Der Zentralrat der Konfessionsfreien ruft die Abgeordneten des Bundestages dazu auf, kein neues Gesetz zur Suizidhilfe zu erlassen, das die Selbstbestimmung am Lebensende einschränkt. Anlässlich der ersten Beratung am Freitag hat der Verband in "zehn Fragen und Antworten zur Suizidhilfe" dargelegt, dass keiner der drei vorliegenden Gesetzentwürfe in Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht.
Am morgigen Freitag komme mit der Suizidhilfe "ein schwieriges Thema auf Sie zu", heißt es in dem Anschreiben an die MdBs, "dem aber eine einfache Frage zugrunde liegt: Wer darf über den Tod eines Menschen entscheiden?" Im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht diese Frage bereits beantwortet: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben." Damit hat es die Kriminalisierung der Suizidhilfe für verfassungswidrig erklärt und jenen Rechtszustand wiederhergestellt, der vor der Einführung des Paragrafen 217 StGB für viele Jahrzehnte galt. Daher sei eine Neuregelung nicht nur schwierig, so der Zentralrat, sondern auch "unnötig, weil der Schutz des Lebens durch das Urteil und durch andere Strafgesetze bereits sichergestellt ist."
"Der Entwurf um Lars Castellucci ist höchst problematisch", sagt Philipp Möller, Vorsitzender des Zentralrats, "weil er das Urteil aus Karlsruhe regelrecht ignoriert." Der Gruppenantrag um den religionspolitischen Sprecher der SPD sieht vor, den für nichtig erklärten Paragrafen 217 wieder einzuführen, aber um Ausnahmen zu ergänzen. Diese Ausnahmen seien aber "so eng gezogen, dass auch der neue Entwurf die 'autonomiefeindliche Wirkung' des alten Paragraphen entfaltet", so Möller. Zudem sei aus der Orientierungsdebatte deutlich hervorgegangen, dass viele der Unterstützenden dieses Gesetzesvorhaben religiös begründen. "Der verfassungswidrige Paragraf 217 wurde damals maßgeblich von den Kirchen und ihren politischen Funktionären durchgedrückt", erinnert Möller. "Auch der Castellucci-Entwurf könnte daher sowohl gegen das Verfassungsgebot des weltanschaulich neutralen Staates verstoßen, als auch explizit gegen das Urteil aus Karlsruhe, nach dem sich der Wille des Grundrechtsträgers einer Bewertung anhand religiöser Gebote entzieht."
Der Gesetzentwurf um Katrin Helling-Plahr (FDP) sei in Teilen zu begrüßen, vor allem weil er nicht im Strafrecht angesiedelt ist. "Aber mit der Einführung von Pflichtberatungen werden Sterbewillige bevormundet, und gesetzliche Wartefristen können sie in den gewaltsamen Suizid treiben", so Möller. "Genau das muss aber verhindert werden!" Zudem schaffe die darin vorgesehene Ermächtigung des Bundesgesundheitsministeriums, "das Nähere zur Suizidhilfe" zu regeln, viel Unklarheit und erneute Gefahren der Einschränkung von Grundrechten.
Der Gruppenantrag um Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) komme "den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts am nächsten", heißt es in dem Schreiben, dennoch weiche auch er davon ab. "Das Urteil untersagt dem Gesetzgeber ausdrücklich die Bewertung der Motive für einen freiverantwortlichen Suizid", so Möller, "aber genau diese Bewertung sieht der Entwurf um Renate Künast vor."
"Sterbewillige zur Begründung oder Rechtfertigung zu zwingen, widerspricht dem liberalen Geist dieses bahnbrechenden Urteils", sagt die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats, Ulla Bonnekoh, die seit vielen Jahren mit der Suizidhilfe befasst ist. "Das Urteil ist ein echter Paradigmenwechsel: weg von der Gnade der Erlösung Schwerstkranker hin zum Grundrecht auf Autonomie für alle." Dies gehe aus dem Menschenbild des Grundgesetzes hervor, das auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung beruhe. "Eine Selbsttötung mag anderen unverständlich erscheinen, tragisch, vielleicht verachtenswert", so Bonnekoh, aber das sei für die Gesetzgebung unerheblich: "Die Straflosigkeit der Selbsttötung und der Hilfe dazu steht laut Urteil nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers."
Alle drei Entwürfe belegen, wie schwierig das Anliegen sei, ergänzt Möller. "Eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe ist unnötig und unklug." Die gemeinsame Pressekonferenz von vier Organisationen im Februar 2022 habe gezeigt, dass die Befürchtungen von Gegnern der Selbstbestimmung auch zwei Jahre nach dem Urteil nicht eingetreten sind. "Suizidhilfe-Organisationen erheben lediglich Kosten, die eine sichere 'letzte Hilfe' ermöglichen. Suizidhilfe wird damit weder banalisiert noch normalisiert", so Möller. In einem modernen Rechtsstaat sei die Prävention von Verzweiflungssuiziden ebenso wichtig wie die Aufklärung über das Grundrecht auf Selbstbestimmung am Lebensende. "Die Entscheidung über den eigenen Tod ist die letzte und wohl intimste Entscheidung eines Menschen – der Staat muss sich hier ganz dringend zurückhalten."
Erstveröffentlichung auf der Website des Zentralrats der Konfessionsfreien.