Rezension

Essays gegen die Orientierungslosigkeit

Der ehemalige SPD-Grundsatzreferent Nils Heisterhagen legt mit "Das Streben nach Freiheit. Essays gegen die Orientierungslosigkeit" kürzere politische Kommentare aus der Zeit zwischen 2013 und 2019 vor. Es gibt viele Allgemeinheiten und Wiederholungen, gelegentlich aber auch Innovationen und Zuspitzungen, welche in einem eigenen Buch mit klarer Struktur besser aufgehoben gewesen wären.

Das Buch "Die liberale Illusion. Warum wir einen linken Realismus brauchen" hat Nils Heisterhagen bekannt gemacht. Der frühere Grundsatzreferent der SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz hatte darin viele "linke Tabuthemen" berührt. Dazu gehörte auch die Aussage, wonach man sich mehr mit Identitätsfragen und weniger mit Sozialpolitik beschäftigt habe. Demgegenüber plädierte der Autor in seiner Streitschrift dafür, vom Moralismus zum Realismus überzugehen. Dies geschah mal mit guten Argumenten, aber auch mal mit schiefen Pauschalisierungen. Indessen machten diese Ausführungen dann Heisterhagen bekannt, was an Essays und Interviews in anderen Medien erkennbar war. Auch wenn man seine Aussagen kritisch sah, lohnten sich die Reflexionen darüber. Nun hat er nachgelegt: Sein neues Buch "Das Streben nach Freiheit" ist über 500 Seiten dick und enthält "Essays gegen die Orientierungslosigkeit", so der Untertitel. Das sind Abhandlungen zwischen drei und zehn Seiten, die zwischen 2013 und 2019 geschrieben wurden.

Beispielbild

Der Band wird eingeleitet durch ein Vorwort. Darin benennt der Autor seine Grundprinzipien, wozu auch die Deutung von Freiheit gehört. Es soll eine "republikanische Freiheit" sein, sie soll von Mitbestimmung und Partizipation geprägt sein. Es soll auch um einen "existentiellen Republikanismus" gehen (S. 11 f). Man muss bereits hier sagen, dass es nicht genauer wird. Die folgenden Ausführungen bleiben eher diffus und es kommt allzu häufig das Wort "ich" vor, womit ein formaler wie inhaltlicher Gesichtspunkt problematisiert werden soll. Eine Formulierung wie "Ich bin auch so ein Freiheitskämpfer" (S. 21) lädt zu polemischer Kommentierung ein. Das soll hier aber nicht geschehen, denn danach wird es mitunter interessant. Heisterhagen gliedert die folgenden Texte auf, wobei es mal um Freiheit, dann um Gesellschaft, dann um Politik und dann um Wirtschaft geht. Er spricht wichtige Fragen an, aber eben in diesem Format viel zu kurz und oberflächlich. Es gibt beachtenswerte Gedankengänge, aber auch gelegentliche Plattheiten.

Da wird betont, dass es "keine Freiheit ohne soziale Sicherheit" (S. 27) geben könne. Es gibt eine Kritik des Neoliberalismus in "Theorie und Wirklichkeit" (S. 50). Und dann wird auch für den "starken Staat" plädiert, der "nicht nur für die innere Sicherheit, sondern vielmehr auch für die soziale Sicherheit und die Lebenschancen jedes Einzelnen seine Mitverankerung anerkennt." Danach heißt es: "Und diese Antwort ist sozialdemokratisch" (S. 71). Angesichts seines beruflichen und politischen Hintergrundes muss man mit derartigen Statements rechnen. Der Autor betont, was "sozialdemokratisch" eigentlich ist und was die SPD praktisch machen müsse. Das sind indessen Fragen, die außerhalb der Partei ebenfalls relevant sind. Der Autor lässt auch Beiträge nachdrucken, was einen gewissen Mut erfordert. So ist einer "Martin Schulz – Der neue Arbeiterkaiser" überschrieben und er beginnt mit dem Satz "Martin Schulz begeistert die Massen" (S. 289). Bereits in der Einleitung hatte sich Heisterhagen schon für sein Condi-Rice-Plädoyer entschuldigt.

Es gibt dann viele Appelle, die eigentlich dem von ihm so kritisierten Moralismus entsprechen: "Die SPD muss endlich aufwachen!" (S. 330) oder "Die SPD braucht linken Realismus" (S. 334). All diese Beschwörungen ermüden ein wenig durch Wiederholungen. Es gibt aber immer wieder kleine Perlen, die allerdings in der umfangreichen Textsammlung unterzugehen drohen. Dafür steht die kleine Anmerkung zur "Verbindung aus Hippiebewegung und Turbo-Digitalkapitalismus" (S. 110), da wird die soziale Blindheit der "kosmopolitischen Linken" (S. 278) kritisiert, da wird begründet "Warum die linken Parteien die soziale Frage wieder stellen müssen" (S. 293). All diese Anregungen hätten aber ausführlicher und kürzer zugleich kommen können, was hier angesichts der Wiederholungen nicht widersprüchlich ist. Dies gelingt womöglich eher in einem eigenen Buch mit klarer Problemstellung und Struktur. In dem sollte aber bitte nicht stehen: "… ich bin immer noch … ein Kämpfer mit der Feder" (S. 487).