Ein Sammelband als Manifest einer jungen Linken in den USA

Die Zukunft, die wir wollen

Die Publizistin Sahra Leonard und Bhaskar Sunkara geben in dem Sammelband "Die Zukunft, die wir wollen. Radikale Ideen für eine neue Zeit" Autoren aus der jungen Linken der USA ein Forum, um Alternativen auf verschiedenen Feldern zur dort etablierten Regierungspolitik vorzustellen. Die häufig treffende Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten und die Entwicklung von anderen Perspektiven auf theoretischer Grundlage überzeugen, werden aber nicht mit Reflexionen über die existenten Potentiale und richtigen Schritte hin zu diesem Ziel verbunden.

"Das Absurdeste an der US-Präsidentschaftswahl 2016 ist die lächerlich geringe Bandbreite an Lösungsansätzen, die von den Spitzenkandidaten für Probleme von historischer Tragweite vorgeschlagen werden" (S. 6). Diese Feststellung formuliert Sahra Leonhard gleich zu Beginn des von ihr und Bhaskar Sunkara herausgegebenen Sammelbandes "Die Zukunft, die wir wollen. Radikale Ideen für eine neue Zeit". Die leitende Redakteurin des Magazins The Nation und der Chefredakteur der Zeitschrift Jacobin wollen darin jungen linken Autoren ein Forum für neue Perspektiven geben. Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass die einfache Bevölkerung immer weniger und die ökonomische Elite immer mehr Einfluss auf die Politik hat. Gleichwohl gebe es ein anwachsendes Protestpotential, das sich bei den jüngeren Amerikanern sogar in einem positiveren Bild vom Sozialismus als vom Kapitalismus niederschlage. Leonard bemerkt: "Der Sozialismus, den wir uns vorstellen ... legt größten Wert auf Demokratie und strebt grundsätzlich eine massenhafte Umverteilung an …" (S. 18).

Das Buch will die ersten Schritte dorthin skizzieren und liefert zwölf Erörterungen in Essayform zu den verschiedensten Politikfeldern. Los geht es mit Chris Maisanos Plädoyer für Arbeitszeitverkürzung und Vollbeschäftigung. Dem folgt Megan Ericksons Blick auf die Bildungspolitik, wo auch der Kontext von Chancengerechtigkeit und Gesellschaftsstruktur angesprochen wird: "Die Methoden und Inhalte in den Schulen lassen sich nicht verändern, solange die materiellen Ungleichheiten außerhalb der Schultore unangetastet bleiben" (S. 45). Jesse A. Myerson und Mychal Denzel Smith erinnern an die frühe Forderung von Martin Luther King, wonach die Gleichstellung der Schwarzen mit der Realisierung einer Vollbeschäftigungspolitik einher gehen müsse. Leonard kommentiert in ihrem Beitrag zur Geschlechterpolitik ein bekanntes Hillary Clinton-Zitat: "Es ist nicht feministisch, einen Riss in der Decke zu bejubeln, wenn davon nur eine Frau ... profitiert und unterdessen im Stockwerk tiefer den Frauen der Verputz auf den Kopf fällt" (S. 71).

Dem folgen Beiträge von Alyssa Battistoni zu den Chancen für "grüne Jobs" in der Wirtschaft und sowohl von Tony Smith wie von Llewellyn Hinkes-Jones zur Forschungspolitik. Nach der Dokumentation einer Podiumsdiskussion zu einer künftigen Strafjustiz erörtert Kate Redburn die Perspektiven nach der Durchsetzung der gleichgeschlechtlichen Ehe, und Tim Barker kritisiert den Fetisch vom Kleinunternehmer mit der Selbstverwirklichungsideologie. Seth Ackermann entwickelt dann noch Ansätze für einen rationalen Marktsozialismus, und Peter Frase und Bhaskar Sunkara skizzieren einige Grundzüge der angestrebten Veränderungen: Die Linke dürfe nicht nur für soziale Sicherungssysteme und gegen ausgeprägte Sparpolitik kämpfen, sondern solle fundamentalere Veränderungen für die Zukunft anstreben. Es gehe um eine Gesellschaft, "in der Technologien das Arbeitstempo erträglicher machen und nicht umgekehrt, in der radikale Demokratie in unserem Arbeits- und Privatleben Einzug hält …" (S. 201). Darin bestehe ein neuer demokratischer Sozialismus.

Der Band "Die Zukunft, die wir wollen" dokumentiert Stimmen aus den USA, die in überaus kapitalismuskritischer Art und Weise für grundlegende Veränderungen votieren. Bei den meisten Abhandlungen klafft indessen eine Lücke zwischen A der Beschreibung kritikwürdiger Gegebenheiten und B der Skizzierung einer besseren Zukunft. Doch wie kommt man von A nach B, und wo finden sich in der Gesellschaft die Potentiale für solche Schritte? Lediglich Ackerman macht mit dem Blick auf das Elite- und Endpunktedenken der Linken auf einige Ursachen für deren Versagen aufmerksam. Ansonsten fehlen Ausführungen zu den Trägern für eine solche Veränderung. Dass es solche gibt, hat der Erfolg von Bernie Sanders - der in dem Band merkwürdigerweise nur an einer einzigen Stelle erwähnt wird - bei den Vorwahlen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl gezeigt. Doch wie kann dieses Potential für weitere Schritte mobilisiert werden? Darauf geben die jungen Autoren aus einer zornigen Generation noch nicht einmal ansatzweise Antworten.

Sarah Leonhard/Bhaskar Sunkara (Hrsg.), Die Zukunft, die wir wollen. Radiale Ideen für eine neue Zeit, Berlin 2016 (Europa-Verlag), 207 S., 16,99 Euro