Interviews mit Zeitzeugen

Der Journalist André Groenewoud stellt sich der Aufgabe, mittels Interviews besonderer Zeitzeugen, deren Schicksale mit dem Weltgeschehen verknüpft sind, Geschichte authentisch zu vermitteln. "André Groenewouds einfühlsame Gespräche ergeben in Summe ein sehr dichtes, zwar subjektives, aber zutiefst menschliches Bild des Erlebens im 20. Jahrhundert", urteilt der Historiker Guido Knopp im Vorwort des Buches.

André Groenewoud hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche Interviews mit Ministerpräsidenten, Bundeskanzlern, Bundespräsidenten, Premierministern, Staatschefs, Königen und Kaisern geführt. Sein neues Buch widmet sich, gegliedert nach Jahrzehnten, Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, wobei, abgesehen von Helmut Schmidt, Hans–Dietrich Genscher, Farah Diba-Pahlavi, Lech Walesa und Imelda Marcos, überwiegend Persönlichkeiten mit Biografien abseits der Politik, oder nur indirekt mit Politik verbunden, zu Wort kommen. So zum Beispiel Franz Künstler, der letzte überlebende Veteran des ersten Weltkrieges, Millvina Dean, die letzte Titanic-Überlebende, Brunhilde Pomsel, Goebbels-Sekretärin, Siegfried Lessey, ein Stalingrad-Überlebender, Tavi Nussbaum, der durch sein Foto mit erhobenen Händen vor SS Männern berühmt gewordene Warschauer Getto-Junge, gegenübergestellt Adolf Czech, dem durch ein Foto mit Hitler, der ihm die Wange tätschelt, bekannt gewordenen Hitlerjungen.

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Ted van Kirk, der Navigator des Flugzeuges, das die Atombombe auf Hiroshima geworfen hat, berichtet ebenso über sein Leben und Erinnern wie Francoise Gilot, die Lebensgefährtin Picassos von ihrer Zeit mit dem Ausnahmekünstler. Der Auschwitz-Befreier Anatoly Shapiro und Jürgen Vietor, der Co-Pilot der Landshut, wie auch Bruce Reynolds, der Boss der Posträuberbande in England, sowie die Verpackungskünstler Christo und Jeanne-Claude erlauben Einblicke in ihr Denken. Insgesamt kommen 19 Persönlichkeiten zu Wort, jede repräsentiert ein besonderes Schicksal oder Ereignis, oder eine besondere Epoche des vergangenen Jahrhunderts. Gescheiterte Interviewbemühungen mit Brigitte Bardot, Ingvar Kamprad (IKEA) und Doris Day ergänzen – "shit happens" – die Ausführungen.

Leser erwarten von Interviews, auf möglichst unterhaltsame Art nicht nur Wissen und Meinungen, sondern auch die Denkweisen der befragten Personen authentisch vermittelt zu erhalten. André Groenewoud versteht es hervorragend, klug und einfühlsam zu fragen und damit auch ehrliche, meist bewegende Antworten und Einblicke zu bekommen. Das Buch beschränkt sich nicht nur auf Fragen und Antworten, direkt und indirekt gestellt bzw. wiedergegeben; mittels Hintergrundinformationen zeichnet der Autor gleichzeitig aussagekräftige Porträts der befragten Personen unter Einbindung ihres Status, ihrer Lebensläufe und – reportageartig – der jeweiligen Zeitumstände und Nebenschauplätze der Handlungen. Ergänzend dazu schildert er die manchmal schwierigen, lange währenden Bemühungen, zu den gewünschten Personen zu gelangen und beschreibt die dazu notwendigen Wege und Vorbereitungen. Humorvolle Anekdoten, zum Beispiel zum "Jahrhundert-Philantropen" David Rockefeller, zu Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Farah Diba-Pahlavi, Jeanne-Claude etc., die auch die kleinen Schwächen großer Männer und bedeutender Frauen sichtbar werden lassen, vertiefen die Einsichten und erhöhen das Lesevergnügen.

"Das wollte ich Ihnen noch sagen" vermittelt Einblicke in das Leben und Schicksal besonderer Persönlichkeiten, verbunden mit dem Gefühl, indirekt mitzuerleben, was ihnen widerfahren ist, wie sie bestimmte Ereignisse sehen, verarbeitet haben und was sie im Rückblick darüber denken. Das Buch bietet spannend erzähltes historisches Wissen und hohen Lesegenuss für an Geschichte, aber auch an Menschlichem und Allzumenschlichem interessierte Leserinnen und Leser.

André Groenewoud, Das wollte ich Ihnen noch sagen – Ein Jahrhundert im Gespräch, Topicus Verlag 2019, ISBN 978-2-91980-881-6, 254 Seiten, 12,99 Euro (Taschenbuch)