Wer an Rechtsterrorismus in Deutschland denkt, hat die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sofort präsent. Auch nach der Selbstenttarnung des NSU spielt Rechtsterrorismus weiter eine große Rolle und bleibt brandgefährlich. 50 rechtsterroristische Fälle seit 2011, darunter 29 gesichert rechtsterroristische Taten und Pläne und 21 Verdachtsfälle, hat das Center für Monitoring, Analyse & Strategie (CeMAS) gesammelt und ausgewertet.
In der Datenbank terror-seit-nsu.de, die fortlaufend aktualisiert wird, stellt CeMAS die Fälle nun der Öffentlichkeit zur Verfügung und beleuchtet damit einen blinden Fleck in der bisherigen Auseinandersetzung mit Rechtsterrorismus: die systematische Erfassung rechtsterroristischer Aktivitäten in Deutschland.
Seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 ist der Rechtsterrorismus in seiner ideologischen und strategischen Ausrichtung komplexer geworden. Gleichzeitig gibt es zahlreiche rechtsterroristische Aktivitäten in Deutschland. Von größerer Medienberichterstattung waren im vergangenen Jahrzehnt vor allem die Attentate von München, Hanau und Halle begleitet – viele der rechtsterroristischen Fälle und Verdachtsfälle seit 2011 sind der Öffentlichkeit jedoch unbekannt, weil es keinen zentralen Ort der Erfassung gibt.
"Gerade in Zeiten, in denen Umsturzfantasien Hochkonjunktur haben und digitale Räume zum Radikalisierungsbeschleuniger werden, ist es wichtig, die Entwicklungen im Bereich Rechtsterrorismus zu erfassen und zu verstehen. Nur so kann Aufarbeitung und Prävention gelingen", so Miro Dittrich, Rechtsextremismusexperte bei CeMAS und Mit-Initiator der Datenbank.
"Extremismus in all seinen Ausprägungen zentral zu erfassen, um ein besseres Gefühl für die Dimension des Problems zu bekommen, ist ein wichtiges Anliegen. CeMAS leistet mit der Initiative einen grundsätzlichen Beitrag, um das Ausmaß der Herausforderung für unsere Demokratie zu verstehen", meint Silke Mülherr, Co-CEO der Alfred Landecker Foundation, die CeMAS seit der Gründung fördern.
Neben ausgeführten Anschlägen in Deutschland werden in der Datenbank auch Pläne veröffentlicht, die kurz vor der Ausführung verhindert werden konnten und die Merkmale rechtsterroristischer Tatvorhaben enthalten. Begleitend beschreiben und analysieren die Initiatoren der Datenbank alle aufgenommenen Fälle und ordnen diese ideologisch ein. Auf dieser Grundlage konnten folgende zentrale Entwicklungen identifiziert werden:
Es lassen sich drei wesentliche Strömungen von Rechtsterrorismus in Deutschland beobachten:
- Verschwörungsideologischer Souveränismus: Vor allem sogenannte "Reichsbürger" und andere verschwörungsideologische Souveränist:innen, welche die aktuelle Gesellschaftsform als Mittel einer Verschwörung sehen und diese abschaffen wollen.
- Militanter Akzelerationismus: Lose, meist über Online-Communitys vernetzte Szene, die vermehrt minderjährige Täter hervorbringt und den baldigen Zusammenbruch westlicher Demokratien provozieren will.
- Vigilantistischer Terrorismus: Personen mit der Überzeugung, Gewalttaten im Namen eines vermeintlichen "Volkswillens" zu verüben, um damit die Ordnung wiederherzustellen, die der Staat angeblich nicht umsetzen würde oder könnte.
- Insbesondere der militante Akzelerationismus und der verschwörungsideologische Souveränismus stellen verstärkte rechtsterroristische Strömungen der vergangenen Jahre dar.
Die Rolle der Vernetzung über Messengerdienste, Soziale Medien oder Online-Communitys hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Möglichkeit sich online zu radikalisieren, bringt auch immer mehr Minderjährige hervor, die Taten planen oder begehen.
Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima sehen Rechtsterrorist:innen eine Chance zur Realisierung von Umsturzfantasien. Die gestiegene Zustimmung zu rechtsextremen Narrativen und der Zuwachs in der rechtsextremen Szene in Deutschland wird den ansteigenden Trend rechtsterroristischer Aktivitäten unterstützen.
Die Aufarbeitung von rechtsterroristischen Taten vor Gericht zeigt immer wieder: Ermittler:innen fehlt das Wissen über moderne Formen des Rechtsterrorismus (insbesondere im Bereich von Online-Communitys). Oft wird auch das Netzwerk rund um die Täter:innen nur unzureichend erkannt und ermittelt.