Hanau am 19. Februar 2020 – Terror mit Ansage

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Kränze, Blumen und Kerzen am Tatort Heumarkt in Hanau 2020.
Kränze, Blumen und Kerzen am Tatort Heumarkt in Hanau 2020.

Am 19. Februar 2020 ermordete ein deutscher Rechtsterrorist im hessischen Hanau neun Menschen. Das Motiv: Rassismus. Nach dem Anschlag tötete der Täter erst seine Mutter, dann sich selber. Ein Verbrechen, das weder als spontane Tat noch als Kurzschlussreaktion einzuordnen ist, vielmehr hatte sich der Täter über Jahre radikalisiert und war dabei auch polizeibekannt.

Bereits 2002 zeigte der Täter beim Polizeipräsidium Oberfranken eine "psychische Vergewaltigung" an, da er durch geheime Organisationen und Kräfte "abgehört, belauscht und gefilmt" würde. Immer wieder kam der Mann mit der Polizei in Konflikt und tauchte bis 2020 in 15 Polizeiakten auf, unter anderem wegen Drogendelikten und Brandstiftung. Psychische Probleme und Wahnvorstellungen waren seit Jahren bekannt, ohne Konsequenzen. Sein rassistisches Menschenbild entwickelte sich parallel dazu.

Bereits im Frühjahr 2019 legte er eine Datei mit rassistischen Inhalten für eine geplante Homepage an, die im Oktober 2019 online ging. Es wurde gezielt recherchiert, Treffen mit Illustratoren fanden statt und auf einem Flipchart-Blatt notierte der Täter mögliche Anschlagsziele sowie das jeweilige Vorgehen. Einer der späteren Tatorte, die Shishabar "Midnight", wurde hier bereits erwähnt. In diesem Kontext einzig von den Auswirkungen einer psychischen Erkrankung zu sprechen, wird vor allem der Vorgeschichte des Anschlags nicht gerecht und unterschlägt das systematische und durchkalkulierte Vorgehen des Täters. Die Kriminologin Britta Bannenberg beschreibt dies im Interview mit der Zeit wie folgt:

"Die präzise Rechtschreibung und Klarheit der Sprache ist für einen Menschen mit einer paranoiden Schizophrenie eher ungewöhnlich. Meist sind die Schriften und Äußerungen fahriger, nebulöser und erscheinen weniger strukturiert."

Innerhalb dieser Struktur ging es nicht darum, beliebig Menschen zu töten. In einem Bekennerschreiben, das bis zum 20. Februar 2020 auf der Homepage des Täters verlinkt war, legte er auf 24 Seiten umfangreiche Vernichtungsfantasien dar, die sich vor allem gegen muslimische Länder richteten, da die "meisten Rassen und Kulturen – vor allem der Islam – destruktiv" seien. Diese gelte es, genauso wie Israel, "komplett zu vernichten". Aber auch die deutsche Bevölkerung müsse in "reinrassige" Deutsche und "Passdeutsche" aufgeteilt werden. Neben den erstgenannten Zielen sollten "Säuberungen in den restlichen afrikanischen Staaten, Süd- und Mittelamerika sowie der Karibik" folgen. Als wertvoll galten dem Täter weiße Menschen, die weltweit bedroht seien. Dass er gleichzeitig auch Anhänger Trumps war, zeigt die internationale Tragweite von Anknüpfungspunkten rechter Ideologie.

Ein durch und durch rassistisches Weltbild, in dem die planmäßige Vernichtung von nicht-weißen Menschen als legitim und erstrebenswert propagiert wird. Es ist nicht verwunderlich, dass im Vorfeld intensiv Reden Adolf Hitlers konsumiert und entsprechende Literatur gekauft wurde. Vielmehr stellt sich die Frage, wie ein Mensch mit diesem Gedankengut bereits seit Jahren in Waffenbesitz sein und an mindestens zwei Einheiten eines "Gefechtstrainings" in der Slowakei teilnehmen konnte, ohne dass deutsche Sicherheitsbehörden aktiv wurden.

Der Deutsche Schützenbund lehnt strengere Regeln ab. In einer Stellungnahme hieß es, das "deutsche Waffenrecht gelte als eines der 'schärfsten weltweit'. Sportschützen zählten zu den am stärksten kontrollierten und zugleich gesetzestreuesten Personen."

Inwiefern Gesetzestreue im Falle des Hanau-Attentäters definiert wird, lässt Fragen in einem Land offen, in dem vermehrt rechtsradikale Netzwerke in Kreisen der Polizei und Bundeswehr aufgedeckt werden. Ebenso reichen rassistische Ressentiments gegen Muslim*innen und nicht-weiße Menschen bis weit in die Mitte der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Dieses Fundament an Rassismus wird durch Menschen wie den Attentäter von Hanau überspitzt und radikalisiert, wobei auch Frauenhass ein Motiv darstellt. So wird im Manifest des Täters angeführt, dass er seit 18 Jahren keine Freundin gehabt habe, was durch eine "extreme Anspruchshaltung" gegenüber Frauen begründet wird und den Selbsterklärungen weiterer Rechtsterroristen ähnelt.

Wie konnten sich diese Zustände über Jahre entwickeln, ohne dem nahen Umfeld aufzufallen? Zumindest der Vater äußert sich bis heute selber rassistisch und spricht von einer "Benachteiligung seiner Rasse, mithin des deutschen Volkes". Die Mordopfer von Hanau seien "Täter", außerdem sollten "Gedenkstätten entfernt" und die "Internetseite des Sohnes wieder freigeschaltet werden". Dass eine derartige Weltanschauung im sozialen Umfeld der Familie anscheinend nie für Aufsehen sorgte, zeigt die Ignoranz oder gar Anschlussfähigkeit von Teilen rechtsradikalen Gedankenguts im kleinbürgerlichen Idyll der hessischen Provinz. Dabei sollte klar sein: Hanau ist überall.

Viele Menschen sind mit rassistischen Stereotypen aufgewachsen und sozialisiert, ohne dass es ihnen jemals bewusst gewesen wäre. Ob es lapidare Aussagen wie "Schwarze haben den Rhythmus im Blut", antimuslimische Ressentiments oder auch ein massiver Antiziganismus in allen Schichten der Gesellschaft sind – nichts wird sich ändern, wenn nicht schon im Kleinen das eigene Verhalten, Sprechen und Denken reflektiert und im Sinne aller Betroffenen von Rassismus verändert wird. Eren Güvercin von der islamischen Alhambra-Gesellschaft beschreibt dies wie folgt:

"Die rechtsradikale Blutspur der letzten 20 Jahre vom NSU bis Halle und Hanau führt uns vor Augen, mit welch existenzieller Bedrohung aus der rechten Ecke wir als deutsche Muslime, Juden und andere Minderheiten konfrontiert sind. Aber was für Schlussfolgerungen ziehen wir als Gesellschaft und vor allem die politischen Entscheidungsträger? Wenn weiter elementare Fragen zum NSU-Komplex unbeantwortet sind, wenn politische Parteien in Wahlkampfzeiten immer noch mit populistischer Sprache bei Themen wie Clankriminalität Ressentiments schüren und immer noch von Einzeltätern gesprochen wird, statt die rechtsradikalen Netzwerke gezielt zu bekämpfen, dann verlieren jene Bürger, die zum Ziel dieser Gewalt werden, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Und gerade dieses schwindende Vertrauen nutzen ausländische Akteure wie die AKP mit ihrer aggressiven und perfiden Diasporapolitik aus, um bei den Türkeistämmigen und Muslimen in Deutschland sich als Fürsprecher zu präsentieren. Nicht der türkische Konsul oder ein Abgeordneter der AKP sollten die ersten sein, die bei den Familien der Opfer ihre Anteilnahme zeigen, sondern die deutsche Politik, die dort als erster auf der Matte stehen muss, um den Familien mit allem, was möglich ist, beizustehen. Und das nicht als bloße Symbolpolitik, sondern weil es etwas Selbstverständliches ist."

In diesem Sinne gedenken wir der Mordopfer des rassistischen Terroranschlags von Hanau am 19. Februar 2020:

Ferhat Unvar,
Hamza Kurtović,
Said Nesar Hashemi,
Vili Viorel Păun,
Mercedes Kierpacz,
Kaloyan Velkov,
Fatih Saraçoğlu,
Sedat Gürbüz und
Gökhan Gültekin.

"Nie wieder!" beginnt bei jedem von uns selbst.

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