Endorphine sind körpereigene Stoffe, die Euphorie auslösen, Schmerzen lindern und dafür sorgen, dass Menschen sich miteinander verbunden fühlen. Der Körper schüttet sie unter verschiedenen Bedingungen aus, auch bei religiösen Ritualen. Kann das Gehirn jedoch keine Endorphine mehr verarbeiten, schwindet auch das Gefühl der Verbundenheit.
Das zeigte ein englisches Forschungsteam um die Psychologin Sarah Charles in Versuchen mit einer Yoga-Gruppe in England und Umbanda-Gläubigen in Brasilien. Ihre Arbeit liefert eine chemische Grundlage zum Verständnis sozialer Bindungen bei religiösen und spirituellen Ritualen.
Endorphine gehören zu den Opioiden. Der Name erinnert nicht von ungefähr an Opium & Co, denn diese körpereigenen Stoffe ähneln in der chemischen Struktur bestimmten Drogen. Damit das Gehirn Endorphine ausschüttet, genügt offenbar bereits die Atmosphäre eines religiösen oder spirituellen Gruppenrituals – sei es im Yoga-Kurs oder unter Gläubigen einer Religion. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie aus England.
Die Freiwilligen für ihren ersten Versuch fanden die Forschenden in einer englischen Yoga-Gruppe, deren Training sowohl Körperübungen als auch spirituelle Komponenten enthielt. Von den neun Teilnehmerinnen erhielten vier kurz vor der Übungsstunde das Medikament Naltrexon, das im Gehirn die Rezeptoren für Opioide blockiert und deshalb in der Entwöhnungstherapie von Opiat- und Alkoholabhängigen angewandt wird. Die restlichen fünf bekamen ein Placebo. Alle sollten vor und nach der Yoga-Stunde in einem Fragebogen angeben, wie stark sie sich mit den anderen Gruppenmitgliedern verbunden fühlten. Hierfür stand ihnen eine Skala von 1 bis 7 zur Verfügung. Dabei zeigte sich, dass die Frauen aus der Placebogruppe nach dem Training durchweg hohe Verbundenheitswerte angaben, während die Naltrexon-Gruppe sogar geringere Werte angab als vorher.
Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch einen zweiten Versuch mit größerer Teilnehmerzahl, für den die Forschenden einen völlig anderen kulturellen Kontext gewählt hatten. Die südamerikanische Umbanda-Religion verbindet Elemente des katholischen Christentums mit indigenen, afrikanischen und anderen Ritualen, wobei mystische Erfahrungen eine zentrale Rolle spielen. Von den 24 TeilnehmerInnen eines Umbanda-Rituals in der brasilianischen Stadt São Paulo (16 Frauen, acht Männer) bekamen elf Naltrexon, die übrigen das Placebo. Vor und nach dem zweistündigen Ritual füllten sie denselben Fragebogen aus wie die englischen Yoga-Schülerinnen – mit denselben Resultaten.
Die neuen Forschungserkenntnisse helfen, auf pharmakologischer Basis zu verstehen, welche immense Bedeutung Riten für den sozialen Zusammenhalt von Gruppen haben. Und sie belegen abermals, dass solche tiefen Gemeinschaftserfahrungen unabhängig von der Konfession, ja sogar von organisierter Religion überhaupt vorkommen.
1 Kommentar
Kommentare
M. Landau am Permanenter Link
Karl Marx hatte bereits vermutet was Religion sein könnte: »Opium des Volkes«.
Andererseits ist Religion kein direkte 'stoffliche' Sucht, wenn man mal vom Messwein absieht, sondern entwickelt sich eher wie Spielsucht.
Die Ähnlichkeiten sind erstaunlich.
https://www.netdoktor.de/krankheiten/spielsucht/