Obwohl die Schlagzeilen weltweit vor allem von Uneinigkeit und Konflikten beherrscht werden, schließen Menschen seit jeher Freundschaften über Gruppenzugehörigkeiten hinweg. Doch nach welchen Kriterien wählen sie Freunde aus, die einer anderen Gruppe angehören? In Zusammenarbeit mit Gartenbauern aus Bolivien haben Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of California Santa Barbara herausgefunden, dass Menschen sehr ähnliche Kriterien anwenden wie bei der Auswahl von Freunden innerhalb der eigenen Gemeinschaft: In beiden Fällen zählen vor allem individuelle kooperative Eigenschaften. Nur wenn es darum geht, begrenzte Ressourcen aufzuteilen, beeinflussen Gruppeneigenschaften die Wahl.
Menschen haben sich im Laufe der Geschichte und Vorgeschichte auf Freunde verlassen, die anderswo leben oder anderen ethnischen Gruppen angehören. Diese Freunde können den Zugang zu Ressourcen erleichtern, die vor Ort nicht verfügbar sind oder knapp werden. Auch wenn viele von uns heute einen Großteil von dem, was wir täglich brauchen, einkaufen können, sind Freunde, die anderswo leben, nach wie vor wichtig: Geändert hat sich nur, welche Ressourcen uns relevant erscheinen. Wenn wir einen neuen Freund aus einer anderen Gruppe auszuwählen, achten wir dann nicht nur auf seine Kooperationsbereitschaft, sondern auch darauf, ob seine Gruppe Zugang zu wichtigen Ressourcen hat?
Anne Pisor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Michael Gurven von der University of California Santa Barbara, USA, haben anhand dreier Populationen von Gartenbauern in Bolivien untersucht, inwieweit sich individuelle Eigenschaften und Gruppeneigenschaften darauf auswirken, ob ein Fremder als potentieller Freund betrachtet wird. Gartenbauern betätigen sich traditionell mit Brandrodung, Fischen und Jagen. In Bolivien aber kaufen und verkaufen Gartenbauern zunehmend Waren auf Märkten; die drei untersuchten Populationen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Marktbeteiligung. Menschen, die sich an diesen Märkten beteiligen, begegnen häufiger Personen aus anderen ethnischen und religiösen Gruppen. Die Bedeutung, Freundschaften mit Mitgliedern dieser Gruppen zu knüpfen, kann sich entsprechend verändern.
Pisor führte ein Experiment durch, bei dem jeder Teilnehmer Geld erhielt, das dieser wiederum an Fremde aus derselben oder einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe weitergeben oder für sich behalten konnte. Jedem Teilnehmer wurden Bilder dieser Personen gezeigt und gesagt, dass das Geld diesen Personen im Namen des Teilnehmers überreicht würde. Pisor forderte die Teilnehmer außerdem auf, ihre Wahrnehmung der einzelnen Kandidaten in mehreren Bereichen zu beschreiben und die Vorteile, Kosten und Stereotypen zu benennen, die sie mit der Gruppe des Empfängers verbinden.
Den Forschern fiel auf, dass die Teilnehmer, unabhängig davon, ob die potentiellen neuen Freunde aus ihrer eigenen oder einer anderen Gruppe stammen, denjenigen bevorzugt Geld zukommen ließen, die sie für "gute Menschen" hielten (entspricht im bolivianischen Spanisch der Bedeutung "freundlich und offen"). "Das finde ich immer wieder in Bolivien: Einen guten Menschen zum Freund zu haben, ist ganz besonders wichtig", sagt Pisor.
Dass die Teilnehmer im Experiment ihr Interesse an einer Freundschaft in Form von Geld zum Ausdruck bringen sollten, führte zu informativen Einblicken. "Unter den Kandidaten, die zur eigenen Gruppe gehörten, bevorzugten die Teilnehmer die wohlhabenderen, wollten mir das aber nicht sagen", berichtet Pisor. "Sie gaben denjenigen mehr Geld, die von anderen als wohlhabend eingestuft worden waren, beschrieben sie mir gegenüber aber als nicht wohlhabend. Wahrscheinlich, um zu rechtfertigen, dass sie ihnen Geld gaben."
Die Forscher fanden auch keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die Teilnehmer bestimmte Gruppeneigenschaften bei Empfängern bevorzugen, die nicht der eigenen Gruppe angehörten; es sei denn, es ging um Geld: Obwohl stereotype Vorstellungen, die ein Teilnehmer von Angehörigen einer bestimmten Gruppe hatte, nicht beeinflusste, wieviel Geld er einem Empfänger aus dieser Gruppe gab, gaben Teilnehmer der Tsimane‘-Population Angehörigen anderer Gruppen generell weniger, wenn sie glaubten, dass diese einen stärkeren Marktzugang hatten als sie selbst. Die Tsimane‘ haben weniger Zugang zum Markt als die beiden anderen Populationen und werden auch regelmäßig von Mitgliedern anderer Gruppen diskriminiert. "Angesichts einer langen Geschichte der Ausbeutung durch andere Populationen geben die Tsimane‘-Teilnehmer lieber anderen Tsimane‘ Geld, anstatt Mitglieder reicherer Fremdgruppen zu unterstützen, von denen sie vielleicht profitieren könnten", sagt Gurven. "Das deckt sich mit anderen Studien, denen zufolge enge Gemeinschaften, die sich dem Markt öffnen, das Geld lieber innerhalb der Gemeinschaft halten."
"Obwohl unsere Ergebnisse sich speziell auf den bolivianischen Kontext beziehen, deuten sie auch generell darauf hin, dass wir bei der Wahl neuer Freunde ähnliche Kriterien anwenden, egal ob diese derselben oder einer anderen ethnischen oder religiösen Gruppe angehören", sagt Pisor. "Individuelle Eigenschaften sind in diesem Zusammenhang wichtiger als Gruppeneigenschaften und Kooperationsbereitschaft ist besonders wichtig." Dass Gruppeneigenschaften nur dann von Bedeutung sind, wenn Mitglieder einer Gruppe sich selbst als weniger reich wahrnehmen als die Mitglieder einer anderen Gruppe oder wenn sie von diesen diskriminiert werden, deckt sich mit Forschungsergebnissen aus der Sozialpsychologie. Diese besagen, dass Gruppengrenzen nur dann überwunden werden können, wenn zwei Gruppen eine gemeinsame Basis finden. "Das ist für uns der nächste Schritt", sagt Anne Pisor. "Herauszufinden, wie gut Interaktionen mit Personen aus anderen Gruppen laufen müssen, um sich mit diesen anfreunden zu wollen." (SJ/HR)
1 Kommentar
Kommentare
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Also Zusammenarbeit mit Kirchenmitgliedern - Kritik nur an alten Strukturen (Amtskirche). Gleichzeitig ist es schwierig, Menschen für uns Humanisten/Konfessionsfreie zu gewinnen, wenn an den Kirchen kleben.