Edward O. Wilsons Plädoyer

Die Hälfte des Planeten als Naturschutzgebiet

Der berühmte Biologe Edward O Wilson legt in seinem Buch "Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft um sein Leben" eine Problemskizze zum Aussterben der Arten vor und leitet daraus ein Plädoyer für die Hälfte des Planeten als Naturschutzgebiet ab. Das Alterswerk macht berechtigt auf Gefahren für die Biosphäre des Menschen aufmerksam, was allerdings ein wenig sprunghaft und unsystematisch geschieht.

Angesichts von Flüchtlingsentwicklung und Fremdenfeindlichkeit, Gewalteskalationen und Kriegen gilt gegenwärtig wohl als "Luxusproblem", wenn man sich mit Gefahren für die Natur und für den Planet beschäftigt. Gleichwohl bedarf es des kritischen Blickes auf die Entwicklung der Ökologie, denn diese ist letztendlich die Basis für die Existenz des Menschen. Dafür besteht aktuell aber nur ein eingeschränktes Bewusstsein, stehen doch die erwähnten politischen Probleme im Zentrum. Daran ändern will etwas Edward O. Wilson, der als berühmtester Biologe der Gegenwart gilt.

Seine Bücher über Biodiversität, Evolution, Tierverhalten und Umwelt haben ihn weltweit bekannt gemacht. Darüber hinaus gilt er als Begründer der Soziobiologie, was mitunter zu Fehlwahrnehmungen seiner Positionen führte. Der 1929 geborene Autor legt mit "Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft um sein Leben" ein Plädoyer der besonderen Art vor, denn er fordert darin schlicht: Die Hälfte der Erdoberfläche solle von den Menschen der Natur überlassen werden.

Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist eine Problemwahrnehmung: Demnach nimmt das Artensterben immer mehr zu. Dabei handelt es sich um die Folge von menschlichem Handelns und nicht von natürlichen Prozessen. Denn: "Jede Ausweitung menschlicher Aktivität senkt die Populationsgröße von immer mehr Arten, macht sie verwundbarer und steigert entsprechend die Aussterberate" (S. 62). Dabei ignoriere man, dass die Biosphäre von der Menschheit gebraucht werde.

Angesichts der Dimensionen der erwähnten Entwicklung wird auch eine "gefährliche Weltanschauung" (S. 81) von Wilson kritisiert. Gemeint ist die Ideologie des Anthropozäns: Deren Anhänger betrachteten die Artenvielfalt kurzschlüssig lediglich hinsichtlich des direkten Gebrauchswertes für die Menschheit, womit der Anspruch des Naturschutzes auf möglichst vollständige biologische Vielfalt aufgegeben werde. Durch das Buch hindurch zieht sich denn auch die Kritik an dieser Position, welche die Erde durch den Menschen einer ganzheitlichen Umgestaltung in der Zukunft aussetzen möchte.

Danach macht der Autor darauf aufmerksam, dass aktuell noch ein Grossteil der Biodiversität bei Arten wie bei Ökosystemen vorhanden sei. Gleichwohl bestehe Gefahr in höchstem Maße, aber auch die Möglichkeit zur Rettung. Daher sei großflächiges Engagement für internationalen Naturschutz notwendig. Ansätze dafür liefere die Existenz von Reservaten, die als "Best Places der Biosphäre" als nachahmenswerte Vorbilder präsentiert werden. Indessen bedürfe es einer viel größeren Ausweitung auf dem gesamten Planeten. Denn: "Der entscheidende Faktor für Leben und Tod einer Art ist die Größe des Lebensraums, der ihr zur Verfügung steht" (S. 199). Die Ausweitung soll die Hälfe der Erde ausmachen, womit man es mit dem hauptsächlichen Plädoyer von Wilson zu tun hat. Dies hätte auch Folgen für die ökonomische Produktionsweise: Die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks und die Wirksamkeit des Biodiversitätsschutzes wird "dadurch begünstigt, dass das extensive immer schneller einem intensiven Wirtschaftswachstum weicht" (S. 208).

Damit wird die Biologie als Ebene auf die Politik ausgeweitet. Gleichwohl findet man nur wenige derartige Passagen bei Wilson. Ganz seinem Fachgebiet verpflichtet, verweilt er bei einem allgemeinen Plädoyer nach der erwähnten Problemskizze. Das Buch ist ein Alterswerk, was man der formalen Struktur des Textes anmerkt. Es gibt häufiger Perspektivwechsel, Sprünge und Wiederholungen. Gelegentlich führt der Autor auch persönliche Eindrücke an, dann referiert er einschlägige Studien. Derartige Einwände sprechen aber nicht gegen die Richtigkeit seiner Sicht. Denn so natürlich das Aussterben von Arten im Laufe der Evolution war, so unnatürlich ist es durch die Eingriffe des Menschen durch sein Verhalten. Das absehbare Aussterben von Breitmaulnashörnern mag dabei nur ein Detail sein, aber die Entnaturierung hat auch Folgen für die Menschen. Es geht nicht um das Beschwören bloßer Naturromantik, sondern um Gefahren für den Planeten. Darauf in seinen Büchern aufmerksam gemacht zu haben, ist ein bleibendes Verdienst von Wilson.

Edward O. Wilson, Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft ums sein Leben, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 256 S., ISBN 978-3-406-69785-2, 22,95 Euro