Kommentar

Vor dem Gesetz ist jeder gleich – oder doch nicht?

polizei.jpg

Einsatzkräfte der Polizei räumen eine Sitzblockade
Einsatzkräfte der Polizei räumen eine Sitzblockade

BERLIN. (hpd) Straftäter sollen unterschiedlich behandelt werden – abhängig davon, wer ihr Opfer war. So fordert es momentan wieder einmal die Deutsche Polizeigewerkschaft unter ihrem umtriebigen Vorsitzenden Rainer Wendt, der bekannt dafür ist, stets mehr Polizeistellen, mehr Überwachung und mehr Sicherheit zu fordern. Von Freiheitsrechten, Datenschutz oder Privatsphäre hat er dabei nur selten etwas gehört. Und auch dieses Mal bemüht er wieder reichlich Populismus, führt einseitig Statistiken an und beklagt das schwere Leben eines jeden deutschen Polizisten.

Denn nach Wendts Ansicht sind seine Kollegen zunehmend der Brutalität der Masse ausgesetzt. Und als Antwort darauf braucht es Härte. Deshalb sollen Täter, die gegenüber Beamten des öffentlichen Dienstes straffällig wurden, künftig anders – sprich: gnadenloser – bestraft werden als andere. Verstehen muss man das nicht. Denn: Ist es weniger schlimm, wenn ein "normaler" Bürger angegriffen wird, als wenn jemand auf einen Beamten losgeht? Ist der Polizist mehr wert als der gewöhnliche Familienvater, der nicht im Staatsdienst ist? Weshalb sollen Täter dann nach Willen des Herrn Wendt verschieden bestraft werden, wenn doch eigentlich jede Würde eines Menschen selben Status hat und Justitia es nicht interessieren sollte, ob ein Opfer nun Uniform trug – oder eben nicht?

Wir diskutieren derzeit viel über Gewalt gegen Polizeibeamte. Und natürlich ist sie nie richtig. Selbstverständlich ist sie verboten. Doch sie ist genauso falsch wie Kriminalität gegen jeden Anderen auch. Ich verwahre mich dagegen, einen Faustschlag nur deshalb getrennt zu bewerten, weil er einerseits vielleicht das Gesicht des unbelasteten Beamten traf – und andererseits den des unschuldigen Dritten. Mit seiner Forderung hebelt der Vorsitzende der DPolG das Grundgesetz weiter aus. Dafür haben die Menschen kein Verständnis. Auch wenn die Empörung über Angriffe auf Polizisten nachvollziehbar ist, verstehe ich nicht, weshalb uns Gewalt gegen nicht im öffentlichen Dienst stehende Personen weniger beschäftigen darf und wir sie anders beurteilen sollen. Nein, Polizisten sind keine besseren und keine schlechteren Menschen, sie sind Bürger wie Du und Ich. So sind sie als Opfer vor Gericht anzusehen – und übrigens auch umgekehrt!

Denn in aller Debatte bleibt stets aus, dass wir immer öfter Gewalt von Polizeibeamten ausgehend verzeichnen müssen. Ich habe über Jahre eine Datenbank betreut, in der Fälle von Vergehen im Dienst deutscher Polizisten gesammelt wurden. Nur selten erlebte ich, dass die Täter verurteilt wurden. Und nicht umsonst wurde deshalb in Expertenkreisen auch immer wieder laut, dass Staatsanwaltschaften ein Auge zudrückten, wenn die vermeintlich Schuldigen Polizisten waren. Mir zeigen diese Entwicklungen, dass Deutschland mit seinen Verfassungsartikeln nicht so ernsthaft umzugehen vermag, wie es eigentlich notwendig wäre. Denn Gleichberechtigung heißt eben auch Gleichbehandlung. Und eine Bevorzugung oder eine besondere Benachteiligung nur aufgrund dessen, welche Persönlichkeit – sei sie nun  Täter oder Opfer – vor Gericht erscheint, ist für mein Verständnis von einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar.

Besonnenheit statt Polemik würde schon manches Mal helfen, beispielsweise dann, wenn wir einmal darüber sprechen würden, weshalb das Gewaltpotenzial laut Zahlen der Kriminalstatistiker offenkundig zugenommen hat. Da braucht es keine tiefgründigen soziologischen Studien und auch keine Samthandschuhe, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass Aggressivität gern in einem Klima von gefühlter Ungerechtigkeit gedeiht. Wendt kann sich also gern an die Politik wenden, aber bitte nicht schon wieder mit der üblichen Rhetorik der schärferen Gesetze und härteren Strafen. Viel eher wünsche ich mir seinen Appell zu mehr Verhältnismäßigkeit in einem Staat, der sich wieder stärker um seine Bürger kümmert. Nein, nicht im Sinne von Bevormundung für angeblich noch größere Sicherheit. Sondern im wirtschaftlichen und sozialen Aspekt. Nährboden für Konflikte bleibt nämlich das Empfinden der Menschen – und nicht der Wunsch, einem Polizisten einfach so mal eine "reinzuhauen".