Kein Évian im Ramadan

Indem der französische Mineralwasserkonzern Évian zufällig während des Ramadanbeginns dazu aufrief, einen Liter Wasser zu trinken, löste er einen Shitstorm in den sozialen Medien aus. Einige empörte User witterten sogar Rassismus. Das Unternehmen sah sich daraufhin gezwungen, eine Entschuldigung auszusprechen und trat damit eine neuerliche Debatte los.

Vermutlich jeder kennt den Grundsatz, täglich genügend Wasser zu sich zu nehmen, um eine ausreichende Hydration des eigenen Organismus zu gewährleisten. Was wäre also naheliegender für ein Unternehmen, welches auf den Verkauf von Mineralwasser spezialisiert ist, als solche banalen aber dennoch sinnvollen Fakten für ihre Werbestrategie zu benutzen? Der bekannte französische Flaschenwasser-Produzent Évian dachte sich vermutlich nichts dabei, als er auf seiner französischen Twitterseite am 13. April dazu aufrief, einen seiner Tweets zu teilen, wenn man bereits einen Liter an diesem Tag getrunken habe.

Screenshot Twitter
Screenshot Twitter: "Verbreiten Sie dies weiter, wenn Sie heute bereits 1 Liter getrunken haben!"
"Guten Abend hier ist das Evian-Team, es tut uns leid, dass uns ein solches Missgeschick unterlaufen ist, der Tweet sollte keine Provokation sein!"

Was im Medienteam des Konzerns wohl keiner bedacht hatte, war die Tatsache, dass ausgerechnet an diesem Tag der Ramadan für Muslime begonnen hatte. Der religiöse Fastenmonat schreibt gläubigen Muslimen vor, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder Flüssigkeit noch Nahrung zu sich zu nehmen. Auf Twitter verbreitete sich der Tweet rasant aufgrund der Unterstellung, Évian wolle absichtlich Muslime provozieren, indem punktgenau am Fastenbeginn zum demonstrativen Wassertrinken aufgerufen worden sei. Schnell wurden Stimmen laut, die dem Konzern sogar rassistische Absichten unterstellten: "Warum ausgerechnet heute? Das ist doch hinterhältig", meinte ein User etwa, ein anderer beschwerte sich: "Das ist doch wohl rassistisch!"

Der Konzern sah sich dazu genötigt, eine Entschuldigung unter seinem Tweet abzusetzen, indem das Évian-Team von einem Missgeschick sprach und den Vorwurf der absichtlichen Provokation abstritt. Dies löste allerdings ebenfalls Unmut aus, da man sich, laut vieler weiterer Kommentatoren, für einen derartig harmlosen Tweet, der allem Anschein nach ohne Hintergedanken entstanden war, nicht zu entschuldigen brauche.

Tatsächlich ist das Einlenken des Mineralwasserkonzerns bei einem derartig harmlosen Werbekommentar verwunderlich, gerade wenn lediglich daran erinnert wird, auf seine tägliche Wasserzufuhr zu achten. Die Vermeidung eines Shitstorms, wie er mittlerweile sehr schnell und heftig in den sozialen Medien aufkommen kann, scheint für viele Konzerne der Grund zu sein, überhastet mit Entschuldigungsbekundungen um sich zu werfen. Allerdings hat Évian sich damit in eine Zwickmühle begeben, da die Entschuldigung an sich nun ebenfalls zu Recht in die Kritik geraten ist. Viele Stimmen betrachten das Verhalten des Konzerns als Einknicken vor einem lauten islamistischen Mob und einige Stimmen im Kommentarbereich sprachen daraufhin sogar davon, Évian aufgrund der Entschuldigung zu boykottieren. Ironischerweise hat sich der Konzern mit seinem Verhalten auf beiden Seiten unbeliebt gemacht. Der Fall schlug in Frankreich hohe Wellen bis in Talkshows und die Politik hinein.

Festzuhalten ist allerdings, dass keine religiöse Gruppe ihre eigenen Regeln und Gebräuche einer ganzen Gesellschaft aufdrängen darf. Nur weil man sich selbst an die Regeln seiner Religionsgemeinschaft halten möchte, bedeutet dies keinesfalls, dass man Andersgläubigen, die ihr Leben während der eigenen Fastenzeit ganz normal weiterleben wollen, verbieten darf, Werbung für Mineralwasser zu machen. In einer freien Gesellschaft darf jeder selbst entscheiden, wie viel Wasser er wann trinkt und muss es aushalten, wenn andere eine ihm "verbotene" Tätigkeit vor seinen Augen ausüben. Dies betonen zu müssen, erscheint mehr als banal, jedoch ist eine besonders konservative bis islamistische Strömung des Islam gerade in Frankreich immer deutlicher im öffentlichen Leben wahrzunehmen, flankiert von um Gerechtigkeit besorgten, linksorientierten identitätspolitischen Strömungen. In Frankreich hat sich dafür bereits die Bezeichnung "Islamo-Gauchisme" durchgesetzt.

Der Fall Évian, so lustig er im ersten Moment erscheinen mag, reiht sich damit in eine beunruhigende gesellschaftliche Entwicklung ein, in der die Werte einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft immer mehr zur Diskussion stehen.

Unterstützen Sie uns bei Steady!