Humanistischer Salon Nürnberg

"Der jetzige Bio-Begriff ist religiös inspiriert"

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Prof. Dr. Michael Braungart

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Dr. Monika Griefahn

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Helmut Fink

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Bücher

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Im Gespräch

Statt einer Sprache der Schuld brauchen wir echte Innovationen, meinen Michael Braungart und Monika Griefahn. Das prominente Paar, das zu den Pionieren der deutschen Umweltbewegung gehört, warb im Humanistischen Salon Nürnberg für das "Cradle to Cradle"-Prinzip und die Neuausrichtung des Bio-Gedankens im humanistischen Sinne.

In der dritten Veranstaltung in diesem Winterhalbjahr ging es im Humanistischen Salon Nürnberg um ein - auf den ersten Blick - ziemlich technisches Thema, das man auch mit "Umweltschutz-Aspekte im Produktdesign" hätte überschreiben können. Etwas, das sicherlich politisch relevant ist, bei dem sich aber vielleicht nicht sofort erschließt, ob es von speziell humanistischem Interesse ist.

Vortragsreferent Michael Braungart, Ökodesign-Professor und "Cradle to Cradle"-Mitbegründer, argumentierte am 10. Dezember im Nürnberger PARKS aber überzeugend, dass ökologische Fragen von einer humanistischen Sicht profitieren. Umgekehrt ist er überzeugt, dass Fehlentwicklungen im ökologischen Denken auf eine frühe religiöse Prägung der Umweltschutzbewegung zurückzuführen sind.

So sei im derzeit vorherrschenden ökologischen Verständnis ähnlich wie im religiösen Denken nicht vorgesehen, dass die Menschen gut sein können. Vielmehr könnten sie stets nur versuchen, weniger schlecht für die Umwelt zu sein, ohne je eine positive Bilanz erreichen zu können. Die Folge dieses von Schuldgefühl geprägten Bewusstseins ist nach Braungart, dass Sparen, Verzichten und Vermeiden zu den bevorzugten Mitteln werden, um die Umwelt zu schützen.

Diese Ausrichtung hält Braungart für kontraproduktiv - sowohl psychologisch als auch strategisch. Zum einen vermittle es Menschen, dass es besser wäre, es gäbe sie gar nicht. Zum anderen behindere die gepredigte Enthaltsamkeit die Kreativität und den mutigen Fortschritt, die aus seiner Sicht eigentlich gefragt wären.

Was wir aus Braungarts Sicht stattdessen brauchen, ist ein gewaltig erscheinendes Innovationsprojekt: "Alle Produkte müssen noch einmal neu erfunden werden", sagt er. Und das auf eine Weise, dass mit ihnen "intelligente Verschwendung" möglich ist. In vielen bereits realisierten Neuentwicklungen von der Unterwäsche über den Fernseher bis zu ganzen Häusern haben er und seine "Cradle to Cradle"-Mitstreiter schon zeigen können, welches Veränderungspotenzial in einem solchen Umdenken beim Produktdesign steckt.

Ziel müsse eine echte Kreislaufwirtschaft sein, meint Braungart, in der nach Gebrauch nichts Abfall ist, sondern alles immer wieder Nähr- oder Rohstoff wird. Um einen solchen echten Kreislauf zu erreichen, müsse alles so gestaltet werden, dass es ohne schlechtes Gewissen buchstäblich verschwendet werden kann. Jedes Produkt. Weil es entweder in den technischen oder den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden kann.

Diese positive Besetzung des Begriffs "Verschwendung" durch Braungart wird in Öko-Kreisen natürlich nicht selten als provokant und unverantwortlich empfunden. Auch in Nürnberg gab es in der Diskussionsrunde mit dem Publikum Widerspruch dagegen und den Impuls, angesichts von Braungarts teils harscher Kritik an anderen Öko-Zielsetzungen zum Gegenangriff überzugehen.

Für Mitreferentin Monika Griefahn war dies ein Anlass für beschwichtigende Töne. Die ehemalige niedersächsische Umweltministerin und Bundestagsabgeordnete der SPD (1998 bis 2009) betonte, dass sie und ihr Mann sich natürlich auch oft nur für das weniger Schädliche entscheiden können, weil ein alternatives Produkt, das der Umwelt nütze, oft noch nicht zur Verfügung stehe. "Aber es geht um die richtige Einstellung. Um einen Kulturwandel." Darum, dass wir die richtigen Ziele haben. Dass diese Produkte tatsächlich entwickelt und dann auch gekauft werden.

Griefahn zeigte sich dabei als eine ebenso überzeugte Botschafterin des "Cradle to Cradle"-Konzepts wie ihr Mann, der die Idee zusammen mit dem US-Architekten und Designer William McDonough entwickelt hat und dessen Forschungs- und Beratungsinstitut EPEA die Umsetzung der Designprinzipien weltweit vorantreibt.

Sie ist überzeugt, dass die Zeit für ökologische Innovationen der "Cradle to Cradle"- Art heute reifer ist als in den 1990ern in Hannover, wo sie als Ministerin in einem Projekt mit Hewlett Packard schon versucht hatte, die Idee umzusetzen - mit auseinandernehmbaren Computern, deren Komponenten aus nur einem Material bestanden. "Aber es gab noch keinen Anreiz, diesen statt andere Computer zu kaufen. Das ist jetzt anders."

Es habe ein Mentalitätswandel stattgefunden. Mit einer jüngeren Generation, die Sharing Economy akzeptiert, sei auch die Veränderung einfacher, die der "Cradle to Cradle"-Idee richtig Schub verleihen soll. Denn vieles, was wir als Produkt erwerben, soll in Zukunft als Dienstleistung verkauft werden.

Wenn wir nicht Teppiche kaufen, sondern "Boden-Verpackung für ein Jahr" und nicht eine Waschmaschine, sondern eine bestimmte Anzahl an Waschgängen, dann führt dies nach dem "Cradle to Cradle"-Konzept dazu, dass es sich für die Anbieter plötzlich lohnt, schon im Produkt-Entwicklungsprozess in die Qualität und spätere Wiederverwertbarkeit der eingebauten Teile zu investieren.

Aber statt unsere Energie in ein solches grundsätzliches Umdenken zu stecken, verlieren wir laut Braungart seit Jahrzehnten Zeit mit Scheinbeschäftigungen. Mit Maßnahmen, die er als "Ökologismus" brandmarkt. Weil sie Lösungen vorgaukeln, die keine sind. Es reiche nicht, dass die Abfälle in Produktion und Recycling heute weniger giftig seien für Umwelt und Mensch. Die Zuschnitte von Stoff und Leder seien immer noch Sondermüll, auch wenn sie nur noch 60 statt 90 Gifte enthielten. Und von Papier könne weiterhin nur der Zellstoff recycelt werden, der Schlacke-Rest sei ebenfalls Sondermüll.

Braungarts Entwicklungsarbeit in Kooperation mit Firmen zeigt, dass es auch anders geht. Etwa das komplett kompostierbare Papier der österreichischen Firma Gugler. "Oder kennen Sie die blauen Sitzbezüge mit den schwarzen Punkten aus dem Zug? Das sind unsere." Und er scherzt:"Wenn Sie mal Hunger haben: sie sind essbar!" Und die Zuschnitte können als Torfersatz in Gärtnereien gehen.

Doch die Zeit für einen derartigen Umbau in der deutschen Produktion laufe ab. "24 Jahre haben wir dafür gearbeitet, ein Leder zu entwickeln, das kompostierbar ist", erzählt Braungart. Doch inzwischen habe die letzte Gerberei in Deutschland zugemacht. "Jetzt wissen wir zwar, wie es geht, aber wir werden es nicht mehr umsetzen können."

In Österreich und auch in Bayern habe man inzwischen erkannt, dass es sich dabei gar nicht nur um ein Ökothema handelt, sondern dass es genauso auch ein Wirtschaftsthema ist. "Sie können dort für den Umbau Ihrer Firma nach "Cradle to Cradle"-Prinzipien Wirtschaftsförderung bekommen", erklärt Braungart. "Denn man hat verstanden: Denselben Dreck können Andere günstiger machen."

Wie sich bei den zahlreichen, erfolgreich umgesetzten Umstellungsprojekten gezeigt hat, ist die Produktion nach der Umstellung oft günstiger. Jedenfalls nicht teurer. "Wenn ich vorher positiv festlege, was drin ist, brauche ich später nicht teuer Sondermüll entsorgen. Das ist eine Innovationschance. Nicht Umweltthema, nicht Weltuntergangsvisionen, sondern eine Innovationschance", erklärt Braungart eindringlich.

Eine Moralisierung und Romantisierung von Natur sei für die Umstellung eher hinderlich. Als förderlich für das Umdenken erweist sich aber das Vertrauen in Fortschritt, Aufklärung und Bildung im humanistischen Denken, sind Braungart und Griefahn überzeugt. "Begreifen wir den Menschen als Chance oder als Belastung?" fragt Griefahn. "Wir glauben daran, dass Menschen gut sein können."


Bücher:

•    "Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren", Piper, 2014
•    "Intelligente Verschwendung: The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft", oekom verlag, 2014

Links:

•    Cradle to Cradle-zertifizierte Produkte: www.c2ccertified.org
•    Cradle to Cradle-Verein: www.c2c-ev.de

Auch der Vortrag von Michael Braungart und Monika Griefahn wird voraussichtlich wieder als Video veröffentlicht werden. Wer darüber informiert werden will, kann den Youtube-Kanal des Humanistischen Salons abonnieren oder der Reihe bei Facebook bzw. Twitter folgen, wo auch auf kommende Veranstaltungen hingewiesen wird.

Der nächste Humanistische Salon findet am 21. Januar 2018 um 11 Uhr im Nürnberger PARKS statt. Zu Gast sind dann Prof. Dr. Susanne Bruckmüller und Prof. Dr. Eckart Voland für eine kontroverse Debatte mit dem Titel "Zwischen 'Biologismus' und 'Genderwahn'? Geschlechterverhältnisse zwischen biologischer und sozialer Identität". Wie gehabt mit ausgiebiger Möglichkeit zum Gespräch und gemütlichem Brunchen sowie dem musikalischen Rahmenprogramm von Claus Gebert und der Moderation durch Helmut Fink.