BERLIN. (hpd) Eine alte Frau mit einem schwarzen Hund, die begleitet wird von einem Schwarm Krähen, sobald sie mitten in Berlin auf die Straße tritt. Diese Frau gibt es nun wirklich, die Autorin Monika Maron. Für ihre jüngste Romanrecherche freundete sie sich mit den übel beleumundeten Vögeln an. Heraus kam ein Essay: "Krähengekrächz".
Es ist die Geschichte einer, so mutmaßt die Schriftstellerin am Ende doch, sehr einseitigen Freundschaft. Monika Maron füttert die Krähen auf ihrem Schöneberger Balkon, um ihr Verhalten zu studieren. Ob die Krähen ihr gegenüber freundschaftliche Gefühle hegen, daran zweifelt sie. Eher gehören wir wohl für die Krähen zur Welt der Objekte – und sie nehmen uns damit nicht anders wahr als wir allzuoft die Tiere, wenn wir sie züchten, schlachten, essen.
Krähen sollten es sein, nicht Hunde oder Katzen, die uns anschauen und ein weiches Fell haben. Weil sie fast so schlau sind wie Schimpansen und weil sie Gesichter erkennen, wie die Wissenschaftler herausgefunden haben, und weil sie seit Anbeginn der Geschichte um den Menschen wissen, um seine Kriege und seine Brutalität, treten die Aas- und Allesfresser doch stets an Orten von Gewalt und Tod auf. Vielleicht beargwöhnen sie uns deshalb, kommt es Monika Maron in den Sinn. Sie kennen uns zu gut. Ihr Misstrauen uns gegenüber ist schon längst in ihr genetisches Gedächtnis übergegangen.
Die Rabenvögel hatten in mythischen Zeiten keinen schlechten Ruf. Odin soll die Raben "Gedächtnis" und "Erinnerung" mit sich auf der Schulter herumgetragen haben. In manchen Mythen wird der Rabe zum Weltenschöpfer. Spätestens während des Dreißigjährigen Krieges waren sie hingegen längst zum Inbegriff von Tod und Schrecken geworden, kreisten doch Rabenvögel über den Schlachtfeldern und Henkersplätze.
Monika Maron füttert im Winter auf dem Balkon die allergewöhnlichsten Krähen nun erst mit Walnüssen, dann mit Fleischwurst und Hundefutter. Sie versucht, sie im Frühling auf den Teppich in ihre Wohnung hinein zu locken, und streut Futter vor und hinter sich auf ihren Gängen mit dem Hund aus. Die Vögel erkennen sie, ist sie sich sicher, unterhalten sich untereinander über sie, folgen ihr – und halten Distanz zu ihr. Wenn in dem Ganzen nicht ein bisschen literarische Übertreibung im Spiel ist und Monika Maron sich nicht auch ein wenig in die Rolle einer modernen Großstadthexe hineindichtet, so müsste man ihr in Schöneberg mit ihren Krähen begegnen können.
Die finsteren Vögel machen die Autorin glücklich, sie fühlt sich ihnen nahe. Kinder vermenschlichen Tiere, sinniert sie. Je älter wir werden, je mehr der Körper uns plagt, umso mehr fühlen wir das Tierische in uns und derart auf ganz andere Weise mit den Tieren verbunden.
So vollzieht dieser literarische Essay also eine doppelte Annäherung, an die Krähe als literarisches Motiv, etwa bei Fontane oder Philip Roth, und an die Krähe als Lebewesen, das sich auf uns seinen eigenen Reim macht.
Monika Maron: "Krähengekrächz", S. Fischer Verlag Frankfurt 2016, 63 S. 12 Euro