kritik an der religionskritischen Haltung des Gegenübers geübt, sondern es werden ihm per se Antisemitismus und Islamophobie unterstellt. Und so versucht man dann, die Diskussion über das Thema Beschneidung mit Totschlagargumenten zu unterbinden.
Ganz genau. Das Typische ist eben, dass die verschiedensten Positionen und Interessen zusammengenommen und in einen Topf geworfen werden, damit man sich besser davon abgrenzen kann. Und umgedreht, man kann auch besser anklagen, wenn man verschiedenes zusammenbringt. Da geht es nicht um ein neutrales, rein sachliches Abwägen verschiedener Güter, sondern man möchte dann schon noch 'n bisschen mehr. Und da sieht man dann, dass das ganze Feld doch konfliktreicher ist, als es oft scheint. An solchen Themen wie der Beschneidungsdebatte oder bioethischen Fragen, da entzündet sich dann auf einmal der Unterschied zwischen Konfessionslosen und Konfessionsangehörigen.
Übrigens ist es für die engagierten Konfessionsangehörigen gar nicht so schlecht, wenn es einen engagierten Atheismus gibt. Da kann man sich abgrenzen, Kontroversen führen und sich im eigenen Glauben bestärkt fühlen. Das haben wir beispielsweise in Polen. Dort gibt es 95 Prozent Katholiken und gleichzeitig eine kleine, relativ militante antiklerikale Strömung. Das wird dort in der Öffentlichkeit breit diskutiert, und diese öffentliche Diskussion trägt zur Bindung an den Katholizismus mit bei. Umgekehrt gibt sich der Atheismus in Polen natürlich viel kämpferischer als in Deutschland, weil die Kirche dort eine viel machtvollere Institution ist. Die Kirchen treten ja hier in Deutschland relativ gemäßigt auf. Dialogisch und tolerant, wollen sich mit allen verständigen. Klar haben sie auch eine Missionsstrategie, aber das wird eigentlich nicht so gern gesagt, so dass die Kirchen oft gar nicht so viele Angriffsflächen bieten.
Sie meinen also, dass sich dort, wo die Kirche stark ist und extreme Einstellungen vertritt, auch eine extreme Gegenbewegung, ein extremer Atheismus herausbildet?
Ganz eindeutig. Das kann man auch historisch zeigen. Im 19. Jahrhundert haben wir beispielsweise starke antiklerikale Bewegungen in Frankreich. Die französische Gesellschaft ist geprägt durch das Ancien Régime, die Verbindung von politischer Herrschaft und religiöser Autorität, und das bringt Gegenkräfte hervor. Das Gleiche auch in Italien und Spanien.
Überall dort, wo die Kirche mit der politischen Macht verbunden ist, wo sie privilegiert ist, dort sind die Aversionen gegen die Kirche am stärksten. Das sieht man zum Beispiel jetzt gerade im Iran. Da haben wir aktuell eine starke säkularisierende Tendenz. In Reaktion auf die politisch ausgeübte Herrschaft der Mullahs.
Aber etwas Ähnliches gilt doch durchaus auch für Deutschland. Auch hier sind Kirche und Politik sehr eng miteinander verknüpft. Was man unter anderem an bestimmten Entscheidungen sieht. Wie jüngst bei der Sterbehilfedebatte. In der Bevölkerung gibt es ein ganz klares Votum für eine Liberalisierung der Sterbehilfe und trotzdem führt der – übrigens klar nachweisbare – Einfluss von Kirchenvertretern und kirchlichen Lobbyisten dazu, dass die Politiker sich für eine Verschärfung der Sterbehilfe aussprechen.
Ja, es sind die Kirchen, die da Lobbyarbeit machen – übrigens auch die Mediziner – obwohl die Bevölkerungsmehrheit für eine Liberalisierung eintritt. Da würde ich Ihnen vollkommen Recht geben. Und die schärfste Kritik gegenüber Religion und Kirche richtet sich ja auch hier in Deutschland auf die Verbindung von Politik und Religion.
Staatlicher Kirchensteuereinzug, Religionsunterricht an Schulen, Privilegierung der Kirchen in Bezug auf sozialdiakonische Einrichtungen, theologische Fakultäten, da macht sich die Kritik fest. Und das hängt eben damit zusammen, dass man das Gefühl hat, die Kirche ist eine Institution, die bevorzugt wird, die mit der politischen Macht klüngelt.
Wenn man die Menschen fragt, ob Religion und Politik getrennt sein sollten, dann sagen über 70-80 Prozent, ja, die sollen getrennt sein. Nicht in allen Bereichen allerdings. Bei der Erziehung hält man das nicht unbedingt für nötig. Viele, gerade im Westen Deutschlands, sind dafür, dass man die Kinder religiös erzieht, nach dem Motto "Können ruhig was mitkriegen vom Christentum, das sind doch gute Werte, Nächstenliebe und so". Dagegen hat man nichts. Aber bei Politik und Religion, da hört der Spaß auf.
Und trotzdem organisieren sich die Menschen kaum in säkularen Verbänden, die sich für diese klare Trennung von Politik und Religion einsetzen. Warum nicht?
Ich denke, da gibt es mehrere Faktoren. Ein Punkt ist sicher, dass der starke Gegner fehlt. Ein anderer Punkt ist, dass es sehr schwer ist, Menschen für ein negatives Ziel zu mobilisieren. Man kann eintreten für Gerechtigkeit, man kann eintreten für Umwelt, da kriegt man Mehrheiten. Aber wenn man sagt "Wir als Konfessionslose, die wir nicht glauben, wollen uns jetzt mal organisieren" – das ist schwer. Das ist ein institutionelles Dilemma, weil man für ein negatives Ziel die Menschen nicht so ohne weiteres motivieren kann. Das gibt's ja an mehreren Stellen. Auch die Arbeitslosen organisieren sich ja nicht.
Was müssten Ihrer Ansicht nach Atheisten tun, um ein besseres Image zu bekommen?
Das is' 'ne gute Frage. Ich glaube, sie sollten darauf verzichten zu eifern. Das ist ein wichtiger Punkt. Sobald man als Fanatiker hervortritt, wirkt das sektiererisch, das wollen die Menschen nicht, da geht man auf emotionale Distanz. Wichtig ist auch, dass man eine gewisse Toleranz übt, und sagt: "Nein, ich bin anderer Meinung, aber ich kann das verstehen, wie Sie denken".
Ich hab' das einmal erlebt bei einer Radiodiskussion. Da war eine säkulare Beerdigungsrednerin dabei, und die war ganz offen gegenüber dem christlichen Glauben. Ich fand das ziemlich sympathisch und einladend und hab' mir gedacht, das ist echt 'ne Konkurrenz für die Kirchen. Aber wenn man zu konfrontativ ist und polemisch argumentiert, verschreckt das die Menschen.
Allerdings verschrecken Atheisten Menschen ja häufig schon durch ihr bloßes Dasein. Ich selbst habe es mehrfach erlebt, dass sich Gläubige allein dadurch angegriffen fühlten, dass ein Atheist sein Nicht-Glauben begründete – obwohl die Argumente vollkommen ruhig und sachlich vorgetragen wurden.
Ja, das stimmt. Es wundert mich immer wieder, wie wenig argumentativ gerüstet die Christen sind, wenn es dann wirklich mal dazu kommt, dass sie mit einem überzeugten Atheisten zu diskutieren haben. Bis hin zu den Pfarrern und den Bischöfen. Aber das kann man den Christen nicht ersparen, würde ich sagen.
Das Interview führte Daniela Wakonigg für den hpd.
19 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ein seltsames Interview mit den richtigen Fragen aber teilweise erschreckend nichtssagenden Antworten.
"Es wundert mich immer wieder, wie wenig argumentativ gerüstet die Christen sind, wenn es dann wirklich mal dazu kommt, dass sie mit einem überzeugten Atheisten zu diskutieren haben."
Das wäre für mich der Ausgangspunkt einer spannenden Diskussion gewesen. Wie sollte denn dieses "Rüstzeug" aussehen? Welche Argumente haben denn Gläubige für ihren Aberglauben? Es geht ja eben nicht um "... , das sind doch gute Werte, Nächstenliebe und so", sondern um den zentralen Punkt: Gibt es einen "Gott", der das gesamte Universum erschaffen hat und dessen Eigentum folglich das Universum ist und wir haben ihm ohne Widerrede zu dienen (Gottesdienst), haben ihm zu opfern (sogar den eigenen Sohn) etc. pp...
Wenn man die bronzezeitlichen Spukgeschichten abzieht von Religion, was bleibt dann? Wo ist der Markenkern der Kirchen, Synagogen oder Moscheen, wenn ich die Unterwerfung unter einen rachsüchtigen Kontrollfreak abziehe?
Ich meine nicht, dass man eben nächstenlieb ist oder sogar feindeslieb. Oder was es sonst an (sehr wenigen) positiven Punkten im Christentum gibt (an die sich allerdings die Christen in ihrer Geschichte am aller wenigsten gehalten haben). Diese Punkte werden durch Empathie und Altruismus sowie Ethik mehr als kompensiert - und sind obendrein nicht "gottgegeben", sondern Ergebnis unserer Evolution.
Ich meine diese lächerlichen Aufführungen alter Männer in seltsamen Kostümen mit sinnlosem Singsang und viel Weihrauch, diese "ihr seid alle geborene Sünder"-Attitüde, dieses Gruselfix an der Wand mit dem Zombie, an dessen Tod ich mittelbar Schuld sein soll, weil er ja angeblich für meine Sünden gestorben ist. Es ist dieses antidemokratische Obrigkeitsdenken, das eine Zeit reflektiert, in der es nur die Wahl zwischen menschlichem oder himmlischem Diktator gab, der die Macht im Land an sich riss oder legitimierte.
Demokratie bedeutet, dass die Bürger sich selbst ihre Politiker wählen. Säkulare Staaten sind in Länder, Landkreise und Gemeinden untergliedert, demokratische Gemeinden und keine konfessionssortierten Gottesfurcht-Gemeinden.
Damit fallen viele Funktionen von Religion in einem demokratischen Gemeinwesen weg. Nach wie vor die Frage: Was bleibt? Warum ist Religion "wichtig"? Was tut sie, außer Steuergelder mit vollen Händen für Badewannen und aberwitzig teure Kostüme, Altäre oder sonstigen Schnickschnack zu verplempern?
"Ein [...] Punkt ist, dass es sehr schwer ist, Menschen für ein negatives Ziel zu mobilisieren."
Warum ist Atheismus oder eine gottlose Gesellschaft ein negatives Ziel? Das trifft nur für Profiteure der Existenz (und Alimentierung) von Religion zu, zu denen auch Herr Pollack gehört. Doch dem Rest der Bürger kann problemlos vermittelt werden, wo die Vorteile einer gottlosen Gesellschaft (mit Religion als Privatmeinung, gerne in Privatvereinen) liegen. Wobei - nicht "kann", sondern "könnte", denn zwischen den Angeboten säkularer Organisationen und den Bürgern stehen Politiker und noch immer viel zu viele Medien, die den Status Quo - eine religiös durchsetzte Republik - gerne beibehalten würden.
Es findet kein ehrlicher Diskurs über die Ziele und Chancen des Säkularismus statt. Statt dessen schwören Politiker auf einen Gott, der sie - strenggenommen - überflüssig macht.
Hier sollte die Diskussion ansetzten - und nicht bei der Frage, ob man in einem Verein rote und in einem anderen grüne T-Shirts trägt...
Raik-Michael Me... am Permanenter Link
Dankeschön für Ihren Beitrag - empfinde ähnlich wie Sie, dass das Interview etwas seltsam ist.
Thomas Friedrich am Permanenter Link
Vielen Dank für den herrlichen Kommentar. Er hat viel mehr Inhalt als der Bericht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Ich trete für die Rechte des Kindes ein und frage, ob man das Gut der Unverletzlichkeit des Körpers nicht höher bewerten muss als die Tradition der Religionsgemeinschaften" - was ist daran polemisch oder un
Polemisch - ja, verachtend und verdammend, sind Sätze wie diese: "Wer nicht zum Herrn betet, betet zum Teufel." (Franziskus in seiner ersten Messe nach seiner Wahl zum Papst.)
Auf SO etwas kann ich schon etwas aggressiv reagieren. Was dann auch etwas bedrohlich wirken kann. Das ist dann aber auch gut so.
Martin Mair am Permanenter Link
Konfessionslos mit atheistisch gleichzusetzen, das ist schon eine gewagte Sache. Wenn nicht einmal Agnostiker als eigene Kategorie geführt werden, dann ist das alles andere als wissenschaftlich ...
pavlovic am Permanenter Link
Der Atheist und ehemalige evangelikale Prediger Dan Barker hatte auf einer Atheistenkonferenz in den USA 2004 erzählt dass er in seiner Zeit als Prediger nur einmal einen "richtigen" Atheisten traf und diese
Kay Krause am Permanenter Link
Zuerst war der Mensch! Um das zu belegen, braucht man nicht mehrere Millionen Jahre in die Entwicklung des Lebens zurückgehen, sondern einfach nur ein neugeborenes Baby zu betrachten.
Wächst das Kind in einer sozial verträglichen humanistisch geprägten Familie auf, so ist es kein Atheist, also kein "dem Glauben Abgekehrter",
kein "Ungläubiger". Wenn ich mich entschließe, keine Führerscheinprüfung abzulegen und nicht Auto zu fahren, so bezeichnet meine Umwelt mich doch auch nicht als den "Nichtautofahrer", ich muß mich dafür auch nicht rechtfertigen, und ich bin deswegen auch für niemanden gefährlich.
Wer im Rahmen eines religiös geprägten Denkens erzogen wird, der hat allerdings eine (religiöse) Prägung. Und zu dieser Prägung gehört natürlich auch, dass man in der Überzeugung erzogen wird: nur diese Denkweise, nur diese Religion, nur dieser Gott ist die "Wahrheit" für uns.
Priesters Wort ist Gottes Wort. Und alle, die nicht so denken, sind Abtrünnige, sind Ungläubige, sind Minderwertige, sind gefährlich,
kommen in die Hölle!
Das Ganze ist doch geradezu die Umkehrung jeglicher Logik, merkt das denn Keiner?
Ich nenne das Indoktrination, und Indoktrination ist grundsätzlich gefährlich, da sie die Augen vor Unbekanntem, Fremdem verschließt!
Thomas Friedrich am Permanenter Link
Faszinierend finde ich, dass zu Zeiten Mohammeds Stämme ganz unterschiedlicher Glaubensrichtungen friedlich zusammenlebten. Es gab damals keinen Zwiespalt in der Gegend.
Es scheint also keine inhärente Eigenschaft von Religionen zu sein, andere Religionen zu hassen. Das wird nahezu ausschließlich im Islam gelehrt.
Die christlichen Kirchen waren allerdings derselben Auffassung, nur ohne wirkliche biblische Rechtfertigung.
Matthias Wehrstedt am Permanenter Link
Sehr interessantes Interview. Ich würde Fr. Wakonigg aber raten, beim nächsten mal die schnoddrigen Sprachanteile à la "Das is' 'ne gute Frage" in normales Schriftdeutsch zu übersetzen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Liegt's vllt. an dem Interviewten? Warum sollte der seriöser gemacht werden als er ist?
René am Permanenter Link
Ich denke das is'n Transskript eines Interviews.
Andreas B. Stasiak am Permanenter Link
Citat: "Niemand geht auf die Straße und sagt "Ich bin Kirchenmitglied!" Ja und nein. Ja, keiner sagt das, aber die tragen kreuze und das ist fuhr mich das selbe als es zu sagen.
Michael Paschko am Permanenter Link
Angst vor Atheisten ist meiner Meinung nach zu sehr großen Anteilen Ergebnis einer klassischen Konditionierung. Und die geht so:
Der Mensch weiß, dass er sterben wird und dass er nichts dagegen tun kann. Dieses Wissen löst Angst aus und das bedarf einer Beruhigung.
Sehr gläubige Menschen sind davon überzeugt, dass sie nach ihrem Tod bei Gott sein und ewig leben werden. Sie haben das Problem gelöst. Aber das ist nur ein relativ kleiner Anteil der Bevölkerung.
Die Mehrheit der Bevölkerung ist "irgendwie" gläubig oder religiös indifferent. Beides ist sehr oft damit verbunden, dass man es gar nicht so genau wissen will, dass man gar nicht ganz genau hingucken möchte. Die Beruhigung der Todesangst funktioniert hier so, dass man dadurch, dass man die "letzten Fragen" etwas im Nebel lässt, sich so eine Art beruhigendes Hintertürchen offenhält, dass es ja irgendwie doch möglich ist, dass es am Ende nicht ganz so schlimm kommen werde. Auch diese Beruhigung der Todesangst funktioniert offensichtlich ganz gut.
Atheisten treten nun auf und sagen: Man muss gerade in diesen Nebel hineinschauen und wird dabei feststellen, dass die Relgion kein Fundament hat und daher hinfällig ist. Die Anwesenheit eines Atheisten nötigt den "irgendwie" Gläubigen und religiös Indifferenten, sich vor Augen zu halten, dass das, was er lieber im Nebel lassen möchte, vielleicht doch so eindeutig sein könnte dass es einen Ausweg aus der Todesproblematik nicht zulässt. Das bewirkt, dass er für eine gewisse Zeit seine Todesangst spürt.
Die Anwesenheit eines Atheisten tritt also häufig zusammen mit dem Spüren von Todesangst auf. Und im Sinne der klassischen Konditionierung wird dann irgendwann allein die Wahrnehmung eines Atheisten ausreichen um Angst auszulösen.
Meine These ist, dass die "irgendwie" Gläubigen bis religiös Indifferenten deutlich mehr Angst vor (besser: in Anwesenheit eines) Atheisten haben als Tiefgläubige. Da die letzteren den Nebel um die letzten Dinge nicht brauchen, um glauben zu können, findet die Konditionierung bei ihnen nicht oder viel weniger statt.
Wäre mal interessant, das empirisch zu überprüfen. Die Schlussfolgerung wäre, das Angst vor Atheisten ein typisches Phänomen in einer säkularer werdenden Gesellschaft ist.
Siegbert am Permanenter Link
Ich stimme Ihnen da in Vielem zu, Herr Paschko, bin aber anderer Auffassung, was die Angst vor dem Tod bei Tiefgläubigen versus "irgendwie" Gläubigen betrifft.
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass dem Glauben indifferent Gegenüberstehende oder schwach Gläubige damit ausdrücken, dass sie sich nicht mit dem Ende ihres Lebens auseinandersetzen wollen, weil sie so viel Angst davor hätten. Sondern ich denke, dass es ihnen tatsächlich einfach nicht so wichtig ist. Wer dagegen sich selbst und anderen gegenüber versucht, tiefgläubig jeden Zweifel an ein Weiterleben nach dem Tod zu unterbinden und am besten erst gar nicht aufkommen zu lassen, ist doch viel eher von einer Angst vor dem Tod erfüllt.
Auch z.B. bei Homophobie ist es doch oft so, dass der Verurteilende mehr mit der Sache zu tun hat als derjenige, dem das eher egal ist.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Bei mir war es so: Als Jugendlicher auf dem Weg zu einem naturalistischen Weltbild plagten mich oft Ängste vor einem Jenseits. Alpträume, wie es denn "dahinter" aussieht, was einen erwartet.
Seit ich sicher bin, dass mit dem letzten Zucken meiner Neuronen alles zu Ende ist, lebe ich viel bewusster und angstfreier. Meine sämtlichen Jenseits-Alpträume sind Vergangenheit.
Religion nimmt nämlich nicht die Angst vor dem Sterben, es schürt sie, indem sie dem Zustand "Tod" überhaupt eine (unangemessene) Relevanz beimisst. Mehr noch: Es sei eine Art "Gericht", bei dem man entsprechend seines Grades der Gläubigkeit (= Unterstützung des Klerus) abgeurteilt wird. Sichtbarstes Zeichen für dieses Denken war der Ablasshandel.
Wüssten alle Menschen, dass es nach dem Ableben (= Ende der biologischen Funktionen) so sein wird, wie vor der Geburt, nämlich vollkommen bedeutungslos, weil ohne Bewusstsein, dann gäbe es keinen Grund, vor dem Tod Angst zu haben.
Zuerst war da die Unkenntnis, was nach dem Tod geschieht, dann wurde diese Unkenntnis zum Instrument, um Menschen im Diesseits kontrollieren zu können und zu Handlungen zu motivieren, die sie ohne dieses Instrument nie tun würden.
Es ist halt wie immer: Die Religionen helfen beim Lösen von Problemen, die sie selbst geschaffen haben...
Michael Paschko am Permanenter Link
Angst vor der Hölle ist meiner Meinung nach schon eine Art Angst zweiter Ordnung, eine kulturell überformte Angst.
Basis von alledem ist aber die biologisch verankerte Angst um die Unversehrtheit des eigenen Körpers, um das eigene Leben. Das ist evolutionär seit Jahrmillionen tief in den biologischen Systemen verankert.
Die Besonderheit beim Menschen ist, dass sein bewusstes Denken soweit entwickelt ist, dass er sich vorstellen kann (und auch muss, wenn er seine Aufmerksamkeit darauf richtet) das seine eigene biologische Existenz enden wird und dass er nichts dagegen tun kann. Damit muss jeder Mensch irgendwie umgehen und es gibt sicherlich sehr verschiedene Art und Weisen dies zu tun.
Die Methode christlicher Gläubigkeit ist es, die Möglichkeit des Todes einfach völlig auszuschließen. Das ist der Kernbestand des christlichen Glaubens: Christus hat den Tod besiegt und nichts kann uns aus der Hand Gottes reißen. Wer das wirklich glaubt, für den ist der Tod überhaupt keine Denkalternative mehr. Es gibt keinen Ort, an dem es weniger Trauer gibt als auf einer wirklich christlichen Beerdigung.
Nur Menschen die nicht völlig gläubig sind, haben hier ein Problem, weil sie sich unsicher sind, ob sie erlöst sind (das beschwört die konditionierte Angst vor der Hölle herauf) und weil sie die Möglichkeit, dass die Religion irrt, vor Augen haben (das löst die biologisch primäre Angst aus).
Wer dieses Problem dadurch löst, dass er nicht mehr glaubt, der überwindet damit die Angst vor der Hölle, aber zum Preis, dass er auf die biologisch primäre Angst keine religiöse Antwort mehr geben kann. Er muss nun anders damit umgehen. Und natürlich geht das auch.
Wer diesem Problem ausweicht, indem er irgendwie doch am Glauben festhält und die Probleme darum im Nebel lässt, der blendet damit beide Arten von Ängsten aus, aber zum Preis, dass er an den wunden Punkt nicht allzugenau hingucken darf. Denn da lauern dann noch beide Arten von Ängsten. Die wirklich Gläubigen werden ihn an die Angst vor der Hölle erinnern, die Atheisten die Angst vor dem biologischen Nichtmehrsein spürbar werden lassen.
Es ist also von Vorteil, konsequent zu sein. Damit lebt es sich besser.
Ich kann mit meiner These, dass es vor allem die gar nicht mehr so richtig Gläubigen sind, die in Anwesenheit von Atheisten Angst wahrnehmen, natürlich auch falsch liegen. Es wäre wirklich interessant, das einmal zu überprüfen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Angst vor der Hölle ist meiner Meinung nach schon eine Art Angst zweiter Ordnung, eine kulturell überformte Angst."
Ja, da es seit Erwachen menschlichen Bewusstseins eine große Unsicherheit bezüglich des "nach dem Tode" gab. Das ist vllt. auch vergleichbar mit der Angst, in ein unbekanntes Land zu gehen ("Was erwartet mich da? Komme ich damit zurecht?").
"Basis von alledem ist aber die biologisch verankerte Angst um die Unversehrtheit des eigenen Körpers, um das eigene Leben."
Der Schutz der eigenen Existenz ist sicher biologisch erklärbar. Doch welches Tier weiß um seinen Tod? Nach dem Leben ist dieser Körper in der Regel für die Überlebenden Futter. Je ausgeprägter das Bewusstsein, desto eher wird Trauer empfunden, jedoch nicht im heutigen Sinne.
Noch vor 100 Jahren (und in der Zeit rückwärtsgehend immer extremer) war der Tod täglicher Begleiter des Menschen. Säuglingssterblichkeit, Krankheiten, Kriege, Raubüberfälle - es gab den Tod tausendfach. Entsprechend niedrig war die durchschnittliche Lebenserwartung.
Wenn man bedenkt, dass eine Frau sicher über zehn oder 15 Kinder gebären musste, damit zwei überlebten, d.h. sich fortpflanzten, dann war dies emotional nur auszuhalten, wenn Trauer nicht zu tief ging. Deshalb denke ich, dass die Angst vor Schmerzen oder Krankheit ausgeprägter ist, als die Angst vor dem Tod selbst.
"Die Besonderheit beim Menschen ist, dass sein bewusstes Denken soweit entwickelt ist, dass er sich vorstellen kann [...] das seine eigene biologische Existenz enden wird und dass er nichts dagegen tun kann."
Das ist mit Sicherheit so.
"Damit muss jeder Mensch irgendwie umgehen und es gibt sicherlich sehr verschiedene Art und Weisen dies zu tun."
Auch das ist richtig. Doch ist der "Zwang" zum Umgehen mit dem Tod m.M.n. überschaubar. Krankheit oder Verletzung (auch Hungersnot/Wassermangel etc.) wirken viel intensiver, weil sie mit Schmerzen und Siechtum zusammenhängen. Deshalb finden z.B. in den USA einige Folter schlimmer als die Todesstrafe.
D.h. der Tod an sich ist kein bedrohlicher Zustand (außer es gibt ausschließlich religiös/mythisch erzeugte Ängste vor Untoten, Wiedergängern etc.). Nur die Unsicherheit vor der Feststellung des Todes führte zur Angst vor Scheintod.
"Das ist der Kernbestand des christlichen Glaubens: Christus hat den Tod besiegt und nichts kann uns aus der Hand Gottes reißen."
Strenggenommen ist dies natürlich eine christologische Konstruktion, die dem alten Testament widerspricht, denn die Strafe der Menschen war ja ihre irdische Sterblichkeit. Da diese Strafe christologisch als "Erbsünde" umdefiniert wurde, müsste - wäre Jesu Opfer erfolgreich gewesen - die Sterblichkeit von den Menschen genommen worden sein. D.h. der Mensch wäre wieder in einem paradiesischen Zustand und nicht nach dem Tode in einem Paradies. Mit anderen Worten: Der Mensch wäre ca. ab dem Jahr 30 u.Z. wieder unsterblich. Doch das ist er nicht.
Als Erklärung dafür sehen die Juden, dass der Messias noch gar nicht hier war, und die Christen, dass sich nun alles im Jenseits abspielen soll. "Dein Reich komme, dein Wille geschehe" ist richtig verstanden typisch jüdisch, nämlich Gott kommt auf die Erde, um hier (erneut) sein Reich zu errichten. Die Christen haben - ohne diesen Text richtig zu verstehen - das Reich Gottes nach dem Brand des 2. Tempels einfach in den Himmel verschoben, weil dort - salopp gesprochen - die bösen Römer nicht mehr drankämen.
"Es gibt keinen Ort, an dem es weniger Trauer gibt als auf einer wirklich christlichen Beerdigung."
Da habe ich andere Erfahrungen gemacht.
"Nur Menschen die nicht völlig gläubig sind, haben hier ein Problem, weil sie sich unsicher sind, ob sie erlöst sind [...] und weil sie die Möglichkeit, dass die Religion irrt, vor Augen haben ..."
Wenn Religion irrt, dann auch mit ihrer Jenseitsvorstellung. Meine Sicherheit, dass es kein Jenseits gibt, rührt ja gerade aus meiner Erkenntnis, dass sich Religion generell irrt. Hätte ich Zweifel daran, wäre meine Unsicherheit bzgl. eines Jenseits ausgeprägt (was sie lange war, bevor ich die Religion entlarvt habe). Der "unsicher Glaubende" ist heute der Folklore-Christ, für den das Jenseits ein Mythos ist, auf einer Stufe mit Weihnachtsmann und Osterhasen. Bestenfalls sieht er darin eine Art von Tröstung, weil ja die Oma jetzt noch von ihrer Wolke herunterschauen kann.
Wirkliche Ängste können nur entstehen, wenn man Religion bierernst nimmt. Denn da kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Es gibt - vereinfacht - drei grobe Richtungen der monotheistischen Religion. Alle drei werfen sich wechselseitig vor, dass die Gläubigen der jeweils anderen Ausrichtung in die Hölle kommen. Alle weisen "heilige" Bücher als Beweis vor, in denen angeblich "Gott" persönlich dies seinen Anhängern so mitteilte.
Hieraus können in der Tat Zweifel entstehen, die nur durch noch intensivere Indoktrination beseitigt werden können.
"Wer dieses Problem dadurch löst, dass er nicht mehr glaubt, der überwindet damit die Angst vor der Hölle, aber zum Preis, dass er auf die biologisch primäre Angst keine religiöse Antwort mehr geben kann."
Wie gesagt: Es gibt bestenfalls eine Angst vor dem Sterben, aber nicht vor dem Tod. Letztere ist durch unklarer Antworten auf die Frage nach dem "danach" entstanden. Die Religion hat eigennützige Antworten geliefert. Da diese religiösen Antworten falsch sind (wie die religiösen Antworten auf praktisch alle anderen Fragen auch, siehe die Bibel oder den Koran), können diese nicht als hilfreich angesehen werden.
Und auch: Jede Religion liefert praktisch andere "Antworten", so dass es reiner Zufall ist, welche man aussucht, um nach dieser Anleitung "gottgefällig" zu sterben.
"Er muss nun anders damit umgehen. Und natürlich geht das auch."
Das geht sogar viel besser und einfacher. Am Ende ist Schluss und gut ist. Alle möglichen Probleme vor dem Tod sind radikal ausgelöscht. Das letzte Hemd hat nicht nur keine Taschen, der Mensch darin hat auch nie wieder Schmerzen oder Nöte - auch keine Ängste mehr. Eher müssten zwei noch nicht miteinander verschmolzene Ei- und Samenzellen Angst vor dem Leben haben.
"Die wirklich Gläubigen werden ihn an die Angst vor der Hölle erinnern, die Atheisten die Angst vor dem biologischen Nichtmehrsein spürbar werden lassen."
Warum sollte es eine Angst vor dem "biologischen Nichtmehrsein" geben? "Oh wie schlimm, ich bin dann nicht mehr, spüre nichts mehr, habe weder Schmerzen noch Schulden, noch Probleme, noch irgendetwas anderes. Ich weiß nicht, ob ich diesen Zustand der absoluten Nichtexistenz aushalte..." Was sollte das? Die Ei- und Samenzelle, aus der ich wurde - obwohl wesentlich existenter - hatten definitiv keine Angst vor dem Leben. Daher hat das Produkt deren Verschmelzung auch keinerlei Angst, wieder in diesen Zustand zurückzukehren.
"Ich kann mit meiner These, dass es vor allem die gar nicht mehr so richtig Gläubigen sind, die in Anwesenheit von Atheisten Angst wahrnehmen, natürlich auch falsch liegen. Es wäre wirklich interessant, das einmal zu überprüfen."
Ich habe ehrlich noch nie erlebt, dass überhaupt Menschen in Anwesenheit von Atheisten Angst verspürt hätten. Und Folklore-Christen sind oft sogar eher wissbegierig, wenn ich sie über die Hintergründe von Religion aufkläre. Nur Religioten sind so verbohrt, dass bei ihnen die Mega-Scheuklappe herunterfällt, sobald ein Atheist spricht. Aber das sind eher wenige.
Björn Müller am Permanenter Link
Herr Bernd Kammermeier,
sie scheinen mir ein sehr angstfreier Mensch zu sein, was ich von mir selbst nicht behaupten kann. Ich liebe mein Leben und würde sonstwas dafür tun, um nicht sterben zu müssen - bzw. setze Hoffnung auf die Wissenschaft und Forschung bzgl. des Alterns bzw. der Lebensverlängerung.
Vor etwa einem Jahr bin ich eher zufällig auf: "Marianne Kreuels ---
Über den vermeintlichen Wert der Sterblichkeit - Ein Essay in analytischer Existenzphilosophie" gestoßen und fand für mich neue Denkanstöße.
Ihre Erläuterung bzgl. der Unterschiede zwischen christlichem und jüdischem (Aber-)Glaube (s.u.) sind einerseits nachvollziehbar, andererseits auch amüsant. Nach dem Motto: Wer versteht das Falsche richtig(er)!
"Das ist der Kernbestand des christlichen Glaubens: Christus hat den Tod besiegt und nichts kann uns aus der Hand Gottes reißen."
Strenggenommen ist dies natürlich eine christologische Konstruktion, die dem alten Testament widerspricht, denn die Strafe der Menschen war ja ihre irdische Sterblichkeit. Da diese Strafe christologisch als "Erbsünde" umdefiniert wurde, müsste - wäre Jesu Opfer erfolgreich gewesen - die Sterblichkeit von den Menschen genommen worden sein. D.h. der Mensch wäre wieder in einem paradiesischen Zustand und nicht nach dem Tode in einem Paradies. Mit anderen Worten: Der Mensch wäre ca. ab dem Jahr 30 u.Z. wieder unsterblich. Doch das ist er nicht.
Als Erklärung dafür sehen die Juden, dass der Messias noch gar nicht hier war, und die Christen, dass sich nun alles im Jenseits abspielen soll. "Dein Reich komme, dein Wille geschehe" ist richtig verstanden typisch jüdisch, nämlich Gott kommt auf die Erde, um hier (erneut) sein Reich zu errichten. Die Christen haben - ohne diesen Text richtig zu verstehen - das Reich Gottes nach dem Brand des 2. Tempels einfach in den Himmel verschoben, weil dort - salopp gesprochen - die bösen Römer nicht mehr drankämen.
Mark Keller am Permanenter Link
Ich denke schon, dass es ziemlich egal ist, ob jemand irgendwie indifferent glaubt, oder felsenfest einer Religion angehört.
Dementsprechend ist es nicht unbedingt angenehm, damit übermäßig konfrontiert zu sein, dass das eben doch nur eine Illusion sein könnte, die keine rationale Grundlage hat.
So gesehen dürfte ein ausgesprochener Atheismus dann auch zwangsläufig mit negativen Assoziationen verbunden sein.
Tatsächlich bemerke ich bei vielen Leuten, dass es ihnen bei den Glaubensvorstellungen primär gar nicht um den Fortbestand der eigenen Existenz geht. Die wollen einfach nur, dass der Tod möglichst kurz und schmerzlos eintritt - wie sich das wahrscheinlich jeder wünscht.
Die Vorstellung, dass mit dem Tod anderer, meistens bereits Verstorbener, mit dem Tod dann auch endgültig Schluss mit de Verbindung zu diesen Menschen ist, dürften viele Leute als bedeutend schmerzlicher empfinden.
Mir geht es jedenfalls so, auch wenn ich der Überzeugung bin, dass da "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nichts mehr kommt.
Was Trauer anbelangt, geht es mir da schließlich nicht primär um mich, auch wenn der Glauben an die Möglichkeit der Wiedervereinigung nach dem Ableben auch erst einmal nicht ganz uneigennützig sein dürfte.
Das dürfte dann schon harter Tobak sein, wenn da jemand kommt, der diese Illusion erst einmal madig macht, ob das nun explizit geschieht, oder auch nur angedeutet wird.