Kommentar

Es tut ihnen ja allen so leid

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Robert Zollitsch, ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und emeritierter Erzbischof von Freiburg
Robert Zollitsch

Robert Zollitsch, der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hat sich in einer Videobotschaft zu Wort gemeldet. Kleinlaut, zerknirscht, überschwänglich in eigenen Schuldeingeständnissen, wie es Vertreter der katholischen Kirche nun häufiger tun. Als der Missbrauchsskandal erstmals öffentlich wurde, klang das noch ganz anders.

Kennen Sie noch Robert Zollitsch? Richtig, er ist ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Von 2008 bis 2014 hatte er dieses Amt inne. Genau da also, als 2010 der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ans Licht kam. Er bekleckerte sich damals nicht gerade mit Ruhm, als er "empört" auf die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte, die in den "Tagesthemen" gesagt hatte, sie vermisse bei den Verantwortlichen "ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser Aufklärung" und erwarte endlich eine konstruktive Zusammenarbeit der Verantwortlichen der katholischen Kirche mit den Strafverfolgungsbehörden. Zollitsch warf ihr daraufhin "falsche Tatsachenbehauptungen" vor, mit denen sie "maßlos gegen unsere katholische Kirche polemisiert" habe. "Ich erinnere mich keines zweiten Medienbeitrags eines Regierungsmitglieds der Bundesrepublik, der eine ähnlich schwerwiegende Attacke gegen die katholische Kirche in Deutschland dargestellt hätte", so der mittlerweile emeritierte Erzbischof von Freiburg während der DBK-Frühjahrskonferenz vor zwölf Jahren. Er stellte Leutheusser-Schnarrenberger gar ein Ultimatum, die "unwahren Passagen" innerhalb von 24 Stunden richtigzustellen.

Beispiellos war vor allem auch das dreiste Auftreten Zollitschs, in dem sich die ganze Arroganz der katholischen Kirche gegenüber staatlichen Institutionen offenbarte, die sich sichtlich aus der Jahrhunderte langen Gewöhnung an die eigene Unantastbarkeit ergeben hatte. In der Gewissheit des selbst uminterpretierten, vom Grundgesetz garantierten Selbstverwaltungsrechts hin zum Selbstbestimmungsrecht samt eigener Paralleljustiz erschien es den Kirchenoberen wohl als Anmaßung, dass die Justizministerin anmahnte, dass staatliche Strafverfolgungsbehörden auch für kirchliche Straftäter zuständig sind. Angesichts eines Skandals, dessen Ausmaß man damals erst begann zu verstehen und dessen immer neue schockierende Details verbunden mit fortdauerndem Aufklärungs- und Entschädigungsunwillen der katholischen Kirche bis dahin ungekannte Austrittsrekorde und einen vernichtenden Glaubwürdigkeitsverlust bescheren sollte, hat man das rhetorische Auftreten seit geraumer Zeit verändert. Reumütig gibt man sich, beteuert, wie sehr einem das alles leidtue und was alles falsch gelaufen sei.

So nun, zwölf Jahre nach dem Leutheusser-Schnarrenberger-Gate, auch Robert Zollitsch. In einem neuneinhalb-minütigen Video, das er auf seiner Website veröffentlicht hat, wendet er sich an Betroffene, Angehörige sowie Katholikinnen und Katholiken: "Ich bitte Sie, die Sie sexualisierte Gewalt und jegliche Form von Missbrauch erfahren haben, um Verzeihung für das zusätzliche Leid, das Ihnen mein Verhalten bereitet hat." – "Immer im Wissen, dass dies all die Entscheidungen nicht rückgängig machen kann und dass dies an den schrecklichen Erfahrungen der Betroffenen und ihrer Familien, die ihr Leben lang darunter leiden, nichts ändert." Es schmerze ihn, dass er so dazu beigetragen habe, dass Menschen sich ihrer Kirche schämten, ihr Vertrauen in sie verlören und allzu viele ihr den Rücken kehrten.

"Zu naiv und zu arglos" sei er im Umgang mit missbrauchenden Mitbrüdern gewesen, allzu gerne habe er den Aussagen und Versprechungen der Täter geglaubt. Er habe "denen, die sich schuldig gemacht hatten, ihr Verhalten im Gespräch mit mir bereuten und mir Umkehr versprachen, eine zweite Chance geben" wollen. Durch diese Wortwahl zeigt sich, dass trotz all der aufgefahrenen Geschütze der rhetorischen Geißelung, die zugegebenermaßen empathischer und umfassender daherkommt als zu früheren Zeitpunkten, auch nach zwölf Jahren eine zentrale Erkenntnis noch immer keinen Einzug gehalten hat: Es geht um kein tadelnswertes "Verhalten", es geht um Straftaten. Diese müssen durch den Rechtsstaat verfolgt, aufgeklärt und bestraft werden, das Bereuen alleine reicht nicht. Auch die Formulierung "sich schuldig machen" verharmlost das, was passiert ist: Das Vertuschen von Verbrechen. Das, was Zollitsch schildert, ist Strafvereitelung und kein "gravierender Fehler". Doch dadurch, dass katholische Vertreter noch immer in kirchlichen Beichtkategorien denken und sprechen, zeigt sich, dass sie gedanklich die Welt ihrer Paralleljustiz noch immer nicht verlassen haben, auch wenn ihnen das, was den Opfern angetan wurde, tatsächlich leidtut.

Betroffene können sich von den immer umfassenderen Schuldeingeständnissen im wahrsten Sinne des Wortes nichts kaufen ­­– denn einer angemessenen (!) Entschädigung, die auch so heißt, verwehrt sich die Kirche nach wie vor und die allermeisten Taten sind verjährt, die Täter ungestraft verstorben. Robert Zollitsch spricht lediglich von "Gehör", "Anerkennung" und "Unterstützung" durch die Kirche.

Der berechtigte Vorwurf der früheren Justizministerin hat derweil nach wie vor nichts an Aktualität eingebüßt. Der ehemalige DBK-Vorsitzende räumt in seiner Videobotschaft ein: "Aufklärung und Aufarbeitung waren nicht ausreichend und es ging und geht bis heute zu schleppend voran." Im Jahr 2022 erklärt er seinen "Wunsch nach einer umfassenden, systematischen und systemischen Aufklärung und Aufarbeitung (…), zu der auch ich meinen Beitrag leisten möchte." Vielleicht hätte an dieser Stelle auch ein Bezug auf sein Verhalten gegenüber Leutheusser-Schnarrenberger, verbunden mit einer Entschuldigung gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit und einer ihrer seinerzeit höchsten Vertreterinnen, einen Platz in Zollitschs Beteuerungen verdient.

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