Mitgliedschaft out – Zugehörigkeit in

Gott* mit Genderstern gegen weiteren Zulauf bei Konfessionsfreien? (Teil 2)

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Bezieht sich das Massenphänomen zunehmender Distanzierung auf den Kern christlichen Glaubens oder auf die Institution Kirche? Was sind eigentlich die Konfessionsfreien – nunmehr gottlos humanistisch, spirituell, besonders fromm, radikal atheistisch oder agnostisch sich zwischen den Stühlen befindend?

Auf der Homepage des (in Thüringen zunächst zum Schriftsetzer ausgebildeten) Kulturwissenschaftlers und SPD-Politikers Wolfgang Thierse (79) ist zu lesen, wie er der Ängstlichkeit vor einem Mitgliederschwund beherzt entgegentritt: Die Kirche sei "nicht nur die Hierarchie, sie ist vor allem das wandernde Volk Gottes. Ihr Überleben heute hängt von den Gemeinden ab, die nämlich müssen die Kirche retten, da allzu viele Kleriker eher zerstörerisch wirken … Die Institution muss Buße tun, Schuld eingestehen …."

Gegen Sexualisierung Gottes – wer stellt sich ihn als Mann vor? 

Thierse verwehrt sich vehement dagegen, mit Gendern im Namen Jesu oder gar mit einem Gendersternchen beim Namen Gott* in allen religiösen Texten dem Zeitgeist zu huldigen, wie dies etwa die Pfarrerin Corinna Zisselsberger in Berlin-Mitte meint vertreten zu müssen und aus theologischer Überzeugung durchgängig praktiziert: "Schrecklich. Das widerstrebt mir als Germanist. Es ist eine ideologische Überzeugung. Ich halte das für eine Sexualisierung Gottes. Ich habe mir nie vorgestellt, Gott sei ein Mann."

Von der DDR-Erfahrung geprägt, dass sich dort eine vermeintlich schwache Kirche 1989 als stark erwiesen und eine friedliche Revolution mitbewirkt hat, erklärt Thierse: "Ich habe eine mildere Einstellung zur Kirche, weil ich sie gar nicht anders kenne als eine kritisierte, beschimpfte, verteufelte Institution, die man gefälligst zu verlassen hat, wenn man ein intelligenter Mensch ist." So sei es von Kindesbeinen an gewesen, er hätte immer schon seine Kirchenzugehörigkeit "gegen dumpfe oder feinere Angriffe zu verteidigen" gehabt.

Die Leute, sagt er, würden ihn fälschlicherweise für einen Pastor aus dem Osten halten. Wenn er aufkläre, aber nein, er sei zudem katholisch, würden die meisten klischeehaft denken: fremd, gestrig, vorgestrig, Inquisition … und an den alten Lehrsatz, dass es außerhalb der katholischen Kirche kein Heil gebe. Das habe auch "natürlich mit den Missbrauchsskandalen zu tun und mit der Unfähigkeit der Kirchen, angemessen darauf zu reagieren." Aber, so Thierse, neben zunehmender Bescheidenheit "haben wir Toleranz gelernt".

Mitgliedschaft out – Werteskala für Zugehörigkeit und junge Follower

Nur sehr wenigen authentischen "Kirchenverteidiger*innen" scheint es zu gelingen, für den christlichen Glauben vor allem mehr junge Menschen als Follower zu gewinnen. Am ehesten wohl dazu geeignet ist, in ihrer Werteskala christliche Barmherzigkeit und Wärme einerseits mit Selbstbestimmung und Zeitgeist andererseits in Einklang zu bringen. "Wenn wir auftauchen, bringen wir ein Stück Himmel mit", schwärmt Pfarrerin Zisselsberger über ihre Marienkirche: "Ich feiere christliche Abschiede für einsam Verstorbene. Wir hatten die erste Ausgabestelle von 'Laib und Seele', um Bedürftige zu speisen, wir versorgen jede Woche 300 Geflüchtete."

Beim Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), dem traditionell jeder Gottes- oder Jenseitsbezug fremd ist, scheint es nicht viel anders zuzugehen. Der Landesverband Berlin-Brandenburg (K.d.ö.R) setzt mit queer-human auch auf die LGBTTIQ*-Community. Er verwendete den Slogan "Es ist scheißegal, wen du liebst" als einen von mehreren für seine selbstbestimmungsorientierte Imagekampagne "EINE_R VON UNS WERDEN!" (mit dem obligatorischen "gender-gap"-Unterstrich). Auf der anderen Seite stellte er unlängst seinen Flyer "Tagestreff für Wohnungslose & Bedürftige" mit täglichen Öffnungszeiten vor, dessen Angebote von Essensausgabe über Arzttermine, Dusch- und Waschmaschinennutzung bis zur Kleiderkammer reichen.

Seine Humanistische Akademie hat sich unlängst auch auf einer wissenschaftlichen Tagung "Humanismus in – Mitgliedschaft out?" mit dem Thema befasst. Der HVD ist als Weltanschauungsverband vor allem auf dem Gebiet der Wertebildung im Schul-, Jugend- und Kita-Bereich, in der Lebensfeierkultur sowie im Sozial-, Beratungs-, Selbsthilfe- und Hospizsektor tätig. Von seinen Werten, praktischen Zielen sowie Lebens-, Trauer- und Krisenhilfen fühlen sich weit über die HVD-Mitglieder hinaus viele Zehntausende Menschen angesprochen. Sie nehmen entsprechende Betreuungs- und Unterstützungsangebote wahr, wirken als Ehrenamtliche tatkräftig mit oder fühlen sich dem Gemeinschaftsleben mit weltanschaulich Gleichgesinnten zugehörig. Dabei unterscheiden sich besonders die humanistischen Stellungnahmen zur Suizidhilfe oder zum Schwangerschaftsabbruch deutlich von denen der christlichen wie auch der sonstigen Religionen.

Wie atheistisch, spirituell oder streng religiös sind "die" Konfessionsfreien?

Der aktuelle Religionsmonitor für Deutschland der Bertelsmann-Stiftung kommt zu einem brisanten Ergebnis: Der Aussage, man könne auch ohne Kirche Christ sein (das heißt, es bräuchte diese Institution eigentlich kaum noch!), stimmen fast 90 Prozent ihrer Mitglieder (!) zu. Die Leiterin der Befragung Yasemin El-Menouar versucht den Trend zu erklären, dass die christlichen Kirchen weiterhin mit enormem Mitgliederschwund zu rechnen haben. Er sei durch mehrere Faktoren geprägt, etwa durch die "zunehmende Individualisierung, durch die traditionelle kirchliche Formen der Religiosität durch privatere Formen der Spiritualität ersetzt werden". Dies betrifft etwa von den Dogmen oder aber auch von der Verweltlichung der Kirchen abgestoßene Christ*innen, die es nun lieber mit Eintauchen in östliche Mystik versuchen. Außerdem gebe es "infolge von Einwanderung eine steigende religiöse Vielfältigkeit der Bevölkerung". Diese ist teils von strengen religiösen und patriarchalischen Glaubensvorschriften geprägt.

Innerhalb der christlichen Kirchen wiederum spiele die zunehmend kritische Sicht ihrer Mitglieder auf deren Praxis und Haltung eine große Rolle. Austrittswillige Katholik*innen geben – nicht weiter verwunderlich – als überwiegenden Grund an, das Vertrauen in die Reformfähigkeit dieser Institution verloren zu haben. Doch es kann umgekehrt auch zu Unzufriedenheit führen, wenn sich Pastor*innen oder Priester zu Pazifismus, Flüchtlings-, Gender-, Klima-, Glaubens- oder Familienfragen als vermeintlich zu links, undogmatisch, liberal oder zu universalistisch positionieren.

Der Zentralrat der Konfessionsfreien nimmt als Basis seiner säkularen Lobbyarbeit für diese von ihm vermeintlich zu vertretende Gruppierung eine hohe weltanschauungspolitische Übereinstimmung an. Inzwischen seien (zumindest formal) 42 Prozent der Bevölkerung Konfessionsfreie, wobei die Definition von führenden Zentralratsvertretern dazu lautet: Es zählen alle, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, welche eine Kirchen- oder Kultussteuer erhebt. In diesem Sinne wären etwa auch alle orthodoxen und freikirchlichen Christen sowie alle Muslime "konfessionsfrei". Der Bejahung des Rechts auf ein Leben ohne Bindung an eine kirchensteuererhebende Institution liegt jedenfalls keine ideell-geistige Gemeinsamkeit und erst recht keine humanistische Wertorientierung zugrunde.

Laut dem Religionsmonitor für Deutschland, der repräsentativ auf rund 5.000 Befragungen basiert, bekennen sich 38 Prozent der Bevölkerung dazu, sie hätten einen eher starken Gottesglauben, nur 25 Prozent sagen, sie hätten gar keinen. Eine Gruppe dazwischen, die sich nicht so recht entscheiden kann oder will, bezeichnet sich gern als Agnostiker. Bei den dezidiert "Ungläubigen" unter den Konfessionsfreien sind wiederum Atheisten von Religionslosen zu unterscheiden. Letztere haben oft seit mehreren Generationen "nichts mit Kirche am Hut", wie es in gängigen Beschreibungen heißt. Atheisten hätten sich demgegenüber vehement "gegen Gott" entschieden, weil sie den Glauben daran gut genug kennen gelernt hätten. So waren die bedeutendsten unter den deutschen Atheisten, Ludwig Feuerbach und Friedrich Nietzsche, beide Pfarrerssöhne.

Den ersten Teil des Textes lesen Sie hier.

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