Mara-Daria Cojocaru – Tierethikerin und Poetin

Tanz an der Schwelle des Bewusstseins

Mara-Daria Cojocaru lehrt an der Hochschule für Philosophie München Praktische Philosophie, darunter Tierethik. Jahrgang 1980, stand sie aber auch schon auf der Short List des Leonce-und-Lena-Lyrik-Preises. Nun ist von ihr ein Gedichtband erschienen, der so aufbegehrend wie etwas theoretisch "Anstelle einer Unterwerfung" betitelt ist.

Mara-Daria Cojocarus Verse sind Rätsel. Schillernd, irisierend. Sie scheinen zu atmen. Ein pulsierender Rhythmus verbindet die Worte. Nach dem Schlüssel der Zeilen muss man oft erst einmal suchen. Bei jedem neuen Lesen kann es ein anderer sein, dann entfalten die Verse je andere Bilder.

Ein Spaziergang mit einem Hund mag der Ausgangspunkt sein oder eine Liebe, in der die Dichterin sich selbst zur Lemurin oder Räbin wird. Irgendwie kommen immer Tiere vor, aber natürlich geht es nicht einfach um Tiere. Manchmal scheinen sie eher zufällig durch die Verse zu streunen. Es geht um Verwandlungen und Verwandtschaften zwischen Mensch und Tier.

Die 36-jährige Dichterin ergründet in ihrem zweiten Gedichtband Zwischenzustände, erschafft Zwischenwesen zwischen Mensch und Tier. Chimären und moderne Fabelwesen. Aber auch das Einhorn uralter Träume durchzieht die Bewusstseinsströme, begleitet vom Klang des Rotkehlchens, das in der kalten Nacht noch singt. Der durch den Weltraum rasende Affe oder die Hühner mit gekapptem Schnabel in lichtlosen Ställen bevölkern die Zeilen ebenso wie Schnecken unter den Füßen oder Würmer, als die wir uns gelegentlich fühlen.

Vor der Einfühlung kommt das Spüren. Der Tastsinn ist ein Schlüsselsinn in Cojocarus Dichtung. Ihre Dichtung geht auch deshalb unter die Haut. Denn ihre Texte sind geradezu osmotisch, durchdringen trennende und schützende Hüllen, und so gelingt eine Einfühlung der besonderen Art. Dies ganz leicht hin: "Mit kleinem Tanz und Schwanz/ Wedeln vor der Schwelle zum Bewusstsein", dichtet sie mit munterem, frischem Binnenreim. Nebenbei erfindet Cojocaru wunderschöne Worte wie "Hypnopompisch" und "windaufwärts" oder kündet von einem "rappwindfarbenem Pferd".

Mara-Daria Cojocaru, Foto © Hochschule für Philosophie München
Mara-Daria Cojocaru, Foto © Hochschule für Philosophie München

Jedes Tier, jeder Mensch trägt eine Welt in sich, und sein Wesen widersteht der Objektivierung genauso wie der Funktionalisierung. Das kann man auch sehr viel reicher und bildmächtiger so sagen: "Jede Kuh/trägt einen eigenen/Kontinentalplatten auf dem Fell/Und//so ist/ein jeder Mensch/ Eine bedingt/Nur nutzbare und fremde Welt." So werden Assoziationen von idyllisch weidenden Rindern und ganzen driftenden Landmassen evoziert. Glühwürmchen und Mond, Nachtfalter und Sternbild – das Nahe und das Ferne werden wiederum an anderer Stelle miteinander verwoben in einer ganz neuen, originellen, himmelweiten Empfindsamkeit, die der von Matthias Claudius an melodiösem Schmelz um nichts nachsteht.

Rund ein halbes Dutzend Mal taucht in dem Gedichtband ein Herr Goselmanu auf, gleich zu Anfang wird ihm ein Zitat zugeschrieben: "Tu doch nicht so, als sei in Wirklichkeit nicht genug schon passiert". Diese Gestalt ging mir in meinen Gedanken um. Ich schrieb daher der Poetin folgende Mail:

Sehr verehrte Mara-Daria Cojocaru,

ich habe Ihren Gedichtband "Anstelle einer Unterwerfung" mehrfach gelesen und mich von ihm verzaubern lassen. Und immer wieder habe ich mich gefragt, wer Goselmanu ist. Jedes Mal bin ich auf eine andere Auflösung des des Rätsel gekommen. Eine Art innerer Daimon, der Demiurg, eine faustische Gestalt, der rationale Gegenpart zum lyrischen Ich? … Dann tippte ich wieder auf eine Person, die einfach eine große Rolle in Ihrem Leben gespielt hat. "Goselmanu", das klang mir fast wie ein Wort, das gleichermaßen rumänisch wie deutsch klingt, vielleicht eine Gestalt, die in Kindertagen oder in Ihrer Familiengeschichte eine Bedeutung hatte. Seien Sie so freundlich und geben mir mit einer kurzen Antwort einen Tipp - ich würde mich sehr freuen.

Mit den allerbesten Grüßen und herzlichen Dank für Ihr wunderbares Buch

Simone Guski, Berlin

Etwa zwölf Stunden später erhielt ich folgende Mail:

Liebe Frau Guski,

Ihre E-Mail freut mich wirklich ganz enorm - haben Sie vielen lieben Dank!

Toll, dass Sie mit Herrn Goselmanu so viel anfangen können. Ich denke, er ist all das, was Sie schon in ihm gesehen haben. Vielleicht kann ich es noch ein bisschen präzisieren: Sein Vorname, Charles, verweist noch auf zwei von mir bewunderte und zugleich skurrile Männer der Wissenschaft und der Philosophie (Darwin, Peirce). Auch Manitu, dieses alles durchwirkende Prinzip, hat eine Rolle gespielt. Der Name war schlicht zuerst da, ohne, dass ich ihn von irgendwo hätte - vertraut klang er aber bestimmt aufgrund des rumänischen wie deutschen Klangs - und wie er mir da wiederholt durch die Texte lief, habe ich schlicht notiert, was sich ihm zuschreiben ließ. Ich glaube, ohne da zu sehr in den Duktus einer Autorin zu verfallen, die ihren Figuren eine ganz eigenständige Existenz zugesteht, er meint es grundsätzlich gut, aber ist doch zweifelhafter und spannungsreicher, als dass man ihm einfach so vertrauen dürfte. Insofern er für viele Ambitionen und Selbstzuschreibungen unserer Gesellschaft steht oder Figuren wie er durch diese erst möglich werden, wird vielleicht, hoffentlich, auch deren Tragik deutlich. Dass er dem Band aber die Mahnung vorneweg gibt, das würde ich schon als wichtigen Beitrag werten und ich nehme sie ernst. Als sagen wir mal paradigmatisch rationaler Akteur fordert er ja eine gewisse Poetik ein - sprich, ein Gegenstück zum lyrischen Ich würde ich es nicht nennen, eher doch einen Mentor. Vielleicht ist er damit auch jemand, an dem man sich als Schreibende wie als Lesende abarbeiten kann. Insofern: Ich warte eigentlich fast darauf, ihm bald beim Schreiben wieder zu begegnen; bis dahin freue ich mich, wenn er in dem Band wahrgenommen und weiter befragt wird, als wahrscheinlich wichtigster Mensch darin.

… ganz herzliche Grüße nach Berlin!

Mara-Daria Cojocaru

Mara-Daria Cojocaru: "Anstelle einer Unterwerfung", Gedichte. Schöffling & Co. Verlag Frankfurt, am Main, 175 S. 20 Euro