Vergangenen Samstag hat der Bund für Geistesfreiheit (bfg) München seinen 150. Geburtstag im "EineWeltHaus" mit einem bunten Programm und einem vegetarischen Buffet gefeiert. Leider durften coronabedingt nur 40 Gäste teilnehmen. Auf der Geburtstagsfeier sprachen verschiedene Referent*innen zu den Themen, die den bfg München derzeit umtreiben und für die er sich einsetzt. Durch die Veranstaltung führten die Vorsitzenden Assunta Tammelleo und Michael Wladarsch.
Wer sind die "Corona-Rebell*innen"?
Eine Frage, mit der sich die meisten in den letzten Monaten schon mal beschäftigt haben dürften, war: Wer sind eigentlich die sogenannten "Corona-Rebell*innen"? Was treibt diese Menschen an, auf "Querdenker*innen-Demos" zu gehen? Der Politologe Paul Kleiser hat sich damit auf dem Fest im "EineWeltHaus" auseinandergesetzt. Für ihn setzen sich die Corona-Rebell*innen aus ganz verschiedenen Gruppen zusammen, von denen viele säkularisierten Glaubensvorstellungen anhängen. Mit dabei: Verschwörungstheoretiker*innen, Antisemit*innen, Esoteriker*innen, Anhänger*innen von Rudolf Steiner, Neofaschist*innen und das gesamte rechtsextreme Lager.
Kleiser sieht bei den Corona-Rebell*innen insgesamt eine "Mischung aus Irrationalismus und rechten bis rechtsextremen Bestrebungen" und warnt "alle in Richtung Emanzipation arbeitende Menschen davor, sich ihnen anzuschließen" (Link zum Audiobeitrag). Der Politologe schloss seinen Vortrag mit den Worten des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner: "Je größer der Dachschaden, desto freier der Blick zum Himmel."
Von der Revolution 1848 bis heute – Geschichte des Bund für Geistesfreiheit München
Am 28. Oktober 1870 wurde die "Freireligiöse Gemeinde" in München offiziell gegründet. Die Wurzeln des Bundes für Geistesfreiheit München liegen aber noch weiter zurück, nämlich im Jahr 1844, wie Schriftführer Dietmar Freitsmiedl auf dem Fest erläuterte. Da schrieb der katholische Kaplan Johannes Ronge einen Offenen Brief an den Bischof von Trier, mit dem er gegen die Ausstellung des sogenannten "Heiligen Rocks" im Trierer Dom protestierte. Aber Ronge ging es nicht nur um Aberglauben, sondern auch um eine Kritik an den herrschenden Zuständen, "weil ich es von meinem religiösen Standpunkt aus als eine gottlose Anmaßung betrachte, wenn unsere Fürsten sich allein von 'Gottes Gnaden' nennen, uns aber ihre 'Untertanen', da wir doch alle freie Gottessöhne und Brüder sein sollen".
Aus dieser Auseinandersetzung um den "Heiligen Rock" gründeten sich in ganz Deutschland sogenannte "Deutschkatholische Gemeinden". Als Sakramente gab es nur Taufe und Abendmahl und die Priester wurden gewählt. Beichte, Reliquienverehrung, Fasten oder Wallfahrt lehnten sie ab. Damit hatten sich die Gemeinden von Rom losgesagt, und es kam zu tausenden von Kirchenaustritten.
Mit der Märzrevolution 1848 entstand auch in München eine Deutschkatholische Gemeinde. Und schon damals sei es in München nur noch wenig um "freie Religion" gegangen, sondern es sei, so heißt es in einer Stellungnahme des bayerischen Innenministers "ein crasser Materialismus gelehrt worden, es sei einer der Hauptgedanken, die Unsterblichkeit wegzudemonstrieren … und dass nicht nur ein Abstreiten des Christentums, sondern jeder Religion bereits im Anzuge, wenn nicht eine vollendete Tatasche sei … aber, dass bei solchen Einrichtungen (Stimmrecht und Wählbarkeit der Frauen in den Gemeinden) die Sitte nicht gefördert wird, ist wohl selbst klar".
Nach dem Scheitern der Revolution war die Gemeinde in München schnell politischer Verfolgung ausgesetzt, 1851 wurde allen Gemeinden in Bayern die Anerkennung als Religionsgemeinschaft entzogen, 1852 wurden sie verboten (Audiolink zur weiteren Geschichte, auch zur wenig ruhmreichen im Nationalsozialismus).
Tanzverbot, Charlie Hebdo, "Kreuzerlass" und Polizeiaufgabengesetz
Im Anschluss daran stellte Assunta Tammelleo, zweite Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München, vor, was ihn heute ausmacht und welche Ereignisse in den letzten Jahren besonders wichtig waren. So erklärte das Bundesverfassungsgericht am 7. Oktober 2016 das Verbot der "Münchner Heidenspaß-Party 2007" und die entsprechenden Bestimmungen des bayerischen Feiertagsgesetzes für nichtig. Damit folgte es einer Verfassungsbeschwerde des bfg München, der sich durch alle Instanzen geklagt hatte.
Jedes Jahr erinnert der bfg München am 7. Januar, den Jahrestag des Attentats auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, mit einer Gedenkveranstaltung an die Opfer. Mit der alle zwei Jahre stattfindenden Ausschreibung des Kunstpreises "Der Freche Mario" möchte der bfg München alle Künstler*innen ermutigen, sich mit den sogenannten ewig währenden religiösen Wahrheiten und Autoritäten zu befassen.
Aktuell klagen der bfg München und der bfg Bayern zusammen mit 25 Einzelpersonen gegen den "Kreuzerlass" der bayerischen Staatsregierung. Auch gegen die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) haben die beiden Organisationen Klage eingereicht.
Weg mit den Paragrafen 218 und 219 – Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch!
Aktuell wird in Polen gegen die Verschärfung des sowieso schon sehr restriktiven Abtreibungsrechts demonstriert. Aber auch gegen die Gesetzeslage in Deutschland gibt es seit langem Widerstand. Denn hierzulande ist der Abbruch der Schwangerschaft durch die Frau noch immer ein Tötungsverbrechen. Er bleibt für sie jedoch straflos, wenn sie zuvor beraten wurde, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstand oder wenn eine Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit besteht.
"Weg mit den Paragrafen 218 und 219 – Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch!" war der Titel des Vortrags von Juliane Beck vom Bayerischen Bündnis "#Weg mit § 218" auf der Feier des bfg München.
Sie forderte, dass "die frauen- und elternverachtende Realität der Paragrafen 218 und 219a StGB ein Ende findet. (...) Die Anzeigen der Abtreibungsgegner haben die Öffentlichkeit erst darauf aufmerksam gemacht, dass hier ein Misstand besteht. Unser Bayerisches Bündnis mit SPD- und Grünen-Politiker*innen und Organisationen wie pro familia zeigt, dass unsere Vorschläge in immer weiteren Kreisen bekannt werden", sagte Beck und wies zum Schluss auf ein Zitat von Rita Süßmuth aus dem Jahr 1992 hin: "Niemand wird das Kind gegen die Mutter retten können, deswegen geht es nur mit der Mutter" (Link zum Audio-Beitrag).
Internationale Frauenliga: "Demokratie und Sicherheit feministisch denken"
Eine Passage aus dem Grundsatzprogramm des Bundes für Geistesfreiheit München lautet: "Humanist*innen tragen dazu bei, die Vielfalt der menschlichen Lebensformen als Bereicherung zu erfahren. Deshalb wenden sie sich gegen jede Diskriminierung auf Grund von ethnischer Abstammung, Geschlechtszugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft sowie auf Grund religiös weltanschaulicher Bindungen oder homosexueller Orientierung. Diese Vielfalt und die Toleranz ist Ausdruck von Freiheit in einer Gesellschaft." Passend dazu sprachen Brigitte Obermayer und Heidi Meinzolt von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit im "EineWeltHaus" über "Demokratie und Sicherheit feministisch denken".
Dazu stellten sie die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zum Schutz von Frauen vor, in der es um die drei "P's" geht: Partizipation von Frauen bei Friedensprozessen, Prävention von Kriegen und Protektion vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Als erstes aber erläuterte Brigitte Obermayer, warum Bund für Geistesfreiheit und Internationale Frauenliga einiges miteinander verbindet (Link zum Audiobeitrag).
Friedensmacht Europäische Union?
Am Ende der Redebeiträge auf der 150-Jahr-Feier des Bundes für Geistesfreiheit München beschäftigte sich Thomas Rödl von der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinte Kriegsdienstgegner*innen mit dem Thema "Friedensmacht Europäische Union?" Das ist für den bfg München durchaus eine wichtige Frage. Heißt es doch im Grundsatzprogramm der Organisation: "Krieg, Produktion von Massenvernichtungsmitteln und Waffenhandel sind Ausdruck inhumaner und irrationaler Verhaltensweisen. Dauerhafter Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit sind dagegen zentrale Ziele des Humanismus."
Wie friedlich die EU wirlich ist, die ja im Vergleich zu den USA als Soft Power betrachtet wird, wollten wir von Thomas Rödl wissen, dem der Begriff "Friedensmacht EU" während der Vorbereitung des Vortrags immer fragwürdiger erschien. Sein Fazit: Ob die EU ein Militärblock oder ein Friedensblock wird, das hänge von uns beziehungsweise der Gesellschaft ab, die sich gegen Krieg und Aufrüstung sowie für zivile Konfliktbearbeitung einsetzen müsse (Link zum Audiobetrag).
Nach den Redebeiträgen bedankte sich Moderator und erster Vorsitzender Michael Wladarsch bei den Referent*innen und lud die Gäste zum vegetarischen Buffet, an dem – wie auch an der ganzen Veranstaltung – coronabedingt nur 40 Leute teilnehmen konnten.