In der neuen Ausgabe des bruno., des Jahresmagazins der Giordano-Bruno-Stiftung, wird auch Peter Kropotkin als evolutionärer Humanist gewürdigt. Dagegen seien Einwände bezogen auf seine Einstellung zu Gewalt und Wissenschaft vorgetragen.
Die aktuelle Ausgabe von bruno. Das Jahresmagazin der Giordano-Bruno-Stiftung steht unter dem Motto "100 Jahre evolutionärer Humanismus. Wir glauben an den Menschen". Der dazu gehörige programmatische Artikel nennt gleich zwei konkrete Vordenker: Julian Huxley und Peter Kropotkin, die den Lesenden auch mit Foto präsentiert werden. Doch passt der letztgenannte Anarchist dazu? Ist das die richtige Kategorie für ihn? Als Begründung wird auf die Bücher "Ethik: Ursprung und Entwicklung der Sitten" und insbesondere auf "Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt" verwiesen. In Letzterem habe Kropotkin "in genialer Weise die Kritik am sogenannten 'Sozialdarwinismus'" vorweggenommen. Doch ist das ein ausreichendes Argument, um ihn als evolutionären Humanisten zu würdigen? Gegen diese Einschätzung spricht der ideologische Hintergrund der erwähnten Schrift, aber auch eine durchaus problematische Einstellung gegenüber der Gewalt als Handlungsstil. Auf diese beiden Gesichtspunkte wollen die folgenden Reflexionen hinweisen. Sie plädieren gleichzeitig für einen kritischeren Blick auf historische Vorbilder.
Wer war aber nun der heute eher nur noch ideengeschichtlich Interessierten bekannte Peter Kropotkin? Der 1842 Geborene entstammte einer aristokratischen Familie und wuchs im russischen Zarenreich auf. Nachvollziehbare Gründe brachten ihn in Konflikt mit der damaligen gesellschaftlichen wie politischen Ordnung. So begann der junge Kropotkin damit, sich immer mehr mit kritischen Ideen gegen die beklagten Zustände zu beschäftigen. Gleichzeitig machte er sich durch seine geographischen Forschungen einen öffentlichen Namen. Spätestens während einer Europa-Reise wurde dann aus Kropotkin das, was man einen kommunistischen Anarchisten nennen kann. Er griff Ideen anderer entsprechender Theoretiker auf und entwickelte daraus eigene Vorstellungen. Parallel dazu engagierte sich Kropotkin in anarchistischen Zusammenhängen, was in der Einforderung einer herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft mündete. Damit stand er auch im Gegensatz zum Marxismus, der ihm als autoritäres Modell erschien. Kropotkin kehrte nach der bolschewistischen Oktoberrevolution nach Russland zurück, wo er als deren Gegner 1921 starb.
In seinen Büchern mit wissenschaftlichem Charakter ging es Kropotkin durchgängig darum, seine anarchistischen Auffassungen durch entsprechende Forschungsergebnisse zu legitimeren. Die Ideologie stand dabei in einem Spannungsverhältnis zur Wissenschaft. Dies macht auch das erwähnte Buch "Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt" (1902) deutlich. Berechtigt wies Kropotkin darin für die Natur nach, dass es dort nicht nur den Kampf und Konflikt entsprechend des Sozialdarwinismus gibt. Entscheidender seien Kooperation und Solidarität. Diese Einsicht brachte ihm auch von renommierten Evolutionsforschern wie Stephen Jay Gould später entsprechende Wertschätzung ein. Gleichwohl kritisierten diese seinen Denkfehler, wonach die für die einzelnen Lebewesen relevanten Vorteile ignoriert wurden. Anders formuliert: Der Einseitigkeit der Sozialdarwinisten stellte er seine ebenso einseitigen Vorstellungen gegenüber. Mit der Betonung einer natürlichen Solidarität sollte eine grundlegende Staatsnegierung legitimiert werden. Diese Institution wurde auf ein schlichtes Repressionsorgan reduziert.
Demnach überlagerte die ideologische Absicht eben auch die wissenschaftliche Forschung. Die anarchistische Ausrichtung von Kropotkin ließ ihn darüber hinaus zeitweise zu einem Terrorismusbefürworter werden, sah er doch in Gewalthandlungen ein wichtiges Mittel einer "Propaganda der Tat". Anschläge und Attentate prägten seinerzeit die anarchistische Praxis gegen den russischen Zarismus. Dolch, Dynamit und Gewehr erschienen Kropotkin phasenweise als legitime Mittel. Zwar betonte er nach einer gewissen Euphorie, gegen Ausbeuter könne man auch nicht mit Dynamit gewinnen. Insofern waren derartige Anschlagspraktiken kein kontinuierliches Handlungsmodell für Kropotkin, in Gewalt sah er aber sehr wohl ein legitimes Mittel für den politischen Umsturz. Seine spätere Ablehnung von terroristischen Einzeltätern und Kleingruppen bildete dazu keinen Widerspruch.
All diese Aspekte müssen bezogen auf Kropotkin mit berücksichtigt werden. Sicherlich ist er bis in die Gegenwart hinein der bedeutendste anarchistische Theoretiker, ob er ein evolutionärer Humanist war, darf aber je nach Verständnis in Zweifel gezogen werden.
Der Autor hat auch eine ausführlichere Darstellung und Erörterung verfasst: Armin Pfahl-Traughber: Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (1902), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert, Berlin 2018, S. 17-31.