Der Friedens- und Konfliktforscher Jochen Hippler legt in seinem Buch "Krieg im 21. Jahrhundert. Militärische Gewalt, Aufstandsbekämpfung und humanitäre Intervention" eine Einschätzung zum Thema vor, wobei er Beschreibungen, Definitionen und Typologien liefert. Es handelt sich um eine gut verständliche und überaus kenntnisreiche Erörterung zum Thema, die auch immer wieder durch kritische Anmerkungen etwa zur "humanitären Intervention" beeindruckt.
Wer über Kriege nachdenken will, setzt sich mitunter dem Verdacht aus, er wolle militärische Konflikte gutheißen, normalisieren oder relativieren. Doch so etwas ist nicht das Ansinnen von Jochen Hippler, der als Friedens- und Konfliktforscher immer wieder mit eigenständigen und reflexionswürdigen Positionen zum Thema publiziert hat. Nach langjähriger Tätigkeit als Mitarbeiter des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen ist er heute Länderdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pakistan. Sein Buch "Krieg im 21. Jahrhundert. Militärische Gewalt, Aufstandsbekämpfung und humanitäre Intervention" fragt nicht nur danach, was eben den Krieg im 21. Jahrhundert ausmacht, denn man kann eigentlich nur darauf mit einem historischen und systematischen Vergleich antworten. Dies bedeutet letztendlich, Krieg als allgemeines Phänomen zu analysieren. Der Autor will eben mit seinem Buch, so formuliert er selbst, "zum Nachdenken über den Krieg anregen. Es ist kein Handbuch zur Führung von Kriegen und kein pazifistisches Manifest" (S. 13).
Am Beginn stehen daher zunächst Erörterungen darüber, was überhaupt als besondere Gewaltform mit einem Krieg gemeint ist und inwieweit er einer historischen Kontinuität entspricht. Auch Clausewitz wird als Kriegstheoretiker bemüht, wobei seine eigentlichen Auffassungen nicht unbedingt den späteren Zerrbildern entsprachen. Danach geht es um die menschliche Einstellung zur Gewalt, vorerst nur bezogen auf psychologische Gesichtspunkte, was die Hinweise auf das Milgram- und Stanford-Prison-Experiment erklärt. Hierbei wird auch die Bedeutung der Religion thematisiert, wobei Hippler deutlich macht, dass der als so friedlich geltende Buddhismus ebenfalls zur Legitimation von Kriegen diente. Die eigentlichen Bedingungsfaktoren sieht er nicht in deren Inhalten, hätte sich die kriegerische Gewalt doch "stattdessen aus den gesellschaftlichen und politischen Realitäten entwickelt … und dann alle Religionen – aber auch säkulare Ideologien –" (S. 79) infiziert. Entscheidend sei deren legitimatorische Kraft als politische Nützlichkeit gewesen.
Danach nimmt Hippler die Leser mit auf eine Reise durch die Geschichte, wobei die Entwicklung von Kriegen beschrieben wird. Da geht es von den Kriegen der antiken Großreiche über die Kabinettskriege der frühen Neuzeit bis zu der Industrialisierung des Krieges. Dem folgen Ausführungen zu den Bausteinen des Krieges, bezogen auf das Militär, Technologie und Waffen. Und dann wird das Ganze noch einmal in eine Typologie eingeordnet, wobei Mischformen ebenfalls präsent sind. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die Ausführungen zu den "humanitären" Kriegen, ist dabei doch von deren Alibi-Charakter aus anderen Interessen die Rede. Der Autor betont entsprechend: "Tatsächliche humanitäre Interventionen dienen nicht der politischen Gestaltung oder dem eigenen Vorteil, sondern der unmittelbaren Nothilfe" (S. 201). Dann folgt noch eine Art Exkurs zu den Kriegen im Nahen Osten, wo es kurze Ausführungen zur Entwicklung in einigen Ländern gibt, was aber eher kurz und oberflächlich geschieht.
Und schließlich arbeitet der Autor in der Gesamtschau die besonderen Merkmale heraus, die dem Krieg im 21. Jahrhundert eigen sind. Dabei bedient er sich einer mehrfachen Differenzierung: zwischenstaatlich – innerstaatlich, konventionell – irregulär, bilateral – multilateral, einfach – multipel, konstant – mutiert, national – international (vgl. S. 258). Und am Ende findet sich noch eine beachtenswerte Kommentierung zur Legitimationsfrage: "Es ist … das Ergebnis einer nüchternen Bestandsaufnahme, dass die große Mehrheit der Kriege der letzten Jahre ohne erkennbare Strategie, orientierungslos und improvisierend geführt wurde. Solche Kriege abzulehnen erfordert nur Vernunft, keine pazifistische Überzeugung" (S. 297). Die Einschätzung ist demnach nicht von einem Idealismus, sondern gerade einem Realismus geprägt. Dieser durchzieht das ganze Buch, das in gut verständlicher Form daherkommt und auch Forschungskontroversen immer wieder thematisiert. Dass Fragen offen bleiben, versteht sich von selbst. Der Autor liefert aber viele wichtige Antworten.
Jochen Hippler, Krieg im 21. Jahrhundert. Militärische Gewalt, Aufstandsbekämpfung und humanitäre Intervention, Wien 2019 (Pro Media-Verlag), 311 S., 22,00 Euro
1 Kommentar
Kommentare
David Z am Permanenter Link
Vielen Dank für die Rezension. Sehr interessant.
"Wer über Kriege nachdenken will, setzt sich mitunter dem Verdacht aus, er wolle militärische Konflikte gutheißen, normalisieren oder relativieren"
Ja, leider immer noch viel zu oft. Der Vorwurf ist so grotesk, als würde man Historikern, die sich mit den Verbrechen und Massenmorden in Nazideutschland zw 33-45 beschäftigen, vorwerfen, dass sie sich mit der Sache gemein machen oder gar einen neuen Völkermord planen.