Gedanken zur intellektuellen Unredlichkeit von Rosinenpickern

Ist Glaube ohne Kreationismus ehrlich?

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DEIDESHEIM. (hpd) Weite Teile des Christentums geben sich modern und behaupten, sich vom Kreationismus distanziert zu haben, erklären die Bibel für "naturwissenschaftlich unbedeutend". Doch ist dies aufrichtig? Ist die Bibeltreue z.B. der Zeugen Jehovas nicht ehrlicher? Weil sie die "heilige" Schrift als das sehen, als was sie einst geschrieben wurde und seither publiziert wird: als das Wort Gottes! Unser Autor Bernd Kammermeier versucht mit folgenden Gedanken auf einen unvermeidlichen Wandel hinzuweisen, dessen Konsequenzen sich Gläubige wohl als Letzte bewusst werden.

Kreationisten (Tierarten und Mensch ohne Evolution erschaffen), Junge-Erde-Kreationisten (die Erde ist außerdem nur 6.000 bis 10.000 Jahre alt) und ihre weniger konsequenten Kollegen vom "Intelligent Design" (ID) werden von vielen politisch korrekten Theologen westlicher Industriestaaten als Sonderlinge belächelt. Doch kann es eine aufrichtige theologische – also einem Gott zugewandte – Position jenseits kreationistischer Ideen geben? Kreationisten gehen – wie der Name schon verrät - von einem Schöpfer aus, der am Anfang aller Dinge stand. Dieser habe alles erschaffen oder wenigstens initiiert (ID), um seinen göttlichen Plan zu entfalten. Sehr häufig ist diese Vorstellung neben den Zeugen Jehovas bei evangelikalen Christen und orthodoxen Splittersekten anzutreffen – aber auch bei einzelnen Vertretern der großen Kirchen. Der Grund, warum sie dies glauben, ist monokausal: Es steht so in der Bibel!

Der Kirchenlehrer Augustinus (*354 - Δ430 n.u.Z.) meinte zwar "Irren ist menschlich, aber aus Leidenschaft im Irrtum zu verharren ist teuflisch"; ein Geistesblitz, der das in den Kinderschuhen steckende Christentum ehrlicherweise gleich nach dem Konzil von Konstantinopel (381 n.u.Z.) hätte beenden müssen. Leider erwies sich sein Motto: "crede, ut intelligas" ("glaube, damit du erkennst" bzw. "ich glaube, um zu erkennen") als nachhaltiger und wirkmächtiger. Über 1.000 Jahre später propagierte Martin Luther noch immer vollmundig sein "sola scriptura" ("Nur die [Heilige] Schrift").

So wurde in diesen 1.000 Jahren nicht nur jegliche Kritik an der Bibel im Keim erstickt, sondern sie wurde zur einzigen Quelle jeglicher Erkenntnis schlechthin erklärt. Moderne Wissenschaft, die sich mit Beginn der Aufklärung mühsam aus dem theologischen Einheitsbrei und ihrer inquisitorischen Umklammerung befreien konnte, liefert jedoch keinerlei Rechtfertigung für dieses Dogma. Auch die heutige Distanzierung von der Inspirations-Lehre (der die Abkehr vom Kreationismus folgte) führt streng genommen nur zu einem unredlichen Spagat zwischen Glauben und Wirklichkeit.

Es schiene mir indes redlicher und eher nachvollziehbar, wenn alle Gläubige bereits dem ersten Satz der Bibel glaubten: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (1. Mose 1,1; Einheitsübersetzung) Da niemand außer Gott diesen Akt hätte beobachten können, muss der Text von Gott selbst stammen, von ihm übermittelt an Propheten, die diese Offenbarung wörtlich niederschrieben. Aber auch folgende Sätze: "Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen, …" (1. Mose 1,20), "Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, …" (1. Mose 1,24) und "Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, …" (1. Mose 1,26) können nur von Gott selbst stammen, denn kein Mensch hätte seine eigene Erzeugung beobachten und davon berichten können.

Dieser scheinbar in Stein gemeißelten Auffassung machte ausgerechnet ein Theologe aus Shrewsbury einen gewaltigen Strich durch die Rechnung: Charles Robert Darwin! Der eher an Naturkunde, als an Gott interessierte Darwin veröffentlichte 1859 mit "On the Origin of Species" einen Frontalangriff auf die Idee eines lebensschöpfenden, artenschaffenden Gottes. Die Grundlagen der Evolutionstheorie waren geschaffen – von einem Menschen, auch wenn dieser sich in der Tradition der "Physiko-Theologie" des 17. und 18. Jahrhunderts sah, die sich zwar naturkundlicher Erkenntnis öffnete, jedoch hinter der Schöpfung zumindest einen "Designer" vermutete. Der Naturforscher Alfred Russel Wallace (1823 – 1913) hat diese Forschung weitergetrieben, da er jegliche religiösen Dogmen ablehnte.

Seither hielt der unbeschreibliche Siegeszug der Evolutionstheorie an. Alle Funde in der Natur, alle Entdeckungen fossiler Pflanzen oder Knochen, alle weitere Forschung durch Biologie und Paläontologie bestätigte, untermauerte und erweiterte Darwins und Wallace’ Ausgangsthese: Die Tierarten haben sich aus Urformen durch Mutation und Selektion entwickelt, so auch der Mensch. Gott wäre als Schöpfer überflüssig – wenn Dogmen, wie noch von Martin Luther gepredigt, nicht derart tiefe Rillen in Gehirne Gläubiger fräsen könnten.

Trotzdem passte sich das Christentum nach über hundertjährigem erbittertem Kampf der klerikalen Führung gegen diese Blasphemie weitestgehend der neuen Erkenntnisse an. Es entstand aus Gründen gesellschaftlicher Akzeptanz eine wachsweiche Position, die Gott nach Art der Physiko-Theologie nicht aufgeben wollte, ihm aber auch nicht mehr die treibende Rolle hinter der Entstehung des Lebens zuwies.

Die Lösung für diese "nicht Fisch-nicht Fleisch"-Position war die Erfindung der "Mikroevolution", die man zulassen konnte, ohne "Gott" zu verraten. D.h. es gab wohl Variationen innerhalb von Arten, doch die "Makroevolution" – d.h. die Entstehung der einzelnen Spezies durch Mutation aus einem einzigen gemeinsamen Vorfahren (genannt L.U.C.A. = "Last Universal Common Ancestor") – wurde strikt abgelehnt. Der anthroposophische Kreationismus eines Rudolf Steiners, der an den von ihm gegründeten Walldorf-Schulen gelehrt wird, versucht auf eine ähnlich esoterische Weise die Realität mit religiösen Fantasievorstellungen zu verbinden.

Nicht genug damit: Auch Astrophysiker setzten dem Schöpfer des Universums unerbittlich zu. Ihre modernen kosmologischen Theorien vom Urknall, möglicherweise als Folge der Instabilität des "Nichts", vertrieben Gott auch hier von seinem seit 2.600 Jahren (seit der Monotheismus in Babylon festgeschrieben wurde) besetzten Platz als Initiator aller Existenz. Bis dahin war für Gläubige kein Widerspruch zwischen Bibel und Wirklichkeit erkennbar. Ganz einfach, weil die empirische Erforschung der Welt von klerikalen Kräften blockiert wurde, die aufgrund interner Informationen den Widerspruch mehr und mehr ahnten. Der Selbsterhaltungstrieb des Klerus führte zur erfolgreichen Verdrängung dieses unliebsamen Fortschritts. Jeder sah weg, weil es gesünder war, den Widerspruch zu übersehen. Nicht nur Giordano Brunos Verbrennung im Rom des Jahres 1600 schreckte allzu fortschrittliche Geister ab, ihre Erkenntnisse zu publizieren. Und das Volk? "Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm,- ich halt sie arm!" Treffender als in diesem Reinhard Mey-Lied hätte man die fatale Wechselwirkung zwischen Politik und Religion zu allen Zeiten nicht ausdrücken können.

Selbst 1995 schrieb noch einer der "führenden Wissenschaftsautoren diesseits und jenseits des Atlantiks" (New York Times), Paul Davies, in seinem Buch "Der Plan Gottes" (Frankfurt am Main und Leipzig): "Die Spezies Homo zählt vielleicht nicht, aber die Existenz von Geist und Verstand in einem Lebewesen auf einem Planeten im Weltall ist sicherlich eine höchst bedeutungsvolle Tatsache. Durch bewusste Wesen wurde im Universum Bewusstsein erzeugt. Dies kann keine triviale Einzelheit sein, kein unwichtiges Nebenprodukt sinnloser, zielloser Kräfte. Wir sind dazu da, hier zu sein." (S. 280)

Also doch alles für uns? Damit "Gott" seine Liebe beweisen kann, wie weiter unten von einem Theologen behauptet wird? Einen mindestens 90 Mrd. Lichtjahre durchmessenden Raum, gefüllt mit ca. 100 Mrd. Galaxien mit wenigstens 70 Trillionen Sternen und für all das ca. 13,8 Mrd. Jahre Zeit… Das alles nur, um nur auf einem einzigen lächerlichen Staubkörnchen am Rande einer unbedeutenden Galaxis für einen in kosmischen Maßstäben extrem begrenzten Zeitraum eine unvollkommene Lebensform zu kreieren? Wesen, die sich seit einem Wimpernschlag ihrer selbst bewusst sind, die auf dem Boden eines dünnen Luftozeans leben und mit ihrer begrenzten Lebenszeit kaum je genügend Wissen werden anhäufen oder verstehen können, um die Rätsel ihres "Hierseins" zu klären? Rätsel, die einfachen Gemütern in der Bronzezeit suggerierten, es gäbe einen Sinn in alledem?

Spätestens, als im 19. Jh. die religiöse Position des Menschen als "Krone der Schöpfung" nicht mehr haltbar war, explodierte regelrecht die Vielfalt persönlicher Glaubensüberzeugungen – reformerische Theologen auf der einen und stockkonservative auf der anderen Seite. Der innere Kampf gerade der reformerischen Theologen ist leicht nachvollziehbar: Studiert wurde noch die Genesis, woraus sich das Selbstverständnis des Menschen als "Geschöpf" und das Verständnis aller Tiere als minderwertige "Kreatur" ergab. Selbst dunkelhäutige Sklaven waren als Abkömmlinge Hams (des bösen Sohns Noachs) gerechtfertigt. Sie hätten sich halt einen geeigneteren Vorfahren aussuchen sollen.

Nun sollte das alles nicht mehr so sein? Nur weil Paläontologen ein paar versteinerte Knochen gefunden haben? Starker Tobak! Ein Affront gegen theologische Grundüberzeugungen; ähnlich unverrückbare, wie Befruchtung durch den "heiligen Geist", Jungfrauengeburt, Sühneopfer, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Die Wissenschaft nagte also am Sinn aller Buchreligionen, aller Monotheismen; nagte nach und nach das mythologische Fleisch ab, legte die hässlichen Knochen uralten Irrtums frei, die man in ihrer Nacktheit niemandem mehr präsentieren konnte – ein Irrtum, der laut Augustinus (siehe sein Zitat oben) das Christentum als "teuflisch" entlarvt hätte. Daher die konservativen Gegenströmungen, die zumindest den Schein wahren wollten.

Der evangelische Theologe Helmut Thielicke verfasste 1960 das Buch "Wie die Welt begann – Der Mensch in der Urgeschichte der Bibel" (Stuttgart). Er beschrieb darin das Risiko für "Gott", den Menschen geschaffen zu haben. "Geht es bei den Menschen um die Krönung der Schöpfung oder geht es um ihre Kreuzigung? Erreicht die Schöpfung ihren Gipfel, wenn ihren Kreaturen jetzt ein Wesen zugestellt wird, das sich über die Dumpfheit des Unbewussten erhebt, das wissend und wissensbegabt, das als Partner und Mitarbeiter Gottes unter seinem Schöpfer leben darf – oder ist mit der Erschaffung dieses Wesens ‘Mensch’ die erste Stufe in einem unerhörten Gefälle betreten -, in einem Gefälle, das aus dem Garten Eden zu einer verwüsteten und beunruhigten Erde führt, das aus dem Kind und Ebenbild Gottes einen Räuber und Rebellen werden und durch ihn Krieg und Kriegsgeschrei auf die fernen Planeten tragen lässt?" (S. 32)

Doch warum geht "Gott" dieses Risiko ein? Man bedenke, dass die Erschaffung des Universums, der Erde und des pflanzlichen und tierischen Lebens nur dem Zweck dienen sollte, dem Ebenbild "Gottes" Raum (Universum), Zeit (Sonne und Mond), Lebensraum (Erde) und Nahrung (Pflanzen und Tiere) zu geben. Folglich hätte "Gott" nach Thielicke das Universum für ein unkalkulierbares Risiko namens "Mensch" erschaffen. Doch warum? Der Theologe versuchte eine Antwort, als kenne er die Gedanken "Gottes": "In diesem Wagnis Gottes, durch das er sich an den Menschen bindet und sich der Möglichkeit aussetzt, von ihm geschmäht, missachtet, verleugnet, übersehen zu werden, in diesem Wagnis blitzt zum ersten Male seine Liebe auf." (S. 33) Das also ist es, dafür – so Thielicke weiter – musste Jesus als Vollender dieses Weges sterben: "Gott" baute das gesamte Universum, um sich selbst (wem sonst?) zu beweisen, dass er zur Liebe fähig ist. Dafür hat er den Menschen erschaffen, den er, sofern er "Gottes" Liebe nicht erwidert, genüsslich vernichtet oder vernichten lässt. Sogar am Ende seinen eigenen Sohn! Narzisstischer hätte eine Figur nicht konstruiert werden können.

Das ist der völlig vom Bibeltext abweichende Notausgang, den sich dieser Theologe im Einklang mit vielen anderen seiner Zunft zurechtgezimmert hat, um mit der Brüchigkeit in der Genesis keinen Schiffbruch erleiden zu müssen. Denn diese muss ihm aufgefallen sein: "Ich glaube nicht, dass es nur Einbildung ist, wenn ich meine: An dieser Stelle der Schöpfungsgeschichte, wo das Thema ‘Mensch’ zum ersten Mal auftaucht, gibt es so etwas wie eine Stockung im Fluss der Erzählung." (S. 32) Was er entdeckte, ist die Tatsache, dass die Erschaffung des Menschen (sowie die gesamte Schöpfung) in der Genesis zweimal berichtet wird. Erst Mann und Frau als gleichwertig. Doch 13 Verse später wird der Mann (Adam) erneut (?) geschaffen, dem Eva aus der Rippe geschnitzt wird.

Das ist jedoch keine "Stockung", sondern dem Faktum geschuldet, dass die gesamte Bibel aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammengeschustert wurde. Die Kompilierer des Tanach in Babylon hatten keine Ahnung, welche Texte "authentisch" waren und welche nicht. Deshalb haben sie alles zusammengeschoben, nach dem Motto: Es wird schon was Richtiges dabei gewesen sein. Damals kannte niemand einen Schlüssel zur "Wahrheit" – heute kennt man ihn noch viel weniger. Deshalb schwurbeln Theologen heute ohne rechten Plan in der Gegend herum, versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten ist, wollen den toten Gaul "Bibel" noch immer reiten, weil doch früher alle so schön daran geglaubt hatten. Doch seit die Wissenschaft uns die Welt erklärt und nicht mehr die Hirten aus dem vorderen Orient, ist es mit der der Bibel angeblich innewohnenden Wahrhaftigkeit vorbei.

So schrieb z.B. der Professor für Zoologie Joachim Illies 1972 in seinem Buch "Die Sache mit dem Apfel" (Freiburg im Breisgau): "Für viele der Bibel fernstehende Zeitgenossen werden diese alten Geschichten zusammen mit den Sagen und den Märchen nur noch den Wert von Kindheitserinnerungen haben: ja, das glaubte man einmal, als Märchen noch Wirklichkeit waren. Aber heute, in wehmütigem Rückblick auf jene Zeiten, belächelt man solche Erzählungen, die doch so wenig in unsere nüchterne, wissenschaftlich-technische Welt passen und die schließlich nur noch als Quelle für allegorische Vergleiche, für Festredner und Witzblattzeichner weiterleben." Man spürt förmlich die Wehmut des Autors, der damals auch Vorstandsmitglied der Paulus-Gesellschaft war, in der sich christliche Theologen und Naturwissenschaftler begegnen. Joachim Illies drückt in seinen Büchern bemerkenswerterweise genau jene Problematik aus Sicht der Religion aus, dass nämlich Wissenschaft deren Allerheiligstes in den Bereich von Kindermärchen verbannte. Tiefer hätte ein kultureller Fall nicht enden können.

So beschwert er sich in "Adams Handwerk" (Hamburg 1967) bitterlich: "Wir leben in einer Zeit, die wie nie eine Epoche vor ihr wissenschaftsgläubig ist. Mediziner und Naturforscher halten die Fäden des Schicksals für das Leben des Einzelnen und für die Existenz der ganzen Menschheit in ihren Händen, und so ist es nur folgerichtig, daß sie das Sozialprestige genießen, welches in klassischer Zeit den Priestern und Königen gezollt wurde. […] Doch mischen sich in die berechtigte Bewunderung, die unsere Zeit den Erfolgen der Wissenschaft und Technik entgegenbringt, auch schrille Töne, die an die Anbetung eines Götzen erinnern. Und dem aufmerksamen Beobachter wird die uneingeschränkte Vorherrschaft, zu welcher der sogenannte Siegeszug der Wissenschaft geführt hat, zum Abbild jenes biblischen Tanzes um das Goldene Kalb, das – dort wie hier – einer entgötterten Welt ein neues, lebenswertes Zentrum zu geben sich unterfängt." (S. 31f.) Es geht also bis heute für weite Teile des Klerus nicht um ein Miteinander von Wissenschaft und Religion, sondern um die Verteufelung neuer Erkenntnis, da sie gottlos sei. Daher der verständliche und fast rührige Versuch tiefgläubiger Menschen, zu retten, was zu retten ist.

Seit diese Verwerfungen die religiöse Welt aufgerüttelt haben, entstanden viele Spielarten und Abstufungen des Glaubens; aufgesplittert in viele Sekten, die alle nur noch ein Nenner verbindet: Sie glauben an den Gott Abrahams, dessen Stimme Hirten der vorderasiatischen Bronzezeit glaubten vernommen zu haben. Bezüglich der Einwirkungen dieses Gottes auf die Entstehung des Universums und des Lebens auf der Erde gibt es jedoch mittlerweile innerreligiös fast so viele Überzeugungen wie Gläubige. In Europa überwiegen dabei die, die angeblich vom Kreationismus abgeschworen haben. In den USA indes gibt es deutlich mehr beinharte Kreationisten, wie z.B. Kenneth Ham in Kentucky im amerikanischen "Bible-Belt" zeigt. In seinem "Creation Museum" will er seinen unbedarften Besuchern mit einem Riesenaufwand den Junge-Erde-Kreationismus nahebringen. Der "Bible-Belt" scheint hier besonders eng um das Gehirn gezogen zu sein.

Doch ist die Negierung oder zumindest Relativierung der Schöpfungslehre durch moderate Christen überhaupt redlich? Darf man sich bestimmte Rosinen aus der „heiligen" Schrift herauspicken, nur weil man andere als mittlerweile verdorben ansieht? Oder inzwischen als schon immer verdorben anerkennt? Falls die Bibel wirklich das Wort Gottes sein sollte – und nur so macht sie als sakrosanktes kanonisiertes Buch einen Sinn – dann ist sie in ihrer Gänze das Wort Gottes; so, wie es die Zeugen Jehovas - und Muslime für ihren Koran - bis heute unverbrüchlich glauben. Aber dann müssten alle, die an Gott und sein Wort glauben, Kreationisten sein. Oder wie wäre es mit dem Selbstverständnis einiger nichtkreationistischer Rosinenpicker zu vereinbaren, wenn deren Vertreter zwar an Gott und sein offenbartes Wort glauben, gleichzeitig aber davon ausgehen, dass ausgerechnet die Bibel mit einer Lüge beginnt?

"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (1. Mose 1,1) "Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen, …" (1. Mose 1,20) "Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, …" (1. Mose 1,24) "Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, …" (1. Mose 1,26) Antwort 1: Die Genesis ist beinhart erstunken und erlogen. Von Gott erlogen! Antwort 2: Alles wurde von Menschen missverstanden oder instrumentalisiert erfunden.

Nach Antwort 1 beinhaltet die Bibel immerhin auch Lügen von Gott. Bei der zweiten Antwort enthält sie zumindest falsch verstandene Passagen. Wer also die Urknalltheorie und die Evolutionstheorie als bessere Erkenntnisse akzeptiert – wie dies in der westlichen Theologie modern ist – der hat ein unlösbares Problem, wenn er weiterhin an Gott (egal ob als Schöpfer oder nicht) glauben will: Wie kann festgestellt werden, welche Passagen Lügen oder Missverständnisse sind und welche Passagen Wahrheiten beinhalten? Die Frage, ob die Bibel überhaupt auf Wahrheit basierende Passagen enthält, kann getrost vernachlässigt werden, da es keinen erkennbaren oder verifizierten Schlüssel gibt, nach dem ein Theologe heute die Spreu vom Weizen trennen oder die guten Rosinen aus dem Haufen verdorbener Rosinen herauspicken könnte. Also ist ein Gläubiger, der der modernen Wissenschaft in puncto Kosmologie und Lebensentstehung eher glaubt, als Gottes Wort, auf dem schnurgeraden Weg in den Atheismus.

Doch genau das wollen diese Gläubigen nicht wahrhaben. Sie transzendieren ihren Gott immer mehr, verbannen ihn aus Raum und Zeit, um ihm eine Nische im Nichts zu erhalten; eine Nische, die sie selbst erst erschaffen haben – oder die ihnen die Wissenschaft (noch) lässt. Ich halte dies für unredlich. Das Buch eines Gottes, der auch nur in Teilen gelogen hätte oder den seine Propheten auch nur in Teilen falsch verstanden hätten, kann keine verlässliche Quelle darstellen. Zumal es die einzige ist, die existiert. Selbst der Koran, in dem dieser identische Gott seine Offenbarung erneuert und mit dem Siegel der Propheten offiziell abgeschlossen hat, basiert auf dem jüdischen Tanach (Altes Testament) und in Teilen auch auf dem Neuen Testament, ohne jedoch die Gottessohnschaft Jesu zu akzeptieren. Auch darin finden sich viele der alten Irrtümer wieder, deren Korrektur im Islam jedoch weit schwerer fällt, als im älteren Christentum.

Für mich bleibt festzuhalten, dass redliche Gläubige, die weiterhin fest an Gott und sein Wort glauben wollen, zugeben müssten, Kreationisten zu sein. Jede andere Behauptung entspringt theologischer Wortakrobatik, die eine scheinbare Modernisierung des Christentums suggerieren soll. Nur Kreationisten können behaupten, in der Bibel stünde das Wort dessen, der als einziger wisse, wie alles entstanden sei – und nur Kreationisten können in Predigten vom Menschen als „Geschöpf Gottes" sprechen oder das katholische Glaubensbekenntnis ernstnehmen: "Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, …". Wachsweiche "Modernisierungen", um eventuell keine staatliche Alimentierung zu gefährden - da eine offen zutage tretende kreationistische Haltung auch bei Politikern durchaus kritisch gesehen werden mag – sind im Kern, wie ich hoffentlich nachvollziehbar dargelegt habe, unerträglich.

Da lob ich mir die Zeugen Jehovas, die exakt so verfahren. Sie werden ihren Weltuntergang sicher irgendwann erleben. Den Untergang nicht der realen Welt, sondern ihrer irrationalen religiösen Welt. Sollen sie froh sein: Sie müssen dann nicht auf Erlösung durch ihren unberechenbaren Gott hoffen, sondern können am Tag Eins nach ihrem Weltuntergang in einer Welt erwachen, in der es eine überwältigende Natur gibt, die es aus sich heraus geschafft hat, uns einen Ort zu evolvieren, über den wir staunen dürfen und der uns zum Nachdenken anregt. Ein Ort, den wir erforschen und in bescheidenem Maße verstehen dürfen, der Sehnsüchte befriedigt und neue erzeugt.

Nichts davon wurde für uns geschaffen, auf keinen Fall nach einem bewussten Plan. Wir sind nur die Begleiter einer kleinen Etappe in einem kleinen Winkel des Universums. Das mag vielen als sehr wenig und in kosmischen Dimensionen gesehen sogar als unbedeutend erscheinen. Aber es ist – wie die Religionen zeigen – mehr, als ein einzelner Mensch verstehen kann. Also eine lohnende, eine wunderbare Aufgabe bis zum Ende unserer Tage!