Der Ägyptologe Jan Assmann geht in seinem Buch "Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung" erneut dem Kontext von Gewalt und Monotheismus nach. Dabei beschränkt er sich auf eine kenntnisreiche Darstellung zur Entstehungsgeschichte, eine darüber hinausgehende Erörterung im strukturellen oder übergeschichtlichen Sinne findet man darin nicht.
Ist Gewalt als Handlungsoption im Monotheismus ideengeschichtlich und strukturell angelegt? Für eine solche Annahme spricht, dass der Glaube nur an einen Gott nicht für religiösen Pluralismus steht und ein damit einhergehender Absolutheitsanspruch auch in Gewalthandlungen umschlagen kann.
Den Kontext von Gewalt und Monotheismus hatte der Ägyptologe Jan Assmann, der lange als Professor in Heidelberg lehrte, 2004 in einer Vorlesung über Monotheismus und die Sprache der Gewalt thematisiert. Die Buchpublikation dazu löste eine Debatte aus, welche als Assmann-Kontroverse bekannt wurde. Mit dem Buch "Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung" legt er eine erneute Stellungnahme zum Thema vor. Darin verarbeitet der Autor in der Eigenwahrnehmung die Erfahrungen im Kontext der Forschung und den Kontroversen dazu. Dem beruflichen Hintergrund des Autors entsprechend richtet sich der Blick dabei auf die Alte Welt in Form von Ägypten und dem Judentum.
Assmann macht dabei gleich zu Beginn deutlich, dass die Sprache der Gewalt kein Spezifikum des Monotheismus sei und sie sich auch in den Texten polytheistischer Religionen finde. Die Sprache der Gewalt sei in den ägyptischen Texten indessen rituell und symbolisch. Das Problem müsse in einer anderen Fragestellung gesehen werden: Warum beschreiben die biblischen Texte die Gründung und Durchsetzung der monotheistischen Religion in so gewaltsamen Bildern? Haftet der monotheistischen Idee, der ausschließlichen Verehrung eines einzigen Gottes anstelle einer Götterwelt oder der Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Religion, einem wahren Gott und den falschen Göttern etwas Gewaltsames an? (S. 24). Auch angesichts der gegenwärtigen Weltlage müsse man die Frage nach einem Zusammenhang zwischen dem exklusiven Wahrheitsbegriff des Monotheismus und der Sprache der Gewalt in seinen heiligen Texten erörtern. Auch wenn die darin beschriebenen Ereignisse nicht historisch seien, stellten sich um so mehr solche Fragen.
Assmann geht dabei differenziert vor und unterscheidet zunächst einen Monotheismus des Eifers gegen Abtrünnige und Verräter und einen Monotheismus der Wahrheit mit der Verspottung falsche Götter. Hier findet man viele Ausführungen aus der ersten Publikation zum Thema. Danach behandelt der Autor den Widerstand der alten Religion gegen die neue Religion bzw. auch der neuen Religion gegen die alte Religion, habe der Erfolg des Monotheismus doch zu einem grundlegenden historischen Schnitt beigetragen. Diese Ausführungen übernahm Assmann übrigens weitgehend aus seinem Buch Exodus. Die Revolution der alten Welt (2015). Und schließlich geht es um die totale Religion und den religiösen Ernstfall, wobei es sich um Erörterungen im Lichte von Carl Schmitts Lehre vom Ernstfall handelt. Besondere Aufmerksamkeit findet die Deutung der Gewalt als Gottesdienst und Schrifterfüllung. Dabei schlage die Dialektik von Assoziation und Dissoziation in die Freund-Feind-Unterscheidung und damit in ein totalisierendes Prinzip um.
Für Assmann ist das Buch eine Art aktuelle Bestandsaufnahme seiner eigenen Positionierung. Die Kenner der Kontroverse werden demnach nicht unbedingt mit Neuerungen überrascht. Allenfalls kann dies für die Ernstfall-Deutung im letzten Teil gelten. Eine darüber hinaus gehende Einschätzung ist von der jeweiligen Erwartungshaltung abhängig: Assmann schreibt als Ägyptologe, d. h. er bezieht sich auf jene Entwicklungsphase des Übergangs hin zum Monotheismus. Dabei erweist er sich erneut als ausgezeichneter Kenner und differenzierter Interpret, der auch all zu eindimensionale Deutungen vermeidet. Eine darüber hinausgehende historische oder strukturelle Einschätzung nimmt Assmann nicht vor. Dies war wohl auch nicht sein Anliegen, wenngleich der Buchtitel etwas anderes suggeriert. Nur an wenigen Stellen spielt der Autor auf die diesbezüglichen Probleme der Gegenwart an. Doch darauf geht er letztendlich gar nicht ein. Die Frage, warum die Sprache der Gewalt in Taten umschlagen kann, wird nur für einen besonderen historischen Kontext beantwortet.
Jan Assmann, Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung, Wien 2016 (Picus-Verlag), 184 S., ISBN: 978-3-7117-2045-0, 20,00 Euro
3 Kommentare
Kommentare
Klarsicht am Permanenter Link
Als Ergänzung des obigen Artikels verweise ich auf den Inhalt des folgenden Links.
„Eine neue Form der Gewalt“:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-49976964.html
Gruß von
Klarsicht
pavlovic am Permanenter Link
Wer sich für einen schnellen Einstieg in die Thematik der Monotheismskritik interessiert, ich habe mal dazu eine Linksammlung zusammengestellt: https://monotheismus.wordpress.com/2015/01/10/linksammlung-zum-thema-mono
Martin Weidner am Permanenter Link
>>Die Kenner der Kontroverse werden demnach nicht unbedingt mit Neuerungen überrascht. << Schade, denn es gab einige fundierte inhaltliche Anfragen.