Bürgerversicherung: Solidarität im Gesundheitswesen

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Der Bundestagswahlkampf 2017 hat begonnen und die Sozialdemokratie hat die "soziale Gerechtigkeit" zu ihrem Thema gemacht. Zum gesundheitspolitischen Programm der Partei gehört auch die Einführung einer Bürgerversicherung. Sozialverbände, Gewerkschaften, Linkspartei und Grüne unterstützen dieses Konzept.

Keine Frage: das heute zweigeteilte System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung, in Europa die absolute Ausnahme, steht auf einem wackeligen finanziellen Fundament. Die demographische Entwicklung, die steigenden Kosten des Gesundheitswesen und der Krankenkassenbeiträge verunsichern Versicherte und Politik. Kann eine Bürgerversicherung die Solidarität im Gesundheitswesen stärken und für mehr Finanzierungsgerechtigkeit sorgen?

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomerie, ist sich sicher, dass dieses Modell nichts anderes ist "als der Totengräber des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland und der Wegbereiter der Einheitskasse". Union, FDP und die Versicherungswirtschaft sehen das ähnlich. Der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) hat deshalb schon mal vorrechnen lassen, was die angestrebten Veränderungen die Volkswirtschaft kosten würden. 300.000 Jobs gingen demnach verloren. Mit dem Argument, die Pläne gefährdeten viele Arbeitsplätze und seien ungerecht, lässt sich - wie immer - gut Politik machen.

2016 waren in Deutschland 71,4 Millionen Menschen einschließlich mitversicherter Angehöriger in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verzeichnet, 8,7 Millionen Versicherte zählte die PKV. Seit vielen Jahren wird nun schon diskutiert, wie sinnvoll es ist, ein Zwei-Klassen-System für die Gesundheitsversorgung vorzuhalten. Das Nebeneinander ist ökonomisch nicht begründbar und sozial nicht gerechtfertigt. Einerseits werden die Strukturmängel der privaten Krankenversicherung immer deutlicher. Die hohen Beiträge der PKV ruinieren finanziell immer mehr Versicherte. Tatsache ist auch, dass privat Versicherte aufgrund der deutlich besseren ärztlichen Vergütungen oft Leistungen erhalten, die sie nicht benötigen.

Auf der anderen Seite müssen die Versicherten der GKV Zusatzbeiträge für Medikamente, Krankenhausaufenthalt sowie ambulante Pflege etc. aufbringen. Während der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung der Arbeitnehmer bei 7,3 Prozentpunkten eingefroren ist, stieg der durchschnittliche Zusatzbeitrag der Versicherten auf 1,1 Prozentpunkte. Im Konkurrenzwettkampf der Krankenkassen führt die Vermeidungsstrategie von Zusatzbeiträgen dazu, dass erforderliche Leistungen in der Gesundheitsversorgung der Versicherten reduziert werden.

Elemente der Bürgerversicherung

Ein Systemwechsel in eine Bürgerversicherung hätte weitreichende Konsequenzen für die Versicherten, die Krankenversicherungen und die Unternehmen, die die Versicherungsbeiträge für die Arbeitnehmer abführen. In die Bürgerversicherung, so das Konzept, würden alle beschäftigten BürgerInnen unter Einschluss der Selbständigen einen bestimmten Prozentsatz auf alle ihre Einkommensarten in die neue Versicherung einzahlen. Erfasst würden damit auch Einkünfte aus Kapitalerträgen, Mieteinnahmen und sonstigen Quellen. Auch Beamte sollen Zugang zur Bürgerversicherung bekommen. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung könnte die Einbeziehung der Beamten dem Staat in den nächsten 15 Jahren rund 60 Milliarden Euro ersparen.

Das neue Konzept sieht außerdem vor, das Vergütungssystem der Ärzte zu vereinheitlichen. Für die Behandlung von Privat- und Kassenpatienten soll künftig das gleiche Geld fließen, sodass die gegenwärtige Privilegierung der Versicherten der PKV beendet wird. Beabsichtigt ist auch, den Zusatzbeitrag ersatzlos zu streichen. Arbeitgeber sollen genauso viel einzahlen wie Beschäftigte. Die Kassen in der Bürgerversicherung könnten weiterhin ihre Beitragssätze selbst festlegen, um so den Preiswettbewerb zu erhalten.

Für eine einheitliche Bürgerversicherung spricht auch, dass sie verpflichtet ist, jeden Kunden – unabhängig von Alter und Gesundheitszustand – aufzunehmen. Familienmitglieder wären, wie es in der GKV bereits der Fall ist, ohne Zusatzkosten mitversichert. Wer möchte, kann allerdings für besondere Leistungen eine private Zusatzversicherung abschließen.

Ob eine Bürgerversicherung in den kommenden Jahren politisch durchgesetzt werden kann, hängt sicherlich nicht nur vom Ergebnis der Bundestagswahl im September ab. Die Probleme im Gesundheitswesen sind so komplex, dass auch die Angleichung der beiden Versicherungssysteme nicht das Allheilmittel sein wird. Gleichwohl schafft eine Bürgerversicherung aber die Voraussetzung für mehr Solidarität und Parität, für eine bedarfsgerechte qualitative Gesundheitsversorgung und Nachhaltigkeit in der Finanzierung. Alles Gründe, die man in der Wahlkabine am 24. September bedenken sollte.