Am 18. Januar 2024 verstarb Sepp Rothwangl. In Österreich war er ein bekannter Kämpfer für die Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle auch innerhalb der Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt.
Sepp war viel. Großer und leidenschaftlicher Waldbauer im Mürztal. Aktivist für Säkularisierung. Zentraler Kämpfer für die Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle. Früh verlor er seinen Vater. Seine Mutter meinte es gut mit ihm und schickte ihn nach Graz in ein katholisches Internat. Eine Entscheidung, die das Leben von Sepp maßgeblich tangierte. Er wurde Opfer sexualisierter Gewalt durch einen Priester. Zeit seines Lebens blieb dies eine offene Wunde für ihn – die manchmal mehr, manchmal weniger blutete.
Engagement für Opfer kirchlicher sexualisierter Gewalt
Als 2010 die massenhaften Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ans Tageslicht kamen, schloss sich Sepp der frisch gegründeten Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt an – deren Obmann er später wurde. Stets hatte er für Betroffene ein offenes Ohr und eine breite Schulter zum Anlehnen. Ihn empörte es, dass die römisch-katholische Kirche – obwohl des tausendfachen Missbrauchs beschuldigt – ungeschoren davonkommen konnte, aufgrund der Verhaberung von Politik und Kirche. Sepp startete mit humorvollem Aktionismus in der Öffentlichkeit, um auf witzige, aber trotzdem ernste Art auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen.
Öffentlicher Aktionismus mit Humor und Weisheit
So deponierte er aus Protest einen Mühlstein an Hans Hermann Groers Denkmal, aus dessen Mitte Kardinal Groers Kopf ragte. Der Altkardinal war von mehreren Personen der pädokriminellen Gewalt beschuldigt worden und hätte trotzdem ein Denkmal erhalten sollen. Sepp schmückte den Mühlstein mit einem Bibelzitat: "Wer aber irgend eines dieser Kleinen, die an mich glauben, ärgern wird, dem wäre nütze, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt, und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde."
Für frei bestimmtes Sterben
Ein Andermal sperrte er den Mariazeller Wanderweg in seinem Waldgrundstück für Priester in Begleitung von minderjährigen Kindern, weil er damit gegen die mangelnde Aufarbeitung der unzähligen Missbrauchsfälle und der ungebrochenen Gefahr für Schutzbefohlene im katholischen Umfeld aufmerksam machen wollte. Eine Aktion, die auch international für Schlagzeilen sorgte. Folgerichtig war Sepp auch Mitglied beim Humanistischen Verband Österreichs – der den säkularen Menschen in Österreich eine Stimme gibt. Sepp war auch in der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) engagiert – um selbstbestimmt über sein eigenes Ende zu verfügen.
Kämpfer gegen Grundrechtseinschränkungen
Auch wenn Sepp die meiste Zeit seines Lebens in seiner Waldhütte im Mürztal verbrachte, war er doch ein unermüdlicher Networker. Sepp war umgänglich, gesellig, kompromissfähig und dann doch auch ein liebenswerter Mürztaler Sturschädel. Zu Corona-Zeiten brachte er die erste Verfassungsbeschwerde gegen den Lockdown ein. Er sah in den Corona-Maßnahmen mit den Ausgangsbeschränkungen eine unnötige und unzumutbare Einschränkung der persönlichen Freiheit.
Begeisterter Kalenderforscher
Bei all dem politischen Engagement hatte Sepp jedoch auch einen regen Forschergeist: Seine große Begeisterung galt der Zeitrechnung. Er kritisierte unsere christliche Zeitrechnung, die auf das Jahr 2000 als das Ende der Zeit ausgereichtet ist, symbolisiert durch die Konjunktion der Planeten in diesem Jahr. Die Kirche habe die Zeitrechnung als Instrument der konfessionellen Unterdrückung genützt, als Teil eines abergläubischen Weltbildes mit fehlerhafter astronomischer Berechnung. Er forderte, den päpstlich-gregorianischen Kalender durch eine naturwissenschaftliche Zeitrechnung zu ersetzen. Obwohl Sepp Autodidakt in der Kalenderforschung war (eine universitäre Ausbildung war durch die Traumatisierung im Internat unmöglich), begeisterten seine Vorträge bei Fachkongressen auch die Fachwelt. Die Liedermacher Christoph und Lollo widmeten Sepps Leidenschaft für Ärchaoastronomie eine liebevolle Satire.
Sepp ist am 18. Januar 2024 in seiner Almhütte, die er nie für längere Zeit verließ, verstorben. Viele werden ihn vermissen. Unsere ganze Anteilnahme gilt seiner Familie und seinen Freunden.
Erstveröffentlichung auf der Website des Humanistischen Verbands Österreich.